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Königlicher Kapellmeister Adolf Becker
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GrammophonTeam
Di Apr 07 2015, 18:52 Druck Ansicht
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Friedrich Adolf August Max Becker


* 16. Dezember 1870 in Berlin (?); † 14. Juni 1941 in Berlin
Kapellmeister, Obermusikmeister, Militärmusiker, Komponist


KAISER FRANZ-GARDE-GRENADIER-REGIMENT NR. 2


Heute fast völlig vergessen, war Adolf Becker einer der Pioniere der Unterhaltungsmusik auf Schallplatte und Walze in Deutschland. Unter seiner Leitung entstanden in den ersten Jahren der kommerziellen Tonaufzeichnung hunderte von Aufnahmen - ähnlich wie Max Büchner zählt Adolf Becker und der Musikzug des in Berlin stationierten Kaiser Franz-Garde-Gren.-Regt. zu den ersten Plattenstars der Kaiserzeit.

Vermutlich in Berlin geboren, heiratete Adolf Becker nach Ostpreußen. Seine junge Frau starb jedoch im Alter von gerade achtzehn Jahren 1900 im damaligen Allenstein (heute Olsztyn, Masuren). Die Sterbeurkunde vom Juni 1900 gibt auch Auskunft zu dem Witwer: Er war noch beim 1. Ermländischen Infanterie-Regiment Nr.150 in Allenstein stationiert. Wohl bald danach kommt Becker zum Kaiser Franz-Garde-Gren.-Regt. nach Berlin. Hier wird er zu einem der jüngsten, wenn nicht dem jüngsten königlichen Kapellmeister (Obermusikmeister) in der preußischen Armee.

Was später die Tanz- und Unterhaltungsorchester wurden, waren vor und um die Jahrhundertwende 1900 die Militärorchester. Kaum ein Ausflugs- oder Bierlokal welches am Wochende das Publikum nicht mit einem Musikzug lockte. Anders als im Tingel - Tangel galt der Beruf des Militärmusikers als ehrenhaft. Die Orchester waren fester Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens, nicht nur zum Tanz oder beim Konzert, kaum ein Umzug oder öffentliche Ansprache kam in der Wilhelminischen Zeit ohne das Orchester eines Regimentes aus. Dazu aus dem Magazin "Berliner Leben - Zeitschrift für Schönheit & Kunst" vom August 1906:

Die Musik ist ein versöhnendes Element. Sie ist nicht nur international und darum friedlicher Natur, sie vermag auch innerhalb einer Nation Verstimmungen zu beseitigen und Leidenschaften zu besänftigen. Als Mittel zum Zweck kann daher unsere Militärmusik nicht hoch genug geschätzt werden und ebenso unsere Musikdirigenten, die diese Musik pflegen. Ein Kapellmeister vermag oft mehr als ein General. wenn er mit einem alle Lebensgeister weckenden Kriegsmarsch die Truppen zum Kampfe anregt und ins Feld führt, aber er kann auch mit einem Staatsmann verglichen werden, der mit seiner Persönlichkeit und seiner Mission Gegensätze überbrückt.

Zur Popularität unseres Militärs trägt jedenfalls am meisten der Kapellmeister bei, wenn er mit militärischer Sicherheit und musikalischem Talent seinen Taktstock schwingt und sei es auf der Strasse oder in Gärten oder in den Innenräumlichkeiten grösserer Bieretablissements das Publikum fesselnd, musikalische Unterhaltung bietet. So sind die Kapellmeister der Berliner Garde-Regimenter geschätzte Bekannte und beliebte Freunde des Berliner Publikums - vielleicht noch mehr des Publikums, als der militärischen Welt, der sie angehören.


Schnell avancierte Adolf Becker, Obermusikmeister des Kaiser Franz Garde Grenadier Regiment II, zum Liebling des Berliner Publikum. Kaum eine Woche verging in der der Kapellmeister mit seinem Orchester nicht irgendwo in der Stadt oder dem Umland zu hören war. An Beliebtheit fast mit seinem amerikanischen Kollegen John Philip Sousa zu vergleichen, legte er ebenso Wert auf ein modernes Repertoire und eine "schmissige" Spielweise seines Orchesters. Von den Berlinern bekam einen Spitznamen verpasst: ‘Adolf mit dem Paukenschlag’.




Die Konzerte beschränkten sich nicht nur auf Märsche; musikalische Possen und Operetten standen ebenso im Notenbuch wie Walzer, Rheinländer und Tongemälde. Kein Wunder dass die junge Schallplattenindustrie auf das Orchester aufmerksam wurde, man hatte nämlich ein Problem...
1902
x1



Der jungen Sprechmaschinenindustrie um 1900 fehlte es noch an guten Phonographischen Orchestern. Aufgrund verschiedener technischer Gegebenheiten ließ sich kein "normales" Orchester aufnehmen. Streichinstrumente hörte man kaum, andere Instrumente klangen recht schrill im Trichter. Partituren mussten gekürzt und umgeschrieben werden. Dazu kam die Spielzeitbeschränkung einer Walze oder Schallplatte. Am besten, da Aufnahmesitzungen teuer, ohne Fehler vom Blatt gespielt. Die wenigsten Orchester und Musiker waren diesem Streß gewachsen. Techniker der Zeit berichteten teils von einem ganzen Tag mit verworfenen Matrizen/Takes ohne das eine verwertbare Aufnahme zustande kam.



1904 - Nicht Adolf Becker!


Akustisch eigneten sich am besten Blasorchester bzw. Blechinstrumente. Was lag also näher als ein gut gedrilltes Militärorchester für die Aufnahmen zu verpflichten? Adolf Becker schien mit seinem Orchester all den Ansprüchen der Schallplattenfirmen gerecht zu werden. Neben Max Büchner (Büchner Orchester) gab es wohl kein zweites Orchester welches bis c. 1910 so häufig in einem Aufnahmeraum anzutreffen war.
1904




Für fast jede Berliner Firma, von Adler über Edison (Walze) und Grammophon bis Zonophone stand der königliche Kapellmeister vor dem Aufnahme - Trichter. Ähnlich wie bei Konzerten, spielte er und das Orchester die ganze geforderte Bandbreite von Cakewalks und Ragtime über Charakterstücke, Tanzmusik bis hin zu Operetten-Melodien und leichten Ouvertüren. Und natürlich auch Märsche...
1906

x1



Mit verbesserten Aufnahmetechniken ließ die Aktivität im Aufnahmestudio von Adolf Becker nach 1910 bereits nach, der Ausbruch des ersten Weltkrieg setzte seiner Plattenkarriere vorerst ein Ende. Das Kaiser Franz-Garde-Gren.-Regt. wurde an die Westfront zwischen St.-Quentin, Reims und Flandern beordert. Im Oktober 1914 erhielt Adolf Becker das eiserne Kreuz. Ebenfalls im Oktober 1914 schickt er einen damals üblichen "Frontbericht" in Form eines Leserbriefs an den Berliner Börsen - Kurier. Dieser wird auch in einer Wiener Zeitung abgedruckt:

„Wir lagen nach langem Marsche bei G. im Biwak und freuten uns, angesichts der lieblich dampfenden „Gulaschkanonen", auf eine ausgiebige Nachtruhe. Aber um 1/2 3 Uhr nachts wurden wir plötzlich alarmiert. Unsere Vorposten waren mir starken französischen Kräften in Berührung gekommen und sofort war das ganze Lager lebendig.

Bald war ein heftiges Gefecht in: Gange. Die französische Artillerie feuerte aus gedeckter Stellung unaufhörlich. Mit scharfem Pfeifen kamen die Granaten herangesaust, um mit riesigem Krachen zu explodieren. Die feindliche Infanterie schoß ebenfalls sehr lebhaft, ohne aber in der Dunkelheit unsere Stellung richtig erkennen zu können.

Ich ging mit meinen Musikern in gedeckter Stellung vor, bis ich den Obersten v. R. traf, der mir den Auftrag gab, auch meinerseits an dem höllischen Konzerte teilzunehmen. Ich schob mich mit meinen Leuten also bis in die vordersten Gräben vor, ließ die Instrumente auspacken und spielte zur großen Erheiterung unserer Mannschaften das schöne Lied „O, wie wohl ist mir am Abend". Nach einiger Zeit, als der Mond, der sich bis dahin hinter dichten Wolkenschleiern verborgen gehalten hatte, plötzlich auftauchte und das Schlachtfeld mit den platzenden Granaten beleuchtete, begrüßten wir ihn freudig mit der Weise: „Guter Mond, du gehst so stille", in die die Mannschaften lebhaft einfielen.

Einige Zeit später versuchten die Franzosen, vorzugehen, und prompt empfingen wir sie mit dem Schlager „Puppchen, du bist mein Augenstern". Die Franzosen schienen dieser Versicherung aber nicht zu trauen, denn sie zogen sich unter dem schallenden Gelächter der Unseren, die glänzend schossen, schnell wieder zurück. Um dem Gegner klar zu machen, wem er sich gegenüber befinde, stimmte ich hierauf den feurigen „Radetzki-Marsch" an und beschloß das Konzert, gerade, als die Sonne im Osten blutrot emporstieg, mit dem zuversichtlichen Choral „Wie schön feuchtet der Morgenstern", in den gar mancher, der im Schützengraben, das Gewehr im Anschlag, lag, kräftig mit einstimmte."

Obermusikmeister Becker
Deutsches Volksblatt, Wien, No. 9259, 14.10.1914



Noch zu Kriegszeiten heiratet der Dirigent am 16. März 1916 in Berlin seine dritte Frau Martha Becker, geborene Noelte.



Nach Kriegsende entstehen nur noch vereinzelt Aufnahmen (z. B. VOX - 1922), die Militärorchester aus der Zeit der Jahrhundertwende galten als veraltet und wurden durch moderne Besetzungen mit Geigen oder Saxophonsatz abgelöst. Obermusikmeister Becker leitete nun zivil das ehemalige Regiments Orchester. Nicht nur blieben die Auftritte und Konzerte zahlreich, ab 1923 fand der Kapellmeister auch rege Beschäftigung am jungen Rundfunk. Über den Sender Berlin war er nun auch regelmäßig zu hören. Auf Schallplatte (Odeon, Electrola, TriErgon, Kristall, Eltag, Grammophon) war er zwar fast nur noch mit Märschen zu hören, bei Konzerten deckte er aber weiterhin das ganze Spektrum an gehobener Unterhaltungsmusik ab.

Zu seinem 60. Geburtstag 1930 sendete die Funkstunde in Berlin ein großes Festkonzert. Ab den frühen dreißiger Jahren arbeitete Becker überwiegend am Hamburger Sender NORAG, gemeldet bleibt er jedoch unter seiner Berliner Adresse. 1934 geht er in den Ruhestand.


Das Adressbuch verzeichnet Adolf Becker, Obermusikmeister a. D., letztmals 1941. Am 14. Juni 1941 stirbt Adolf Becker. Zusammen mit seiner bereits 1931 verstorbenen Frau ist er auf dem Luisenstädtischer Friedhof in Berlin, Friedrichshain bestattet.




Bild und Tonquellen x1: GRAMOFON ONLINE


[ Bearbeitet Di Apr 07 2015, 21:55 ]
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gramofan
Di Apr 07 2015, 19:16
⇒ Mitglied seit ⇐: Sa Okt 01 2011, 20:32
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Beiträge: 1167
Herzlichen Dank ans Team für diesen Beitrag. Zwar ist das nicht so ganz meine Musik (wenn man mal von den Ragtime-Aufnmahmen absieht), aber der Name war mir schon vor Langem immer wieder in Wühlkisten auf Flohmärkten aufgefallen - nur konnte ich damals damit nie so recht etwas anfangen.
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krammofoon
Di Apr 07 2015, 20:55
Schellack-Gnadenhof
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Beiträge: 1214
Servus :-)

Meine bisher einzige Platte des Adolf Becker - und die noch als Nachpressung aus keine Ahnung wann....





Gruss
Georg
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WalterSchwanzer
Di Apr 07 2015, 23:17
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WalterSchwanzer
Di Apr 07 2015, 23:19
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WalterSchwanzer
Di Apr 07 2015, 23:23
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Blasorchester des Obermusikmeisters a. D. Adolf Becker auf Novaphon, Kalliope (VDM), Tri-Ergon, Vox, Kristall





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Graf_Phono
Mi Apr 08 2015, 10:59
⇒ Mitglied seit ⇐: Mi Okt 24 2012, 13:50
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Beiträge: 34
Hier ein relativ früher Becker von 1903:



Die Aufnahme dazu bei youtube: Hier klicken.
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Barnabás
Mi Apr 08 2015, 20:34
⇒ Mitglied seit ⇐: Mi Jul 04 2012, 20:37
Beiträge: 651
Kristall Katakog 1930:

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krammofoon
Mi Apr 08 2015, 20:43
Schellack-Gnadenhof
⇒ Mitglied seit ⇐: Mo Jun 27 2011, 20:47
Beiträge: 1214
Servus :-)

Eine hab´ ich noch....... weiß nur im Moment nicht, von wann.......




Gruss
Georg
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WalterSchwanzer
Mo Jun 15 2015, 20:29
⇒ Mitglied seit ⇐: Mo Dez 08 2014, 12:34
Wohnort: Rohrendorf
Beiträge: 467
Ein echtes GUSTOSTÜCKERL von Josef Zistler, k.u.k. Kapellmeister beim Inf. Regt. Nr. 76
Diesen Marsch konnte ich bisher auf keiner österreichischen Aufnahme finden.


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Formiggini
Mo Jun 15 2015, 20:37

⇒ Mitglied seit ⇐: Di Dez 28 2010, 19:20
Beiträge: 1579
Interessant dass hier der Zusatz "königlicher" Kapellmeister... fehlt. Ist dir bekannt ob die Aufnahme in Österreich und Deutschland verkauft wurde; bzw. wo war der "Fundort"?

Viele Grüße
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WalterSchwanzer
Mo Jun 15 2015, 22:43
⇒ Mitglied seit ⇐: Mo Dez 08 2014, 12:34
Wohnort: Rohrendorf
Beiträge: 467
Im österreichischen Katalog 1912 von Favorite-Schallplatten findet man diese Platte.
Also dürfte diese Aufnahme in Deutschland und Österreich vertrieben worden sein.

LG Walter
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GrammophonTeam
Sa Jun 18 2016, 09:52
Seitenbetreiber

⇒ Mitglied seit ⇐: So Sep 04 2011, 14:54
Wohnort: Köln
Beiträge: 1825


Obermusikmeister Adolf Becker mit seinem Blasorchester während einer Schallplatten - Aufnahme (Tri-Ergon, 1928)
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GrammophonTeam
So Jul 10 2016, 15:46
Seitenbetreiber

⇒ Mitglied seit ⇐: So Sep 04 2011, 14:54
Wohnort: Köln
Beiträge: 1825
1928 - Odeon


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