Foren
Foren > Firmengeschichte, Labels, Hüllen, und Matrizen > Studio/Aufnahmeorte
Bachsaal und Schwechtensaal - Lützowstrasse
Moderatoren:SchellackFreak, berauscht, GrammophonTeam, Charleston1966, DGAG, Der_Designer, LoopingLoui
Autor Eintrag
Formiggini
Do Nov 12 2015, 17:24 Druck Ansicht

⇒ Mitglied seit ⇐: Di Dez 28 2010, 19:20
Beiträge: 1579
Die renommierte Berliner Klavierbauerfirma Georg Schwechten ließ in der Lützowstrasse (Berlin-Tiergarten) mehrere Konzertsäle errichten, welche auch häufig von Schallplattenfirmen zur Aufnahme genutzt wurde.



Schon 1907 wurde im Auftrag von Robert Gastitschek der Blüthner-Saal in der Lützowstrasse 76 erbaut. Dieser war eng mit dem nahe gelegenen Konservatorium (Klindworth-Scharwenka, Genthiner Straße) verbunden. 1927 wurde der Blüthner-Saal in Bach-Saal umbenannt. Diesen nutzte die Homocord für ihre "Fernaufnahmen"; d.h. die Mikrofonsignale wurden per Telefonleitung aus der Lützowstr. ins Aufnahmestudio geleitet, dort dann die Wachsplatte bespielt.

Bachsaal / Blüthnersaal


(1927)








1921 wurde, ebenfalls in der Lützowstrasse 76, der Schwechten - Saal als Konzertsaal eingeweiht.



Bereits 1927 erfolgte ein kompletter Umbau dieses Saals.






Spätestens ab diesem Jahr nutzte die Grammophon AG den Schwechtensaal auch als Aufnahmeraum.



Sowohl Bach- wie auch Schwechten-Saal wurden von der Grammophon bis 1938 genutzt, dann erfolgten die Aufnahmen in den neu gestalteten Studios in der Alten Jakobstr. 1942 wurde der Schwechten- in Schumann-Saal umbenannt, bis 1945 dienten beide Säle noch für Konzerte.

Das Dach des Schumann (Schwechten) Saal wurde bei einem Bombenangriff schwer getroffen, aber wieder instand gesetzt. Durch einen Großbrand 1949 wurde der Bachsaal zerstört; der Schwechten-Saal viele Jahre als Lager genutzt. Der Saal existiert heute noch fast unverändert, liegt aber seit vielen Jahren verschlossen und vergessen in einem "Dornröschen-Schlaf".

[ Bearbeitet Fr Nov 13 2015, 23:00 ]
Nach oben
Webseite
Gast
Do Nov 12 2015, 19:06
Gast


Nach oben
Musikmeister
Do Nov 12 2015, 19:53
Autor
⇒ Mitglied seit ⇐: So Aug 21 2011, 21:23
Wohnort: Hamburg
Beiträge: 1078
Vielen Dank für diesen Beitrag!

Da möchte ich nochmal diesen alten Thread mit den Ziffern im Spiegel nach dem Technikerkürzel bei Grammophon-Platten "hochholen". ( Link - Hier klicken )

Meines Wissens wurden für die Lützowstrasse 76 die Ziffern 3 sowie 6 genutzt. Eine der beiden Ziffern wird dann wohl für Aufnahmen im Bach-Saal, die andere für Aufnahmen im Schwechten-Saal genutzt worden sein.
Nach oben
jitterbug
Do Nov 12 2015, 21:39
⇒ Mitglied seit ⇐: Mi Mär 27 2013, 16:49
Wohnort: Berlin
Beiträge: 405
Formiggini schrieb ...

Die renommierte Berliner Klavierbauerfirma Georg Schwechten ließ in der Lützowstrasse 76 (Berlin-Tiergarten) mehrere Konzertsäle errichten, welche auch häufig von Schallplattenfirmen zur Aufnahme genutzt wurde.


(...)

Hallo Uli,
Bei der Kennzeichnung im Berliner Stadtplan ist Dir leider ein Fehler unterlaufen: Du markiertest mit Deinem Kries das Grundstück Lützowstraße 111, wo sich auf dem Gelände der Victoria-Brauerei neben einer kleinen Sephardischen Synagoge auch später in den Konzert-und Festsälen die Aufnahmestudios der Deutschen Grammophon befanden. Dieses Grundstück ist nach dem Krieg vollständig geräumt worden und stand jahrzehntelang im Wildwuchs als Brache leer, inzwischen wird der gesamte Bereich an der Flottwellstraße als Luxus-Wohngebiet mit Eigentumswohnungen bebaut.

Das Gebäude Lützowstraße 76 ist größtenteils noch erhalten: Es befindet sich als das zweite Grundstück westlich des Magdeburger Platzes auf der südlichen Straßenseite der Lützowstraße, neben dem Eckhaus der Genthiner Straße (siehe Plan weiter unten).

1907 gebaut, befanden sich ursprünglich nur zwei Säle im Gebäude: Der Blüthnersaal und der Klindworth-Scharwenka-Saal des nahegelegenen gleichnamigen Konservatoriums.


Führer durch die Konzertsäle Berlins: 7. - 19. März 1921

1923 zog sich das Klindworth-Scharwenka-Konservatorium in Folge von Inflation und wirtschaftlichen Schwierigkeiten zurück und Oskar Schwalm als Verleger und Unternehmer in der Klavierfabrik seines Schwiegervaters Julius Blüthner übernahm die Säle. 1928 war das Gebäude dann in drei Säle unterteilt worden:
Feurig-Saal (330 Plätze) im Erdgeschoss, Bachsaal (1162 Plätze) und Schwechten-Saal (500 Plätze) in der ersten Etage.

1932 wurde der im Erdgeschoß gelegene Saal geschlossen.

Das Gebäude wurde nach dem Tode des alten Eigentümers Oskar Schwalm im Februar 1936 von der Stadt Berlin erworben, der Schwechten-Saal in Schumann-Saal umbenannt.

Im Schumann-Saal fanden unter anderem Auftritte des jüdischen Kulturbundes in der Regie von Max Ehrlich statt. Auch diente er der Deutschen Grammophon für Plattenaufnahmen, wobei in erster Linie klassische Musik dort produziert wurde. Die Tanzmusikaufnahmen erfolgten in der Regel im anderen Studio in den Räumen der ehemaligen Victoria-Brauerei in der Lützowstraße 111.


Monatsblätter Jüdischer Kulturbund Dezember 1936

Die Deutsche Grammophon bezog nach Zusammenlegung mit der Telefunken im Jahre 1938 neue Studioräume in der Alten Jacobstraße 30-32, dem ehemaligen Central-Theater. Das alte Studio in der Lützowstraße 111 fiel der Spitzhacke zum Opfer im Rahmen der Neugestaltung Berlins als Hauptstadt "Germania".

Nach Kriegbeschädigung und Zwischennutzung als Möbellager, ist das gesamte Gebäude heute in Besitz einer Sanitärfirma, die den noch mit Patina rudimentär erhaltenen Schumann-Saal als Aktenlager und für Betriebsfeiern benutzt. Leider ist das Gebäude nicht öffentlich zugängig.


Stadtplan Berlin 1946 (bereits mit Straßenumbenennungen

So wühlt man sich durch alte Stadtpläne der vergangenen Jahrzehnte, läuft durch Straßen und rekonstruiert alte Nummerierungen anhand von Parzellen... Meine Mutter war im Elisabeth-Krankenhaus geboren worden und verbrachte ihre Kleinkindheit bis zur Deportation in der Kurfürstenstraße, daher habe seit jeher ich starkes Interesse an dieser Gegend.

Einige Informationen konnte ich dem Buch "65 Jahre Deutsche Grammophon 1898 - 1963", Edwin Hein, entnehmen.

Viele Grüße vom "ollen Berliner" Stephan
Nach oben
Formiggini
Do Nov 12 2015, 21:58

⇒ Mitglied seit ⇐: Di Dez 28 2010, 19:20
Beiträge: 1579
Hallo Stephan,

danke dir für deine ausführliche Dokumentation! Vielleicht kannst du mir eine Frage beantworten, die mich schon im Vorfeld beschäftigte: Ist der Schwechten-Saal mal "umgezogen" oder hat sich in den 1920er Jahren die Nummerierung der Lützowstr. grundlegend geändert?

Hintergrund: Bis etwa 1923/24 findet man in zeitgenössischen Annoncen und Zeitungsartikeln den Saal mit der Adresse Lützowstr. 112 (Teilweise auch 111 - 112). Dies wäre ja dann aber das Gelände der Victoria-Brauerei.







Danach nur mit der Adresse Lützowstr. 76. Irgendwas stimmt da nicht - nur was...?

Grüße


PS:
Mal als reine Theorie... Es gab tatsächlich zwei Schwechten-Säle, allerdings nie parallel! Der erste Schwechten-Saal befand sich auf dem Gelände der Victoria-Brauerei, Lützowstr. 111 - 112. Nach 1924 verschwindet ein/der Schwechten-Saal nicht nur aus dem Adressbuch, sondern auch aus den Zeitungs-Annoncen. Bis Ende 1927 findet sich in keiner Zeitung ein Beleg für einen Schwechten-Saal in Berlin! Dies ergibt für c. 1924 folgendes Szenario:

  • Lützowstr. 76: Blüthner-Saal & Klindworth-Scharwenka-Saal

  • Lützowstr. 111: Schwechten-Saal


Wohl Anfang 1924 wird der erste Schwechten-Saal in der Lützowstr. 111 aufgegeben. Im Herbst 1927 werden die Konzertsäle in der Lützowstr. 76 umbenannt: Blüthner-Saal wird zum Bach-Saal, Klindworth-Scharwenka-Saal wird zum (neuen) Schwechten-Saal.

Wie dieser zuvor gesehene Artikelanschnitt schon zeigte, die Grammophon nahm 1930 im Schwechten-Saal auf:

Zu dieser Zeit wird aber in allen Primär-Quellen (Adressbüchern, Zeitungsartikeln usw.) die Adresse mit Lützowstr. 76 angegeben. Der erste Schwechten-Saal unter Nr. 111 scheint nicht mehr existiert zu haben.




[ Bearbeitet Do Nov 12 2015, 23:30 ]
Nach oben
Webseite
jitterbug
Fr Nov 13 2015, 00:27
⇒ Mitglied seit ⇐: Mi Mär 27 2013, 16:49
Wohnort: Berlin
Beiträge: 405
Hallo Uli,

das klingt plausibel, dass mit Aufgabe der Säle mit dem Klindworth-Scharwenka-Konservatorium als Betreiber und der Neuintiative von Oskar Schwalm ab 1924 quasi ein "Umzug" des Schwechten-Saals erfolgte und die Adresse Lützowstraße 111/112 nur noch als Studiosaal benutzt wurde.

Das Bild des "Schwechten Saals" mit 807 Plätzen dürfte demnach also der alte Saal in Hausnummer 111/112 sein, nicht der Saal in der Nummer 76...

Wir forschen weiter ;-)

Viele Grüße, Stephan

[ Bearbeitet Fr Nov 13 2015, 00:30 ]
Nach oben
Formiggini
Fr Nov 13 2015, 20:50

⇒ Mitglied seit ⇐: Di Dez 28 2010, 19:20
Beiträge: 1579
Ich habe noch ein bisschen in den Berliner Adressbüchern "gekramt", dabei hat sich mein Verdacht bestätigt: Den Schwechten-Saal gab es, zeitlich versetzt, unter zwei verschiedenen Adressen.

1923:
Lützowstr. 76 - Klindworth-Scharwenka-Saal
Lützowstr. 111 - Schwechten-Saal

Der (alte/erste) Schwechten-Saal gehörte zum Kammermusik-Haus in der Lützowstr. 111. Im Juli 1924 hieß er dann (einem Artikel nach) "Kammermusikhaussaal (Schwechten-Saal a.D.). Das Kammermusik-Haus findet sich im Adressbuch noch bis 1927. Nachdem der alte/erste Schwechten-Saal nicht mehr existierte (unter diesem Namen), benannte man den Klindworth-Scharwenka-Saal in Schwechten-Saal um.



Ab 1928 findet sich unter der Adresse Lützowstr. 111 dann die Lützow-Theater GmbH. Letztmals im Adressbuch 1931, danach gibt es keine Belege mehr, dass unter der Adresse irgendwelche Spielstätten betrieben wurden. Auch eine Viktoria-Brauerei findet sich in den Jahren 1922 bis 1935 nicht unter dieser Adresse - umso erstaunlicher, da sie im Stadtplan von 1926 verzeichnet ist!


Wenn die Grammophon noch den aufgegebenen Saal in der Lützowstr. 111/112 genutzt hat, heißt dies ja aber auch: Sie hatte in der Lützowstr. drei Aufnahmeräume: Bach-Saal, neuer Schwechten-Saal (Nr. 76) und alter Schwechten-Saal (Nr. 111/112).

Grüße

Nach oben
Webseite
snookerbee
Fr Nov 13 2015, 21:46
"Urgestein"

⇒ Mitglied seit ⇐: Fr Apr 15 2011, 20:12
Beiträge: 1676
Sie hatte in der Lützowstr. drei Aufnahmeräume.

Das kommt ja dann mit der Nummerierung im Wachs hin.
Ich hatte im Netz vor langer Zeit folgende Zuordnung gefunden:

BN 3, BT 3 - Berlin, unbekannte Adresse, Raum III
BT 6 - Berlin, unbekannte Adresse, Raum VI
BD 7, BN 7 - Berlin, Lützowstraße 76, Raum VII

Siehe auch Link - Hier klicken .

Musikmeister hat oben geschrieben, dass 3 und 6 auch in der Lützowstrasse waren.

Nach oben
Formiggini
Fr Nov 13 2015, 23:26

⇒ Mitglied seit ⇐: Di Dez 28 2010, 19:20
Beiträge: 1579
Sowohl aus dem Bach-Saal, wie auch aus dem Schwechten-Saal (Lützowstr. Nr, 76) erfolgten in den 1920er Jahren regelmäßig "Live" Übertragungen im Rundfunk. D.h. beide Konzertsäle waren technisch schon eingerichtet für musikalische Übertragungen auf "elektrischem Weg" (Mikrophone im Konzertraum, hochwertige "Standleitung" zum Sender usw.). Ob das elektroakustische Signal nun zum Berliner Radiosender oder zu dem Schneideraum einer Schallplattenfirma geleitet wurde, machte dabei keinen Unterschied.







[ Bearbeitet Fr Nov 13 2015, 23:46 ]
Nach oben
Webseite
Musikmeister
So Nov 15 2015, 16:27
Autor
⇒ Mitglied seit ⇐: So Aug 21 2011, 21:23
Wohnort: Hamburg
Beiträge: 1078
Das Thema Lützowstrasse 111/112 ist eng verbunden mit dem Verlagsdirektor Gotthard Schierse (geb. 1880).

In der folgenden Quelle ( Link - Hier klicken ) heisst es:

In Hinblick auf den regulären Anzeigenteil des Heftes gibt es eine erklärungsbedürftige Besonderheit, nämlich die auffällige Sonderstellung von Anzeigen des Schwechtensaals, des Brahmssaals sowie des Theaters in der Lützowstraße und der "Kammer-Oper" in den 1920er Jahren. Gotthard Schierse, der Herausgeber des Führers durch die Konzertsäle, war selbst als Konzertveranstalter aktiv geworden und hatte 1921 Räume der ehemaligen Viktoria-Brauerei in der Lützowstraße zu einem Kammermusikhaus umbauen lassen. Neben dem Schwechtensaal (900 Plätze) konnte der Brahmssaal (250 Plätze) für Konzerte gemietet werden, nach der Inflationszeit wurden die Säle unter den Namen "Theater in der Lützowstraße" (großer Saal) und "Kammer-Oper" (kleiner Saal) von Schierse geleitet.


Die erklärungswürdige Besonderheit ist leicht beantwortet - Herr Schierse war Eigentümer des Theaters in der Lützowstrasse und hatte deshalb ein berechtigtes Interesse, in seinen Konzertführern sein "Eigentum" besonders hervorzuheben.
Der Umbau der Brauerei zum Kammermusikhaus war am 21.09.1921 abgeschlossen. Das Kammermusikhaus fasste 800 Besucher und es fanden wie schon berichtet immer wieder Konzertabende statt.
Der "richtige" Theaterbetrieb begann am 04.09.1925. Das erste Jahr nur Lützowstr.112, ab 1926 dann Lützowstr.111/112. Der Eigentümer Schierse hatte das Theater 1925 an den Direktor Max Samft verpachtet. In den Folgejahren war Schierse dann selbst auch als Direktor tätig, ab Ende der 1920er Jahre wurde das Theater wieder verpachtet, zuletzt wurde gar kein festes Ensemble mehr verpflichtet und es wurden kurzfristig Künstler verpflichet. Spätestens im Sommer 1930 war dann Schluss. Nach meiner groben Schätzung begannen dann Plattenaufnahmen für Grammophon ab 1932 bis 1938 in der Lützowstr.111 mit der Ziffer -8 hinter den Matrizenangaben.
Für Schierse und Familie war das Theatersterben kein Problem, da dieser weiter mit dem Schierse-Verlag durch die NS-Zeit (u.a. gute Kontakte zu Reichsorganisationsleiter Hans Hinkel) bis in die Nachkriegszeit (siehe o.g. weiterführende Angaben der Quelle) gut im Geschäft war.

[ Bearbeitet So Nov 15 2015, 16:28 ]
Nach oben
GrammophonTeam
Fr Jul 15 2016, 18:16
Seitenbetreiber

⇒ Mitglied seit ⇐: So Sep 04 2011, 14:54
Wohnort: Köln
Beiträge: 1825
Gebäude Lützowstraße 76 im Jahr 1912 mit:

Blüthner-Saal & Klindworth-Scharwenka-Saal - später umbenannt in Schwechtensaal.



Nach oben
 

Forum:     Nach oben

Über Uns

Wir sind mehr als ein Forum! Als eingetragener Verein arbeiten wir an der Beständigkeit unserer Leidenschaft.

Über uns

Wir suchen Dich!

Du schreibst Artikel, möchtest im Forum als Moderator aktiv werden? Dir liegt Social Media. Bewahre Wissen! Wir warten auf dich.

Schreib uns

Tipps

Einsteiger-Ratschläge für optimale Nutzung und wichtige Aspekte beim Grammophon und Schellackplatten-Kauf.

Zu den Informationen