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Martin und Paul Bendix
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SchellackFreak
Di Mai 31 2016, 07:18 Druck Ansicht
"Seitengründer"

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Bevor es Otto Reutter als Komiker mit Couplets und "Szenen" auf Walze und Schellackplatte gab, gab es Martin Bendix... 1912 feierte Martin Bendix sein fünfzigjähriges Bühnen-Jubiläum.


Martin Bendix
*22.7.1843 (Berlin), † 16.10.1915 (Berlin)


Genannt "der Urkomische" war Martin Bendix im 19.Jh. nicht nur ein Berliner Original, zusammen mit seinem Sohn Paul Bendix (*1870) zählt er auch zu den frühesten Komikern auf Phonographenwalze und Grammophonplatte. Gemeinsam entstanden über 200 Aufnahmen, der Sohn Paul Bendix setzte seine Karriere auf Schallplatte bis in die 1920er Jahre fort.



Martin Bendix †


Nun ist auch er dahingegangen, einer der beliebtesten und bekanntesten Vertreter des altberliner Humors und zwar einer, der für die Sprechmaschinenindustrie eine ganz besondere Note bedeutete. Wer kannte ihn nicht, den „Urkomischen", dessen wirklich urwüchsiger derber Humor so oft zu Zwerchfell erschütternder Wirkung führte, nicht nur auf den „Brettern«, die die Welt [speziell im ehemaligen Americain Theater] bedeuteten, sondern von Anbeginn der Phonographentechnik an auf Walzen und Platten eines jeglichen Repertoires?

Fast, wie er gelebt, mit seinem breiten gutmütigen Lächeln auf den Lippen, ist er dahingegangen, ohne langes Krankenlager und verbitternde Schmerzengefühle, dahin-gerafft in einem Augenblicke von einem „wild gewordenen" Postauto im Strudel der Grossstadt, im Verkehr der Menge, Im Angesicht des glitzernden Herbstsonnenscheine! ! Er ist keiner von den ganz Grossen gewesen, freilich nicht, aber sein bescheidenes Licht verstand es so gut in die Volksseele hineinzuleuchten, sein unschuldiger nie beleidigender Witz so treffend das Leben der breiten Masse zu packen, und selbst seine eslyrischen Anwandlungen, meist dem Urberliner Sandboden entsprossen, fanden stets ne verständnieeinnige Zustimmung, dass allen denen, die den „urkomischen Bendix" namentlich aus seiner Glanzperiode her kannten und verehrten, er noch lange in Erinnerung bleiben wird, vielleicht bis auch sie den gleichen Weg in die Einigkeit zu wandern berufen sind, denn wohl die meisten seiner Zeitgenossen nähern sich bedenklich dem biblischen Alter.

— Die jüngere Generation weise sich natürlich nicht mehr der Lachstürme und Beifallesalven zu erinnern, die allabendlich die gemütlich-heimischen, wenn auch etwas beschränkten Räume in der Dresdener Strasse durchzitterten. Tag für Tag wanderte dahin ein nichts weniger als homogenes Publikum, Arbeiter und Kaufleute, Studenten aller Grade und Semester, aber auch ernste Beamte, Lehrer und selbst Professoren, Militär und Chargen unterer Grade in buntester Menge, die jungen Herren Offiziere natürlich in „Zivilkluft" und nicht zu vergessen die heida stets „quietschvergnügte' Weiblichkeit. Knusprige Backfischchen, Fabrik- und Ladenmädchen, zarte Konfektioneusen, die das Näschen schon etwas höher trugen und natürlich auch mitten drunter ein Kontingent „besserer" Damen. Da gab es schon damals „keine Partelen" mehr und wenn erst die blauen Tabakswolken eine Art Londoner Nebel schufen, die ehrlichen Weissbiergläser von nun schon sagenhaften Dimensionen kreisten, das Raketenfeuer des trockenen Berliner Witzes von der Bühne dazwischen prasselte, schwamm alles in eitel Seligkeit! Jal ja, wo bist Du hin, du mein altes Berlin! Aus dieser Zeit stammt so manches geflügelte Wort, das mit Windeseile das Weichbild der altberliner Gauen zu durchbrechen pflegte und bald zu allgemeiner Berühmt-und Angewohnheit wurde. Das meiste davon ist auf seinem eigenen Boden gewachsen unter kluger Anpassung an seine Individualität und Gesangesgaben. Wenn auch jede „Saison" solch ein neues Schlagwort von Bendix erwartete und er-hielt, ao konnten etliche seiner alten Schlager doch „Generationen" überdauern und doch immer wieder verlangt werden. Um seiner Persönlichkeit ganz gerecht zu werden, muss daran erinnert werden, dass es ihm auch nicht au schauspielerischem Talent fehlte, um sentimentale Stimmungen zur rechten Geltung zu bringen, just wie es sich für einen rechten Volksdarstellerdarsteller geziemt. Die Tränen, die heute an seiner Bahre geweint werden, sind gewiss aufrichtig und herzlich, dennoch ist es nicht möglich, dass sie die ganzen Fuder, die über ihn bei Lebzeiten gelacht worden sind — und nicht minder von Herzen —aufwiegen könnten! Bendix war der «Stammbaum' eines jeden neuen Walzen- und Plattenrepertoires. Mit ihm fing man gewöhnlich a n, ohne ihn, ohne seinen: „Beim Zahnarzt", „Stammtischreden", „Auf der Rennbahn", Beim Photographen" usw. liess sich kein Verzeichnis zusammenstellen, ohne ihn war es einfach nicht komplett, etwa wie es keinem „Kenner der Volkspsyche" und Walzen- oder Plattenfabrikanten eingefallen wäre, in seinem Kunstschrein die schönen Lieder: „Zwei dunkle Augen" u. dgl. fehlen zu lassen. Bis in seine letzten Tage hat er sieh unermüdlich in den Dienet der Aufnahmemaschine gestellt und manches zur Volkstümlichkeit der Sprechmaschine beigetragen. So hat er auch für uns nicht umsonst gelebt und wir betrauern aufrichtig seinen unerwarteten und plötzlichen Heimgang.
Phonographische Zeitschrift, November 1915




Ein Alt-Berliner Original.
Zum Tode des urkomischen Bendix


Martin Bendix ist t o t — ein wildgewordener Postkarren (Anm.: Automobil) hat ihn umgefahren. Man nannte ihn den „Urkomischen", damals in jener längst entschwundene Epoche, als das Berlin der Spießbürgerzeit mit dem neuen Berlin noch im Streite lag. und aus der großen Kleinstadt allmählich des großen Reiches glanzvoller Mittelpunkt erwuchs. Das war in den siebziger und achtziger Jahren (Anm.: 19. Jh.) . Da gab es noch in manchen Straßen die offenen Rinnsteine, der Tiergarten war mit Öllampen „beleuchtet", und am Lützowplatz war die Welt mit Brettern vernagelt.

An der behaglichen Beschaulichkeit dieser Atmosphäre halte in gewisser Beziehung auch die Kunst ihren Anteil: da blühte die Nante-Eckensteher-Poesie, die Raedersche Posie feierte ihre Triumphe, und mit ihr der urwüchsig schlagfertige Berliner Volkswitz. Auf diesem Boden stand auch Martin Bendix. der „Urkomische". Lange Zeit hindurch konnte er geradezu als ein Typus echt berlinischer Art gelten, eben jenes behaglichen Volkshumors. der gelegentlich wohl auch mal derb nach rechts oder nach links ausschlagen konnte. Diesen Humor vertrat Bendix in seinen Darbietungen, in seinem ganzen Wesen. Nichts Erkünsteltes war an ihm, nichts Angelerntes; was er brachte, wirkte ursprünglich, fast als Improvisation. Natürlich war es keine Höhenkunst, aber ein gesunder, kräftiger Humor in Idee und Ausdrucksweise.

Und vor allem — man lachte über ihn. mußte lachen, oft bis zu Tränen, und das alte Americain-Theater an der Dresdener Straße, dessen Stern und erste Größe Bendix 27 Jahre lang unter der Direktion von August Reis gewesen, hat manchen Lachsturm erlebt, an den man heute noch mit unendlichem Vergnügen zurückdenkt. Schon wenn er auf der Bühne erschien, die kurze gedrungene Gestalt mit dem behäbigen Gesichtsausdruck und den lustig zwinkernden Äuglein, mit den drolligen Bewegungen und dem verschmitzten Mienenspiel, hatte er sein Publikum ohne weiteres für sich gewonnen, der echte Charakterkomiker, man könnte fast sagen — ein Nestroy. nur mit dem unverfälschten berlinischen Einschlag. Und echt Berliner Gestalten waren es auch, die er verkörperte. den Fuhrmann Bumke zum Beispiel und den Lumpensammler Naucke, der aus dem Abfall, den er durchsuchte, die merkwürdigsten Sachen zum Vorschein brachte. Berühmt war sein Gastinson Crusoe in der Posie „Unsere Marine", in der er das bekannte Flaggenlied sang. Viele seiner Schlag Worte, die er in übermütiger Gebelaune umherstreute, erlangten die denkbar größte Volkstümlichkeit, Jeder Berliner sagte damals mit Bendix „Nu aber raus!" oder „Sachte, es klemmt sich!' und vieles andere mehr.


Jeder Berliner mußte ihn in der Posie „Hirschs Weltreise" gesehen haben, und mit atemloser Spannung wartete man ans den Augenblick, da er hoch zu Roß davonsprengen sollte, und eine Leiter gebracht werden mußte, damit er seinen feurigen Renner erklimmen konnte. Das waren so die Tricks von Anno dazumal! In Vorahnung kommender Ereignisse hat er sich auf seine Weise auch um die Ausmerzung der Fremdworte bemüht und einmal eine Verdeutschung des „C o n t r e - T a n z" — heute muß man wohl „G r u p p e n - T a n z" sagen — gebracht, die viel „belacht" wurde Statt
..Grande promenade" sagte er „Stangenpomade". statt „Chaine anglaise" — „Schönhauser Allee" oder euch „Schöne Angelleese", statt „en avant" — „Damen lang" und so fort mit Grazie. Zu den Sachen, die man unbedingt gesehen oder gehört haben mußte, zählte auch Bendix als Berliner Droschkenkutscher, womit er das bekannte Wiener Fiakerlied, das durch Waldemar eben in Aufnahme gekommen war, harmlos-lustig parodierte.

Deine besten Sachen hat Bendix selbst gedichtet und sich auf den Leib geschrieben, sie wo
möglich auch selbst komponiert. Dem alten Americain hat der urkomische Bendix zum Ruhme
verholfen. Vorher hatte er bei Kallenbach am Johannestisch gewirkt und noch früher im „Musikalischen H o l z h o f" an der Alten Jakobstraße. Von da bis zu dem „Cabaret" an der
Oranienstraße, in dem er noch am Abend vor seinem Tode gesungen und Witze gemacht hatte, ist ein langer Weg mit mancherlei Wendungen. manchen Zwischenfällen. Ans einer Zeit, die das Geschlecht von heute nicht mehr versteht, ragte er in unsere Tage hinüber, ein Überbleibsel einer entschwundenen Gefühlswelt. In der Theatergeschichte von Berlin wird sein Name unvergessen bleiben!





[ Bearbeitet Mo Jul 25 2016, 12:02 ]
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Paul Bendix
*30.12.1870 (Berlin), † Juli 1944 (KZ Theresienstadt)




Bereits im Alter von 18 Jahren stand Paul Bendix 1889 zusammen mit seinem Vater auf der Bühne des Americain Theater. Nach kurzen Gastspielreisen, u.a. auch nach Holland (1893) war seine Karriere jedoch eng mit der seines Vaters Martin Bendix verbunden.

Aufnahmen der beiden, auf Edison-Walze, erschienen ab 1907 auch in den USA.


Ebenfalls ab etwas 1907 entstanden frühe "Tonfilme" mit den beiden. Dabei wurde der Film (mehr schlecht als recht...) mit einer Grammophonplatte synchronisiert.



Weitere Filme von Paul & Martin Bendix (vermutlich teilweise als sog. "Tonbilder"):

  • Beim Zahnarzt - 1907

  • Der Alte Berliner - 1908

  • Max und Moritz auf der Theatergalerie - 1908

  • Alter schützt vor Torheit nicht - 1913

  • Wenn man Bummeln geht - 1913

  • Wenn zwei dasselbe tun - 1913

  • Das Zweite Ich - 1913

  • Wem gehört das Hemd - 1914


Ab 1911 leiteten Vater und Sohn das Unterhaltungsetablissement Bendix in der Oranienstr. 68 (Berlin); dieses führte Paul Bendix nach dem Tod des Vaters weiter. Es entstanden weitere Platteneinspielungen, teils zusammen mit seiner Schwester Elise Bendix.

Ab September 1922 bereiste das Geschwisterpaar mehrere Monate Amerika.




Ein kurzer Artikel aus den USA (Januar 1923) erzählte, dass die Familie während der Inflation ihr Vermögen verlor und die Tournee von Paul & Elise Bendix die inzwischen verarmte Familie finanziell unterstützen soll.



Zwar war Paul Bendix auch im jungen Rundfunk zu hören, an die alten Erfolge zusammen mit seinem Vater konnte er nicht mehr anknüpfen.


Im Alter von 73 Jahren wurde Paul Bendix als "Halbjude" am 28.5.1943 in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. Er starb dort im Juli 1944.

[ Bearbeitet Do Jul 21 2016, 14:42 ]
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