Bauart "Puck", Albert Költzow, Phonographen-Fabrik, Berlin (1897-98)
Starkton, Di Jan 31 2017, 14:04

Bauart "Puck", Albert Költzow, Phonographen-Fabrik, Berlin (1897-98)



HERSTELLER: Albert Költzow, Phonographen-Fabrik, Berlin
MODELL: Unbekannt, deshalb Hilfsbezeichnung Bauart "Puck"; ab 1899, mit veränderter Walzenaufnahme, Bezeichnung "Lyrophon"
SERIENNUMMER: Keine
JAHR: 1897-98 (dieses Modell)
DAMALIGER PREIS: Unbekannt; ab 1899: 18 Mark (große Ausführung), mit 2 Walzen
GEHÃUSE: Schwarz lackierte, mit goldenen Linien verzierte, lyrenförmige Trägerplatte aus Eisenguss
TRICHTER: Vermutlich Konus aus vernickeltem Zinkblech mit kegelstumpfförmiger Öffnung. Der derzeit verbaute Trichter ist nicht original.
MOTOR: 1-Feder
SCHALLDOSE: Vermutlich mit Gehäuse aus Hartgummi, ähnlich Columbia von 1894-96

INTERESSANTE DETAILS:









Diese Zeichnung aus einer Anzeige von Költzow & Russ, die mir ein Forenmitglied netterweise zur Verfügung stellte, diente zur Identifikation des Phonographen - vor allem anhand der markant geformten, gegossenen Grundplatte. Kaum zu erkennen: ein hakenförmig gebogener Draht in einer Bohrung am Ständer der Welle, welche die Walze trägt, dient wohl zur Ablage der Schalldose, siehe die Abbildung weiter unten von Gianni Bettinis "Lyrophone" mit einer ähnlichen Vorrichtung.

Offensichtlich trägt der "Lyrophon"-Phonograph in der Anzeige bereits einen Walzenkonus und nicht die Vorrichtung zum Einklemmen der Walze zwischen zwei Scheiben. Es gibt noch andere Abweichungen meines Phonographen mit der auf der Zeichnung dargestellten Ausführung, zum Beispiel die Schalldosenablage auf einem kleinen Ständer, der auf der Grundplatte befestigt ist. Auch den Bremshebel, welcher auf die Scheibe des Drehzahlreglers wirkt, sehe ich auf der Grafik nicht. Dieser könnte jedoch eine Nachrüstung sein.


Der Standfuß links ist höhenverstellbar damit der Walzenträger horizontal ausgerichtet werden kann


Die Walze wird zunächst locker auf einen Holzzylinder gesteckt und dann zwischen zusammen geschobenen, konkaven Scheiben zentriert und fixiert. Die Antriebsschnur fehlt bei diesem Exemplar. Links ist der Ständer mit Bohrung, vielleicht zum Einstecken eines gebogener Drahts zur Ablage der Schalldose.


Alfred Schoeller von der Fabrik Schoeller & Co. aus Frankfurt am Main übernahm das Prinzip für seine Phonographen mit Geldeinwurf. Hier ein Auszug aus der Gebrauchsanleitung für den "Telephon-Phonograph" von Mitte 1898




Durch Drehen des Hebels ganz rechts, welcher auf die Scheibe des Drehzahlreglers wirkt, wird der Motor abgebremst

HISTORISCHER HINTERGRUND:

Der Mechaniker Albert Költzow eröffnete nach eigener Darstellung am 1. April 1890 in Berlin die erste deutsche Fabrik in der auch Phonographen hergestellt wurden. Seine Kunden waren fast ausschließlich Schausteller, welche 500 bis 600 Mark, das heißt ein halbes Jahresgehalt, für diese Jahrmarktsensation ausgeben konnten. Költzow verkaufte auch selbst aufgenommene Walzen zum Stückpreis von 4 bis 15 Mark, je nach Qualität und Nachfrage.

Ab 1894 erwuchs Költzow zunehmende Konkurrenz durch den Berliner Geschäftsinhaber Wilhelm Bahre, der mindestens seit dem Jahr 1890 Sprechmaschinen vertrieb. Dieser hatte sowohl Walzenspieler aus deutscher Herstellung als auch aus den USA importierte Edison Phonographen und Graphophone im Angebot. Költzow und Bahre verkauften um 1897 jeder etwa 700 bis 1000 Walzenspieler im Jahr und waren damit Marktführer in Deutschland.

Ludwig Stollwerck, Erbe und Vertriebsleiter der Kölner Schokoladenfabrik Stollwerck & Co. A.G., erwarb im Oktober 1895 die deutschen Patentrechte am Edison Phonographen und gründete kurz darauf zusammen mit anderen Investoren die Deutsche Edison Phonographen Gesellschaft. Költzow und Bahre, welche ihre Geschäfte bisher im rechtsfreien Raum getätigt hatten, wurden umgehend zu Patentverletzern erklärt und durch Stollwerck beim Berliner Landgericht verklagt. Der komplizierte Prozess zog sich allerdings über Jahre hin.

Am 25. August 1897 ließ sich Wilhelm Bahre das Wortzeichen „Puck“ für einen von dem Amerikaner Gianni Bettini erfundenen, genial einfachen, Phonographen mit lyrenförmiger Bodenplatte schützen. Neben seinem günstigen Preis war es vor allem die Lautstärke, bedingt durch die direkte Verbindung zwischen Schalldose und Trichter, welche den „Puck“ auch für private Konsumenten interessant machte. Albert Költzow, der sich mit Bahre einen erbitterten Preiskampf lieferte, baute den „Puck“ offensichtlich nach.

Der Vorläufer des "Puck": "Lyrophone" von Gianni Bettini, USA, Mai 1897

Am 12. November 1897 entschied das Berliner Landgericht schließlich gegen Wilhelm Bahre. Zum Verhängnis wurde ihm die durch Edison Patent geschützte Walze mit Innenkonus, welche auf einen Walzenträger mit Außenkonus geschoben wird. Auf jedem damals in Deutschland verkauften Phonographen wurde die Walze auf diese Weise befestigt. Bahre legte zwar sofort Berufung ein, war aber ernsthaft beeindruckt und bot der Deutsche Edison Phonographen Gesellschaft einen Vergleich an, das heißt Lizenzzahlung für jeden von ihm verkauften Phonographen.

Albert Költzow war über die Niederlage seines Konkurrenten erfreut, ließ sich von dem Urteil nicht schrecken und konterte auf seine Weise: Bereits am 3. Dezember 1897 meldete er ein Gebrauchsmuster an für eine „Die Wachswalze nur an den Rändern berührende Vorrichtung zum Befestigen der Sprechwalzen bei Phonographen.“ Die Walze wurde locker auf einen viel zu kleinen Zylinder gesteckt und anschließend an ihren Rändern zwischen zwei zusammen geschobenen, konkaven Scheiben zentriert und fixiert.

Im Vergleich zum konischen Walzenträger war diese Art der Befestigung umständlich und deshalb nur auf zwei Einzelexemplaren früher deutscher Phonographen überliefert. Die Staatsanwaltschaft weigerte sich damals, Bahre und Költzow aufgrund des gewonnenen Prozesses zu verfolgen, da wegen der Berufung das Urteil noch nicht rechtskräftig war. Zu Ludwig Stollwercks großer Verbitterung konnten beide ihre Geschäfte ungestört weiterführen.

Re: Bauart "Puck", Albert Költzow, Phonographen-Fabrik, Berlin (1897-98)
alang, Di Jan 31 2017, 14:46

Hallo Stephan, vielen Dank fuer die Vorstellung dieses interessanten fruehen Puck Modells. Unabhaengig vom Hersteller sind wirklich die meisten Pucks groesstenteils identisch, bis auf die paar von Dir beschriebenen Details. Besonder interessant ist natuerlich der Walzentraeger mit seiner Spannvorrichtung. Auch andere Hersteller versuchten ja die Edison Patente zu umgehen, wie z. B. beim Amet Echophone mit seinem gestuften Walzentraeger. Die sonstigen kleinen technischen Verbesserungen, die natuerlich auch immer mehr oder weniger erfolgreich patentgeschuetzt wurden, sind auch aeusserst interessant, da sie doch einige der Nachteile des einfachen Puck Mechanismus zu beheben versuchen. Insgesamt war aber selbst das Bettini Modell schon so ausgereift, dass ausser den kleinen Details fuer die naechsten 20 Jahre kaum was grundlegendes veraendert wurde.

Koenntest Du bitte noch etwas ueber die Geschichte dieses speziellen Geraetes erzaehlen (insofern bekannt), auch wie und wo Du es gefunden hast usw?

Nochmal vielen Dank fuers Vorstellen und viele Gruesse.
Andreas

Re: Bauart "Puck", Albert Költzow, Phonographen-Fabrik, Berlin (1897-98)
Starkton, Di Jan 31 2017, 16:11

alang schrieb ...

Koenntest Du bitte noch etwas ueber die Geschichte dieses speziellen Geraetes erzaehlen (insofern bekannt), auch wie und wo Du es gefunden hast usw?

Über die Geschichte dieses Phonographen gibt es leider wenig zu erzählen. Ich habe ihn bei Breker in Köln ersteigert. Der Puck war zum kleinen Preis angeboten worden, so dass ich gehofft hatte ein Schnäppchen zu machen. Leider gab es dann doch zwei Kenner, darunter mit Sicherheit Julien Anton, welche die Seltenheit und historische Bedeutung dieses Puck erkannten. Ich habe live im Internet mitgeboten, den Puck schließlich gewonnen und ein paar Tage später in Köln abgeholt.

Die Webseite von Julien Anton lohnt sich ausserordentlich. Er hat Fantastisches zusammen getragen: Link - Hier klicken

Re: Bauart "Puck", Albert Költzow, Phonographen-Fabrik, Berlin (1897-98)
EddieCondon, Di Jan 31 2017, 19:06

... wow - sehr schöne Vorstellung mit guten Einzelaufnahmen und vielen interessanten Details !

Vielen Dank für die Mühe und die nette Präsentation !!
Beste Grüße
Michael

Re: Bauart "Puck", Albert Költzow, Phonographen-Fabrik, Berlin (1897-98)
veritas, Mi Feb 01 2017, 13:09

Die Pucks waren für das Walzenformat Segen und Fluch zugleich.

Durch die fehlende Spindelführung und die trichterbedingt hohe Schwenkmasse mußte im Regelfall mit größeren Auflagegewichten gearbeitet werden, zumal das halbrunde Rillenprofil einer Walze deutlich weniger Grip hatte als das einer gewöhnlichen Schallplatte mit Seitenschrift. Das brachte dann die beworbene Lautstärke mit sich, die bei diesen Geräten schnell ihren Tribut forderte. Durch die mechanische Beanspruchung nutzten sich die Wachswalzen um ein Vielfaches schneller ab, als mit den Geräten von Edison oder Columbia, die eine Spindelführung besaßen. Wachswalzen-Sammlungen von früheren Puck-Besitzern sind daher oft nur noch teilweise spielbar.

Die hier ungewöhnliche Lösung des Walzenträgers ist technisch sehr interessant. Sie ist auch ziemlich gruselig. Ein damaliger Besitzer wird dafür die Walze mit den bloßen Händen positioniert und damit direkt auf die Rillen gefaßt haben. Bedingt durch Fingerabdrücke bilden sich bei Wachswalzen regelmäßig Rauschfelder, die sich nach ihrer Entstehung nicht mehr entfernen lassen. Deshalb sollte man Fingerabdrücke möglichst sofort mit 70%igem Isopropylalkohol vorsichtig entfernen.

Die Bezeichnung Phonograph ist für einen Puck übrigens nicht richtig. Passender ist der Begriff des Walzenspielers, da der Wortbestandteil "Graph" die Bedeutung "Schreiber" hat (Phonograph = Tonschreiber). Für einen Puck ist das Fehlen einer Spindelführung und damit der Möglichkeit zur Selbstaufnahme charakteristisch.

Re: Bauart "Puck", Albert Költzow, Phonographen-Fabrik, Berlin (1897-98)
Starkton, Mi Feb 01 2017, 18:25

Danke für die netten Worte, Michael. Es kostet in der Tat eine Menge Zeit so einen Beitrag zu verfassen. Deshalb freue ich mich über Kommentare aller Art.

Julien Anton hat auf seiner Webseite (link siehe oben) zwei weitere Umgehungen des patentierten konischen Walzenträgers abgebildet.



Der obige ist ein ab Ende 1899 in Berlin hergestellter Puck. Der Walzenträger ist ein Holzzylinder mit aufgenagelten Blattfedern, um die Walze festzuklemmen. Das ist bereits eine verbesserte Variante. Bei den ersten in England importierten Lindström-Pucks fehlten die Blechstreifen noch. Man musste sich mit Papierstückchen behelfen, die zwischen Walze und zylindrischem Walzenträger eingeklemmt wurden.



Bei diesem Puck der Berliner Electro-Mechanische Werkstätten, G.m.b.H. von c. 1899 besteht der Walzenträger aus einem dreiflügeligen Blech. Es ist auf dem Foto nicht zu erkennen ob die drei Flügel einen leichten Konus ergeben - was zu erwarten wäre. Die Berliner Werkstätten hatten jedoch zudem ein Gebrauchsmuster welches Walzen mit einer Nut (bzw. mehreren Nuten!?) auf der Innenseite schützte. Man kann sich also weitere mögliche Arten des Aufsteckens der Walzen vorstellen.

Re: Bauart "Puck", Albert Költzow, Phonographen-Fabrik, Berlin (1897-98)
Starkton, Mi Feb 01 2017, 18:45

veritas schrieb ...

Die hier ungewöhnliche Lösung des Walzenträgers ist technisch sehr interessant. Sie ist auch ziemlich gruselig. Ein damaliger Besitzer wird dafür die Walze mit den bloßen Händen positioniert und damit direkt auf die Rillen gefaßt haben.

Da hast Du völlig recht. Ich kann mir deshalb auch nicht vorstellen, dass Költzow und andere diese Art der Walzenbefestigung länger als unbedingt nötig eingesetzt haben. Viele private Kunden dürfte diese umständliche und zeitaufwendige Konstruktion abgeschreckt haben. Ich habe mir das Gerät nur aus technikhistorischen Gründen gekauft. Es könnte der früheste erhaltene Puck sein, aber ich forsche natürlich weiter.

schrieb ...

Die Bezeichnung Phonograph ist für einen Puck übrigens nicht richtig. Passender ist der Begriff des Walzenspielers, da der Wortbestandteil "Graph" die Bedeutung "Schreiber" hat (Phonograph = Tonschreiber). Für einen Puck ist das Fehlen einer Spindelführung und damit der Möglichkeit zur Selbstaufnahme charakteristisch.

Sehr richtig, aber "Phonograph" (Tonschreiber) ist auch für alle anderen Walzenaufnehmer und -abspieler nicht zutreffend, weil unvollständig. Wenn man im Griechischen bleibt müsste die korrekte Bezeichnung Phono-graph-anagnostis, also Ton-schreiber-leser lauten. Phono-anagnostis wäre dann die korrekte Umschreibung des Puck.

Re: Bauart "Puck", Albert Költzow, Phonographen-Fabrik, Berlin (1897-98)
veritas, Mi Feb 01 2017, 21:20

Für Aufnahme-/Wiedergabe-Geräte ist der Begriff "Phonograph" schon zutreffend, lediglich nicht vollumfänglich. Der Terminus Phonographanagnostis wäre dann der umfassende Terminus. Im Amerikanischen ist der Begriff "Phonograph" ebenfalls regelmäßig in falscher Verwendung, da damit ebenfalls Grammophone und oft auch moderne Plattenspieler bezeichnet werden.

Historisch sind die Pucks durchaus eine Quelle des Erfindungsgeistes und sehr dekorativ obendrein.

Re: Bauart "Puck", Albert Költzow, Phonographen-Fabrik, Berlin (1897-98)
DGAG, Fr Jan 25 2019, 22:54

Ein nettes Forenmitglied hat mir eine Anzeige der "Fabrik lautsprechender Phonographen Költzow & Russ" geschickt, alte Firmenbezeichnung "Continental-Phonographen-Fabrik Költzow & Ruß." Danach konnte ich meinen Phonographen besser zuordnen und datieren. Siehe oben. Außerdem habe ich jetzt eine Vorlage zur Nachfertigung des Trichters.