Radiofunken Records vs Telefunken Schallplatte




Viele Jahrzehnte bereitete das amerikanische Label Radiofunken Sammlern und Historikern beidseits des Atlantiks Kopfzerbrechen. Die Ähnlichkeit mit der Telefunken Platte ist mehr als frappierend. Das Label taucht um 1942 in den USA auf, die Aufnahmen kommen fast ausschließlich von der Telefunken aus Berlin ab dem Jahr 1932. Auch auffallend viele Märsche sowie Aufnahmen mit Nationalsozialistischem Bezug finden sich auf diesem US - Etikett. Nicht wenige halten Radiofunken für eine Exportmarke der Telefunken. Dies ist jedoch falsch. Auf Radiofunken finden sich durchweg "Raubkopien", also Umschnitte von regulären Telefunken -Platten. Die Telefunken legte dagegen 1943 sogar Klage ein! Der tatsächliche Hersteller (und Raubkopierer) findet sich aber schon auf dem Etikett: Die Radio Rundfunk Corp. New York. Wer steckt aber nun hinter dieser Firma, wenn nicht die Telefunken? Um es vorsichtig auszudrücken - amerikanische "Nazi-Sympathisanten" und Deutsche Einwanderer der 1930er und 40er Jahre.


Kurzgeschichte...


Ließe sich die ganze Geschichte nicht durch zeitgenössische Dokumente und Artikel belegen, man könnte sie fast für eine Räuberpistole halten. Einige (wichtige) Namen die uns im Zusammenhang mit dem Label immer wieder begegnen werden: Die schon erwähnte RADIO RUNDFUNK CORP. NEW YORK, die EUROPA IMPORT COMPANY, das Möbelhaus BOLLE & DETZEL sowie der deutsche Einwanderer Herbert F. (Fred) Oettgen. Alle Personen und Firmen mit mehr oder weniger engen Verbindungen zur Nazi - Szene in New York, dem Amerikadeutscher Volksbund (German-American BUND), dessen Leiter Fritz Kuhn sowie Anton Haegele, dem Herausgeber antisemitischer Zeitungen in New York und seiner "American National Labor Party".

Der 1905 in Sachsen geborene Herbert Oetggen kommt 1927 (vermutlich erstmals) nach New York. Als Beruf ist angegeben: Keiner... Nach weiteren Reisen, 1931 sogar nach Indien, findet er ab etwa 1933 Anstellung in deutschsprachigen Radiosendungen in New York. Die Sendungen werden u. a. finanziert von dem Möbelhaus "Bolle & Detzel". Bereits 1934 wird Oettgen von der ersten Radiostation gefeuert; man vermutete Sympathien für die Nationalsozialisten. Dauerhaft bleibt er mit seinen wöchentlichen Sendungen beim Sender WBNX. Auch hier finanziert wieder "Bolle & Detzel" die Sendungen in deutscher Sprache. Um die gleiche Zeit wird in New York die Europa Import Co. aktiv. Neben Postkarten, Kuckucksuhren und Lebkuchen vertreibt die Firma Schallplatten aus Deutschland. Wie auch Bolle & Detzel wirbt die Europa Import Co. regelmäßig in der antisemitischen Hetzzeitung "Deutscher Weckruf und Beobachter".

Inhaber und Angestellte von Bolle & Detzel werden immer wieder wegen politischer "Aktivitäten" kurzfristig verhaftet oder verhört. Um 1935/36 gründet Herbert Oettgen die Radio Rundfunk Corp. dessen "Präsident" er auch wird. Neben Bolle & Detzel sind auch noch weitere deutsch-stämmige Geschäftsinhaber aus New York Geldgeber für diese Firma. In dem "Stall" dieser Corperation befindet sich nun auch die Europa Import.

Neben der Tätigkeit im Rundfunk eignet sich Oettgen auch Kenntnisse in der Phono - Technik an. Ab Mitte der 30er Jahre fertigt er regelmäßig Aufnahmen von Veranstaltungen und Reden des BUND an. Auch überspielt er Ansprachen von Nazi - Größen aus Deutschland. Diese spielt er nicht nur in seinen Sendungen ab; Nachpressungen werden zunächst anderen Rundfunksendern zum Kauf angeboten. Um diese Zeit beginnt er wohl auch, vermutlich zunächst für seine eigenen Sendungen, Aufnahmen der Telefunken zu überspielen.

Ende 1937 wandelt sich langsam die Stimmung in der amerikanischen Bevölkerung gegenüber sowohl der Politik in Deutschland, wie auch den "politischen Aktivitäten" von Deutschen in den USA. Radiosendungen Deutscher geraten zunehmend unter Beobachtung der Politik und der Journalisten. Zu einem ersten (kleinen) "Skandal" um Oettgen kommt es 1937. Er, bzw. seine Firma, nahm die Trauerfeierlichkeiten der Opfer der Zeppelin Hindenburg - Katastrophe auf Schallplatte auf. Diese wurde auch in seiner Sendung abgespielt. Es gab wohl einige "Heil Hitler" Chöre zu viel zu hören...

Der Umschnitt von deutschen Schallplatten sowie der Vertrieb von Nazireden entwickelte sich zum immer lukrativeren "Nebengeschäft" von Oettgen, der "Radio Rundfunk Corp." und der "Europa Import Co.". Es ist noch nicht genau geklärt ab wann Raubkopien von Telefunken - Aufnahmen für den privaten Kunden produziert wurden. Wohl zunächst die Tempofunken, dann die Radiofunken wurden im "Haustürgeschäft" und über Versandhandel verkauft. Ob die mitgeschnittenen Reden von Nationalsozialisten aus Amerika und Deutschland oder auch Stücke wie das "Horst Wessel Lied" direkt in den Listen beworben wurden, ist auch noch ungeklärt. Möglicherweise bediente man sich loser Blätter (Einleger) in den umfangreicheren Bestelllisten oder auch schlicht Mundpropaganda.

1939 nahm Oettgen und seine Radio Rundfunk Corp. die berühmt-berüchtigten Reden von Fritz Kuhn während einer Veranstaltung vor 22.000 Besuchern im Madison Square Garden auf Schallplatte auf. Diese wurden später auf "Radiofunken" gepresst. Der "Auftritt" von Kuhn bei dieser Veranstaltung des BUND führte letztendlich auch zu seiner Inhaftierung und späteren Ausweisung aus Amerika. Exemplare von Mitschnitten auf Radiofunken finden sich im U.S. National Archiv NARA: Hier

Es ist noch unklar wie Oettgen und seine Geldgeber überhaupt an die Platten der Telefunken aus Deutschland kamen. Sowohl er, wie auch weitere aus diesem Umfeld reisten in den 30er Jahren nach Europa und Deutschland. Auch möglich: Partner aus Deutschland schickten kommerzielle Telefunkenplatten nach New York. Der Katalog mit Raubkopien auf Radiofunken wurde jedenfalls immer umfangreicher. Daneben wurden aber auch Zither- und Mandolinen Clubs, sowie Gesangsvereine mit Deutschem Liedgut aus Amerika auf Radiofunken gepresst und verkauft. Den Vertrieb der Platten sowie die Abwicklung mit den Verkäufern übernahm die Europa Import Company.

Mit Eintritt der USA in den Krieg gerieten Deutsche Rundfunksendungen erneut unter scharfe Beobachtung. Einer der ersten der aus dem Radio "entfernt" wurde war Herbert Oettgen mit seinen von der Radio Rundfunk Corp. und den Geschäftspartnern produzierten Sendungen. Deren Vorgehen mutet heute fast naiv an: Nach dem Angriff auf Pearl Harbor sowie dem Kriegsbeitritt von Amerika spielte man in den Sendungen noch das "Horst Wessel Lied". Auch wurde nun das "Nebengeschäft" mit Nazi - Reden auf Schallplatte bekannt. Dies führte zu einem weiteren Skandal der nun auch überregional in der amerikanischen Presse Widerhall fand. Oetggen tauchte unter, zwei seiner Geschäftspartner wurden kurzfristig vom FBI verhaftet.

Der Vertrieb von Radiofunken - Platten ging zunächst weiter. Wer ab jetzt die Europa Import Co., welche nun offizieller Vertreiber der Platten war, leitete ist noch ungeklärt. Mindestens seit 1939 teilten sich die Radio Rundfunk Corp. und die Europa Import Co. die gleiche Adresse: 207 East, 84th Street. Zum Jahresende 1942 erfolgte die Umbenennung in Radiodisque.

Im Sommer 1943 kam es zur Verhandlung gegen die Europa Import bzw. Radiofunken/Radiodisque. Anscheinend wurde man in Deutschland bei der Telefunken auf den erfolgreichen Raubkopierer in Amerika aufmerksam; Telefunken reichte Klage ein.


...Klage gegen die Europa Import Company... dem unerlaubten Kopieren von Schallplatten bekannt als "Telefunken" Platte...


In der Verhandlung wurde die Firma verurteilt - jedoch nicht die Produktion einzustellen, sondern endlich (Urheberrechts) Abgaben in den entsprechenden staatlichen Fond abzuführen. Vermutlich bald danach wurde die Produktion zunächst eingestellt. 1945 findet sich im Adress- und Branchenbuch von New York keine der Firmen wieder.

Im August 1946 kommt Oettgen, nun als Fred Oettgen, wieder in New York an. Er reiste von den Bahamas an... Als Beruf ist "Director" angegeben. Schon seit 1945 ist er technischer Aufnahmeleiter einer Schallplattenfirma (in überwiegend deutscher Hand). Er gründet auch erneut seine Radio Rundfunk Corp. . Ab c. 1946/47 erscheinen erneut Radiofunken Schallplatten, teilweise nun auch in Vinyl gepresst. Verwendet werden die alten Raubkopien der Telefunken unter neuen Bestellnummern. Oettgen, wie auch die wieder aufgetauchte Europa Import Co. versuchen sich an weiteren Projekten in der Phonobranche. Anfang der 1950er Jahre vertreibt man Aufnahmen der Schweizer Elite. In einem kurzen Artikel gibt sich Oettgen (der sich einige Zeit auch Fred Herbert-Oettgen nennt) als offizieller Vertreter der Carl Lindström AG aus und verkündet zukünftig Kristall Schallplatten in den USA vertreiben zu wollen. Aus diesem Projekt wurde jedoch nichts...

Das Radiofunken Label verschwindet um 1950 vom Markt. Während sich die Europa Import Co. (unter anderer Leitung) noch an den Elite - Platten versucht, zog sich Oettgen wohl aus der Schallplattenbranche zurück. 1955 findet man ihn wieder: Oettgen moderiert im jungen Fernsehen für einige Monate die "Deutsche Fernsehstunde" (New York). 1956 bereist er mit seiner zweiten Frau Europa, dann wird es "still" um ihn. Die letzte Spur findet sich 1964 - er verkauft Lebensversicherungen...


Die Platten & Aufnahmen





1. TEMPOFUNKEN * Made in USA - Phono. Records
vermutlicher Vorläufer der Radiofunken - Platten

2. RADIOFUNKEN * Phonograph Records * Trade Name Corp. by
Radio - Radiofunk

Hier wird die Radio Rundfunk Corp. von Herbert Oettgen direkt als Hersteller genannt. Produktion vermutlich ab c. 1940/41.

RADIOFUNKEN Electric Disk * © And Made By Radio - Rundfunk

Vermutlich ebenfalls eine frühe Etiketten - Variante. Keine Angabe der Matrize auf dem Label.

3. RADIODISQUE * Phonograph Records * Radio - Radio
"Umstellung" von Radiofunk auf Radiodisque ab 1942 mit Eintritt der USA in den Krieg.

4. RADIOFUNKEN * Phonograph Records * Radio - Rundfunk
Nach Ende des Kriegs "reaktiviert" Oettgen wieder die Firma Radio - Rundfunk. Bei dieser Etiketten - Variante handelt es sich um Pressungen der Nachkriegszeit.


Einen weiteren Beleg für die Umschnitte kann man hier erkennen. Telefunken verwendete nie solche Auslaufrillen. Diese stammen vom Prozess als die regulären (kommerziellen) Telefunkenplatten, vermutlich von Oettgen selber, auf neue Wachsmatrizen "überspielt" wurden.


Bei den Matriznummern scheint es sich (zumindest Anfangs) um ein "echtes" System zu handeln. Deutlich zu erkennen der verwendete Take (-1).




Die ausschließlich Deutsche Beschriftung wie auch die niedrigen Matriznummern machen Tempofunken als Vorläufer der Radiofunken wahrscheinlich. Verwendung von Telefunken - Aufnahmen. Genaues Erscheinen noch ungeklärt. Auf dieser Radiofunken eine Aufnahme aus New York.




Etiketten - Variante vor 1942/43. Beschriftung in Deutsch; Telefunken - Aufnahme. Interessantes Detail: 78 RpM k. Der Buchstabe k findet sich nur auf Etiketten vor 1945. Ab 1942/43 Umstellung auf Radiodisque. Die Bestellnummern werden beibehalten bzw. fortlaufend weitergeführt. Änderung von Radio - Rundfunk auf Radio - Radio im Label.

In diese Zeit fällt auch die Klage der Telefunken GmbH gegen Europa Import Company als Hersteller der Radiofunken/Radiodisque Schallplatten. Auch der Skandal um Herbert Oettgen im Radio könnte ein weiterer Grund für die Umbenennung sein.




Im weiteren Verlauf ist das Etikett von Radiodisque weniger aufwendig gestaltet (Hochglanz fehlt). Beschriftung teils eine Mischung aus Deutsch und Englisch. DISCUS - Hergestellt ab oder nach 1946 durch die Firma Radio - Rundfunk Corp. New York von Herbert Oettgen. Eigenaufnahmen aus den USA, aber auch wieder "alte" Telefunken - Umschnitte. Die Bestellnr. - Serie 5000 passt zu den Eigenaufnahmen von Radiofunken vor 1945. Nach 1950 wird DISCUS von Empire Record hergestellt, diese Firma stand ebenfalls in Verbindung zu Oettgen. Nun auch "neue" Umschnitte und/oder Matrizen aus Europa.







Ab c. 1946/47 erscheint auch wieder die Radiofunken. Umschnitte alter Telefunken - Aufnahmen. Detail: Made in USA rr. Das k der Vorkriegsserie verschwindet nun. rr wird bei Etiketten nach 1945 verwendet. 30 cm Radiofunken - Platten erscheinen nun auch in rotem Vinyl. Auf dem Etikett als Vynelite (Unbreakable - Unzerbrechlich). Dieser rote Vinyl wurde erstmals 1945 von der RCA Victor verwendet. Ein Indiz für die Victor als Lohnpresswerke?




Die Firma Europa Import Company steht nun unter neuer Leitung. Ab 1950 übernimmt sie den Vertrieb von Elite Aufnahmen aus Europa.




RADIOFUNKEN und RADIODISQUE Katalog Stand Dezember 1942 & Nachtrag Januar 1943
(Für volle Auflösung bitte die einzelnen Seiten anklicken)


Sinngemäß: Die neuen RADIODISQUE Platten beinhalten nur Aufnahmen ohne (deutschen) Gesang (Daran hielt man sich im weiteren Verlauf jedoch nicht). Gelistet sind auch noch RADIOFUNKEN Platten mit dem alten Etikett. Wenn diese ab verkauft sind, werden sie durch das neue RADIODISQUE Etikett ersetzt. Die neuen Radiodisque Platten ohne Gesang richten sich an "jede" Kundschaft - also auch die nicht deutsch - stämmige. Die Händler werden ausdrücklich auf diesen Umstand hingewiesen und ihnen angeraten von dieser Möglichkeit des Absatz/Verkauf Gebrauch zu machen.










































Bestellnummern - Serien

R 5000 - 25 cm
Ãœberwiegend eigene Aufnahmen aus New York

R 8000 - 25 cm
Populäre Aufnahmen, Telefunken - Umschnitte

R 7000 - 30 cm
Klassik Serie, Telefunken - Umschnitte

R 9000 - 30cm
? Bis jetzt nur wenige Bestellnummern nachgewiesen. Möglicherweise Verwendung von Aufnahmen aus Wien/Österreich.


Ironie am Rande: Während in Deutschland seit 1933 verboten, vertreibt Radiofunken noch die komplette "Drei Groschenoper" Serie; ursprünglich 1930 für Ultraphon aufgenommen.

Auffallend auch die recht reichhaltige Auswahl an Aufnahmen mit der "Deutschen Nachtigall" Erna Sack. Die Sopranistin nahm ab 1935 exklusiv für die Telefunken auf. Anscheinend war sie auch bei Radiofunken ein "Dauerbrenner". Auch auf den Nachkriegsausgaben von Radiofunken findet sich die Künstlerin in den USA recht häufig. In dem Videoportal YouTube ist eine Ausgabe auf roter Vinyl. Diese Platte ist mit einem Aufkleber für das Autogramm von Erna Sack zur Hälfte überklebt. Vermutlich wurde die Schallplatte bei ihrer zweiten US-Tournee 1954 signiert. Das Video macht deutlich: Die Überspielungen (Dubbings) reichen nicht immer an die von der Telefunken - Schallplatte gewohnte Qualität heran:





Die Ausführliche Geschichte...


Unsere ganze Geschichte spielt sich in Yorkville, NY ab - auch „Kleindeutschland“ genannt.




- Die Sponsoren

Sowohl der "Deutsch - Amerikanische - Bund", wie auch Anton Haegele mit seinem Hetzblatt "Deutscher Weckruf und Beobachter" versuchten über New Yorker Radiostationen Sendezeit zu buchen - die Sender lehnten ab. Anscheinend wurden nun hierfür "Bolle & Detzel", bzw. Herbert Oettgen vorgeschoben.



"Bolle & Detzel" führten Mitte der 30er Jahre in New York ein großes Möbelhaus. Dieses kauften sie jedoch erst im Dezember 1933 - vermutlich mit fremden Kapital. Vorher waren sie selber Akteure im Rundfunk. Ab 1934 waren sie die Hauptgeldgeber für die Sendungen unter Leitung von Oettgen (Sender WBNX). Außerdem waren das Möbelhaus und die Radio - Rundfunk Corp. direkte Nachbarn, gelegen im gleichen Block an der Ecke 84th Street und 3rd Avenue.






Bereits 1935 kamen sie in die Schlagzeilen, da einer der Besitzer Straftaten mit Nationalsozialistischem Hintergrund deckte. Nach einem zeitgenössischem Bericht war Willy Bolle ein Stadtbekannter Nazi, welcher auch wieder die Gruppen um Anton Haegele finanziell und durch große Anzeigen in seinem Hetzblatt unterstützte.



Nach dem Radio Skandal um Oettgen im Frühjahr 1942 wurden Bolle und Detzel kurzfristig vom FBI verhaftet und verhört. Da man ihnen jedoch weder direkte Straftaten noch Spionage nachweisen konnte, wurden sie wieder entlassen.

Willy Bolle wird 1942 zum Militär gemustert. Neben einer Adresse in NY gibt er noch an: "Novoting - Lake Valhalla". Hierbei handelte es sich (damals) um einen "Rückzugsort", kleinere Gemeinde welche von Deutschen Einwanderern gebaut wurde. Gut 30 Meilen von New York entfernt wurde für dieses Idyll extra der (neue) See "Walhalla" angestaut. Die einzelnen Häuser erbaut in teils mittelalterlichem, alpinen Stil. Domizile trugen so illustere Namen wie "House Valkyrie", Haus Walküre. Am Lake Valhalla ging es damals sehr christlich und sehr deutsch zu - um es wieder vorsichtig auszudrücken... Dies verdeutlich auch diese Anzeige von 1936:



...for sale, to refined Christian families.... privately owned and open only to a small group of selected families


Sinngemäß: Zutritt zu diesem privaten Erholungsort (Rückzugsort) hat nur eine kleine, ausgewählte Gruppe von kultivierten, christlichen Familien. Man hätte auch gleich ein Schild aufstellen können: "J... haben keinen Zutritt"...
Nach der Musterung verliert sich von Mr. Bolle jede Spur. Die Firma wird bald danach aufgelöst.

Im Sommer 1942 wird das Vermögen von Bolle & Detzel Inc. beschlagnahmt, da wiederum ihr Geldgeber das Kapital entzog. Im gleichen Zuge wurde jedoch auch dessen Vermögen beschlagnahmt. Hinter Bolle & Detzel steckte als Kapitalgeber eine (sehr konservative) Investmentfirma aus Amerika. In dieser lag wohl wieder recht viel Europäisches und Deutsches Vermögen...



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- Radio, Records & Skandale




Wann genau Herbert Oettgen anfing in deutschsprachigen Programmen für Rundfunksender zu arbeiten ist noch unklar. 1930 lebt Oettgen zur Untermiete in NY. Bei der Anreise im September 1931 gibt er als Beruf "Mechaniker" an. Er reist erneut nach Europa, bei der Ankunft im März 1932 nennt er als Beruf "Vize - Präsident". Innerhalb von einem halben Jahr vom Mechaniker zum Vize-Präsidenten; vermutlich steht diese Karriere in Zusammenhang mit den Rundfunksendungen. Auch Bolle & Detzel treten Anfang 1933 noch in Rundfunksendungen auf.

Im Laufe des Jahres 1933 wird er Direktor der "German Radio Hour" am New Yorker Sender WEVD. Auch über die Station WHOM ist er zu hören. Anfang 1934 wechselt er zum Sender WBNX; der Arbeitgeber WHOM hatte ihn gefeuert, da man "Nationalsozialistische Sympathien" bei ihm bzw. seinen Sendungen vermutete. Der Sender WBNX hatte sich auf fremdsprachige Programme und Sendungen für die vielschichtige Bevölkerung von New York spezialisiert. Bereits der Wechsel von Oettgen zum neuen Sender machte Probleme. WBNX strich im April 1934 eine Sendung welche sich sehr kritisch mit den politischen Verhältnissen in Deutschland und Italien (der sog. "Berlin-Rome Axis") beschäftigte. Nun wurde im Mai 1934 der Vorwurf laut, der Sender mache Raum für Nazi - Propaganda.

Edward Ervin, production manager of radio station WBNX, yesterday denied that his station had removed a program to make room for the broadcast of Nazi propaganda. Charges to this effect were made early this week by Theodore Nathan, of the magazine Debate.
May 4, 1934




Sinngemäß...

Radio Fan Magazin in Deutsch


Die erste (in diesem Land) Radiozeitschrift in Deutscher Sprache - Radio Rundfunk - wird bald erscheinen. Radio Rundfunk wird wöchentlich erscheinen. Herausgeber ist William C. Foerster, der Autor Herbert F. Oettgen. Das Magazin wird in New York verlegt.










Heute Abend um 8.30 Uhr wird die Deutsche Stunde auf WBNX eine Sendung ausstrahlen welche die Aktivitäten der "Deutschen Kolonie" der letzten drei Monate beleuchtet. Themen u. a.: Das Treffen zum Deutschen Tag am 3. Oktober im Madison Square Garden, ein Interview mit Erna Sack, die Eröffnung eines Weihnachtsmarktes usw...

Herbert Oettgen, deutscher Sprecher beim Sender WBNX welcher seine Produktion unter dem Namen Radio Rundfunk laufen lässt, sammelt mit seinem mobilen Aufnahmegerät wertvolle Ereignisse für den Rundfunk.

Diese Sammlung beinhaltet auch Stimmen vieler amerikanischer und europäischer Staatsmänner während ihren offiziellen Auftritten.





Bereits im Sommer 1937 geriet Oettgen mit seinen Sendungen und Aktivitäten jedoch in die öffentliche Kritik. In der Radio Variety warf man ihm und der Europa Import Company vor für unterschwellige Nazi Propaganda an New Yorker Rundfunksendern zu sorgen. Auch Frau Troja mit der Oettgen 1933 im Radio zu hören war, wird in diesem Zusammenhang erwähnt. Auch interessant: Die Europa Import Company verteilt kostenlose Schallplatten Kataloge. Über diese erhältlich: Überspielungen (!) von Telefunken Platten aus Berlin. Sprich, Oettgen begann bereits 1937 (oder früher) mit den Raubkopien der Telefunken Aufnahmen.





Bei einer Themenwoche 1937 zum Leben Deutscher und Italienischer Einwanderer in New York gibt es nicht nur Ansprachen "fähiger Nazi - Redner" (able Nazi Speaker), Gemütlichkeit bei Sauerbraten und Klößen - man besucht auch die Europa Import Company in Yorkville. Neben Büchern und Zeitschriften, Kuckucksuhren und Lebkuchen verkauft diese auch Deutsche Schallplatten. Tempofunken?






Spätestens ab 1937/38 tritt auch die Radio - Rundfunk Corperation in Erscheinung. Diese steht als Firma hinter den Radiosendungen auf WBNX. Direktor ist Oettgen, der schon bekannte William Foerster Finanzdirektor.

Bolle & Detzel kauft die meiste Werbezeit; damit ist das Möbelhaus Hauptsponsor der Firma. Interessant der Zusatz am Ende: "Alle Programme in Deutsch und aufgenommen in Übersee." Ein deutlicher Hinweis auf die überspielten Schallplatten und Reden aus Deutschland. Auch die Europa Import Co. taucht hier als Geldgeber (durch Kauf von Werbezeit) auf. Man schob sich das Geld von der einen in die andere Tasche...




1939 nimmt Oettgen die Reden von Fritz Kuhn im Madison Square Garden vor gut 20.000 Anhängern und Besuchern auf 22 Schallplatten (30cm) auf. Anderen Sendern wird der Zugriff auf die Aufnahmen verweigert. Sie erschienen dann auf Radiofunken. Die Radio Rundfunk wird hier als Schallplattenfirma aus Yorkville genannt.


1941 ist die Corperation laut Branchenbuch auch Hersteller von Schallplatten - Radiofunken Records...






Mit Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg geraten Deutsche Radiosendungen ab Januar 1942 unter massive Beobachtung. Am 27. Februar veröffentlicht die Journalistin Dorothy Thompson einen (landesweiten) Artikel der Nationalsozialistische Aktivitäten in Amerika thematisiert. Gleich zu Beginn des Artikels geht sie auf Oettgen und die Radio - Rundfunk ein:



Herbert F. Oettgen, Präsident der Radio - Rundfunk, produziert und verkauft Schallplatten in Deutsch. Er nahm die Reden von (Fritz) Kuhn auf, ausgedehnt bewarb und verkauft er Platten Hitlers, des Horst - Wessel Lied und andere Nazi - Marsch Lieder.

Er prahlt mit seinen Freundschaften zu Führern des (Deutschamerikanischen) Bund. Während ich diese Zeilen schreibe, spricht er immer noch über die Deutsche Stunde (im Radio), finanziert von Deutschen Möbelhäusern.


Nach dem 8. März 1942 wird Oettgen und seine Sendungen im Rundfunk abgesetzt. Dies führt zu weiteren Nachforschungen an verschiedenen amerikanischen Sendern. In den nächsten beiden Jahren werden weitere Moderatoren und ihre Sendungen "vom Netz" genommen. Häufiger fällt dabei auch der Name von Frau Troya, sowie das Möbelhaus Bolle & Detzel.




Im Sommer 1943 dann die Verhandlung gegen Europa Import nach der Klage von Telefunken wegen den Raubkopien ihrer Schallplatten.

Spätestens nach diesem Urteil dürfte die Produktion von Radiofunken - Platten eingestellt worden sein. Auch das Möbelhaus Bolle & Detzel als Hauptfinanzier existiert nicht mehr. Oettgen und seine Firmen verschwinden für einige Zeit aus den Branchenbüchern und der öffentlichen Wahrnehmung.

Abgesang...

Der ehemalige Direktor der Radio - Rundfunk nennt sich nach dem Krieg einige Jahre Fred Herbert-Oettgen. Ab 1945 wird er als technischer Direktor bzw. Aufnahmeleiter der Carl Fischer Studios genannt. Ab c. 1946 erscheint auch die zweite Auflage der Radiofunken Schallplatten.




Es ist ab diesem Punkt nicht genau zu sagen welche Firma wann was genau produzierte. Oettgen belebte wohl auch wieder seine Radio - Rundfunk Corp.; Produzent der Platten könnten aber auch die Fischer Studios gewesen sein. Alleinvertreter der Kristall Schallplatten bzw. der Carl Lindström in Amerika war er sicherlich nie...




Die Europa Import (Importeur und Exporteur echt Schweizer Jodel - Platten...) steht nun unter Leitung eines gewissen Walter Reuter. Die genaue Firmenanschrift ist (noch) unbekannt.




Bereits 1949 ließ sich Oettgens erste Frau wegen "seelischer und menschlicher Grausamkeit" von ihm scheiden. 1955 ist er für einige Monate Moderator der Deutschen Fernsehstunde in New York. 1964 findet sich die letzte Spur von ihm: Er verkauft Lebensversicherungen.







Rückblickend betrachtet war Oettgen (neben einem guten Aufnahme - Techniker) mehr ein Strohmann für die verschiedenen Firmen. Zu eng ist seine "Karriere" mit der Radio - Rundfunk, Europa Import sowie den Geldgebern verbunden. Die tatsächlichen Drahtzieher dürften eher in den Kreisen um Fritz Kuhn, dem Bund sowie Anton Haegele zu suchen sein. Im Nachkriegsdeutschland wäre Oettgen wohl mehr als "Mitläufer" eingestuft worden - für die amerikanische Nazi - Szene der 1930er und 40er Jahre ein williges Bauernopfer...

Reise und Lebensdaten - Weitere Informationen:




In der Labelkunde


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