Meister des Jazz




1930


Meister des Jazz war eine halbstündige Sendereihe die Samstagabends von 1929 - 1933 von der WERAG (Westdeutsche Rundfunk AG) in Köln ausgestrahlt wurde.

Der erstaunliche Zuspruch der Bevölkerung auf das neue Medium Radio, so wie er sich in den stetig steigenden Hörerzahlen des Heftes 14 der "Südwestdeutschen Rundfunk-Zeitung" aus dem Jahre 1926 dokumentiert und für das Deutsche Reich als einheitlicher Trend anzusehen ist, darf durchaus in Verbindung gebracht werden mit der Präsentation modisch aktueller Tanzmusik im Radio.


"Rapees Jazz-Symphoniker im Berliner Rundfunk", die Berliner Funkzeitschrift vermeldet es in einer Januar-Ausgabe des Jahres 1926. Der Kölner Sender zeigt in seiner Programmzeitschrift ein Bild der Ette-Formation mit der Unterschrift "Bernhard Ette mit seiner Jazz-Symphonie-Kapelle spielte in Köln. Die Konzerte wurden auf alle WERAG-Sender übertragen".



Blättert man nur durch drei der zahlreich erschienenen Programmzeitschriften der 20er und 30er Jahre - im folgenden werden es die Berliner Funkstunde, dann das offizielle Organ der Westdeutschen Rundfunk A.G. Köln (WERAG) und die Südwestdeutsche Rundfunkzeitschrift (SRZ) des Frankfurter Senders sein -, so läßt sich die Liste dieser "Radio-Konzerte" durch einheimische Jazz-Symphoniker, Jazz-Symphonie-Kapellen oder Jazz-Symfonicers beliebig fortsetzen.

Man vermittelt " amerikanische" Popularmusik im deutschen Rundfunk, spielt in Liveübertragungen zum Tanztee oder zu beschwingter Unterhaltung um Mitternacht. Geleitet werden diese Formationen meist von Kapellmeistern, die in der europäischen Salonorchestertradition groß geworden sind. Nur wenige dieser Musiker haben das, was sie ihrem Radiopublikum als "authentische" Ware anboten, selber vor Ort, also in Amerika kennengelernt. "Spielt auf mit dem Saxophon und sehnt sich nach der Geige". Dieser auf den Titelheld Jonny in Kreneks Jazzoper "Jonny spielt auf" abzielende Vergleich charakterisiert das besondere Verhältnis einheimischer Unterhaltungsmusiker bei der Präsentation afroamerikanischer Tanzmusik im deutschen Radio.

Zwischen 1924 und 1933 sendet die Berliner Funkstunde 114, der Kölner Rundfunk 323 und der Frankfurter Sender 197 Sendungen, die als "Jazz"-Programme direkt etikettiert oder in den Programmtextteilen als solche deklariert wurden. Nimmt man die gängige, durch circa 80 Prozent der Sendungen bestätigte Anzahl der Kompositionen eines solchen "Jazz"-Programms mit zwanzig Titeln an, so ergeben sich für die 3 Sendeanstalten ungefähr 12.500 Titel. Diese erstaunliche Menge bewertet der Berliner Jazzpublizist Horst Lange:

Man "hörte in damaligen 'Jazzsendungen' alles, was beliebt und modern war.
Das Casa Loma Orchestra, Duke Ellington, Jack Hylton, Cab Calloway. ...
Fletcher Henderson, Joe Venuti, Paul Whiteman, ... u.a., nicht zu vergessen
Louis Armstrong".


Diese nicht näher quantifizierte These, in der von der Aufzählung der Musiker, schwarze wie weiße Jazzmusiker nahezu paritätisch vertreten sind, läßt sich anhand der Programme der drei Sender nicht
stützen: In diesen circa 12.500 Titeln treten Duke Ellington und sein Orchester drei Mal, Louis Armstrong überhaupt nicht auf.

Bis c. Ende 1928 überwogen "Live" Konzerte im Rundfunk. Entweder wurde aus dem Studio Übertrage, oder mittels Telefonleitung zum Sender aus den Theatern, Kabaratts usw. Ab 1929 durch die Verfeinerung der elektrischen ABtastung von Schallplatten wurden verstärkt "Schallplatten-Konzerte" gesendet. Diese waren wesentlich billiger zu produzieren.


Die regelmäßige Samstagabend-Schallplattensendung des Westdeutschen Rundfunks beginnt 1929 und endet 1933. "M e 1 s t e r d e s J a z z" erschien 187 Mal und stellt ein völlig neues Konzept der "Jazz"-Vermittlung im Radio dar.

"Meister des Jazz " löst - zuerst für den Kölner Funk - die Liveübertragung aus den Cafes und Konzertsälen weitgehend ab. Somit erhöht sich schlagartig das ausländische Klangmaterial auf Platte. Die deutschen Tanzorchester, die bis dahin ihren "Jazz" präsentierten, wurden durch "authentischere" Quellen abgelöst. Mit der Reihe "Meister des jazz" wird ein Schallplatten-Laufprogramm gestartet, daß die regionale Tanzmusikszene austrocknet und das Liveangebot zurückdrängt. Schon ein Blick auf das erste vollständig abgedruckte Programm vom 23.11.1929 (16) zeigt den Etikettenschwindel deutlich: Komponisten wie Grofe, Gelbtrunk, Kern und Dostal garantieren
eine Repertoire-Mischung, die man schwerlich als "meisterlichen Jazz" bezeichnen kann. So fällt auch die Sendung "' Hot Jazz', ein neuer Stil der Jazzmusik" durch kuriose Kombinationen auf. Waren die deutschen Tanzorchester bis zur Einführung der Sendereihe häufig im Programm vertreten, so hörte man sie durchschnittlich (pro Sendung) bei den "Meistern" mit nur 2,0 Titeln (Marek Weber), 1,2 Titeln (Dajos Bela) oder 0,5 Titeln (Paul Godwin) im Jahre 1930.

Die Sendereihe "Meister des Jazz" bestimmt zu gut zwei Dritteln die "Jazz"-Sendungen des Westdeutschen Rundfunks. Die restlichen 136 Programme bieten den gewohnten buntgemischten Anblick: Tanztees und Unterhaltungsabende,in denen Jazz-Orchester auftraten.
1930 überträgt man aus Breslau den Wilhelm Grosz-Songzyklus "Lieder aus Haarlem". Zwei, für eine Programmzeitschrift recht ausführliche Abhandlungen beschäftigen sich mit der Übertragung am 4. Februar. Unter der Oberschrift " Haarlem amüsiert sich" beschreibt der Autor Karl Otten den New Yorker Stadtteil, beschreibt das pulsierende Leben und die kulturellen Errungenschaften der schwarzen Menschen. Doch seine Wortwahl kennzeichnet die Überheblichkeit, mit der er die Schwarzen verurteilt.

"Wie er (der 'Neger') sich durch Chauvinismus und Bauernschläue zu rächen
weiß, wenn er auch stumm und ergeben sein heute wieder hartes Brot verdient
irgendwo ist auch der Neger genial, dem weißen bösen Bruder überlegen.
Mit ungewöhnlicher Energie und Schläue gehen die schwarzen Reichen gegen
die Weißen vor. Wo ein Haus in Haarlem frei wird, kauft es ein Stammesbruder
und setzt die weißen Mieter an die Luft, nimmt farbige auf. Ein
Schwarzer hilft nur einem Schwarzen . Wo französischer Sekt und alle
Rauschgifte zur selbstverständlichen Aufmachung gehören . Alles, alles
hat die brennende und wenn einmal entfesselt, hemmungslose Phantasie des befreiten
Schwarzen sich geschaffen".


Neben den "Meistern des Jazz " bot die Einrichtung eines "Neuen Tanzorchesters des Westdeutschen Rundfunks" 1931 den weitaus größten zusammenhängenden Programmbeitrag. 57 Konzerte wurden im Mai und Juni von den Rheinterassen in Köln oder aus dem Kölner Sendesaal live übertragen. Ein Blick in die "Funkstunde " und die "SRZ" zeigen, daß Berlin und Frankfurt die Konzerte in ihr Programm übernommen haben.
Den Namen des Bandleaders dieser Nonett-Formation mit Piano, 3 Saxophonen, 2 Trompeten, Posaune, Banjo und Schlagzeug gibt die WERAG in ihrer Vorankündigung mit Herry Head an, weist aber auf das Pseudonym des "im Westdeutschen Rundfunk bekannten und beliebten Kapellmeisters" hin. Hinter dem Pseudonym verbirgt sich der seit 1929 in der Schallplattenabteilung der WERAG beschäftigte Harry Hermann Spitz. Er wurde 1933 bei der nationalsozialistischen Machtübernahme aus den Diensten des Kölner Funks entlassen, floh nach Frankreich und verbrachte später 12 Jahre in verschiedenen Konzentrationslagern.

Als Mitglied des Philharmonischen Orchesters Wien, der Staatsoper Berlin und als Bratschist des Guarneri-Quartettes waren seine "jazzoiden" Wurzeln wohl weniger ausgeprägt, doch bleibt dies eine Vermutung, da weder im WDR-Schallarchiv noch im ARD-Rundfunkarchiv eine Aufnahme mit Herry (in den Programmen später: Harry) Heads Honett-Formation zu finden ist.

Die WERAG stellte nach 57 Konzerten diese als Tanzmusik ausgewiesene Programmfolge ein, ohne Rücksicht auf ihre Ankündigung, daß "diese Kapelle der Jazzkultur neue Wege weisen wird" ,Die Besetzung der Head-Formation erinnert an die der Jack Hylton-Band der späten 20er Jahre. Hyltons Popularität, durch zahlreiche Konzerttourneen (selbst noch zu Zeiten des Dritten Reiches) gestützt, basiert auch auf einer klangfarblich wesentlich beweglicheren Musik als die der "Jazz-Sinfonie-Orchester". Hier entsteht im Ansatz eine neue kleine Jazz-Band-Form, die den Vorbildern in den USA
nahekommt.

Die Meister des Jazz hatten in den Jahren 1929 - 1933 folgende Sendezahlen:
1929: 17 Sendungen
1930: 49 Sendungen
1931: 64 Sendungen
1932: 48 Sendungen
1933: 9 Sendungen

Es wurden aber auch ganze Sendungen der Reihe teilweise nur einem einzigen Künstler gewidmet:
"Meister des Jazz" - Paul Whiteman - 24 Titel, 3.4.1930, 22.40 Uhr
"Meister des Jazz" - Jack Hylton - 20 Titel, 20.4.1930, 24.00 Uhr
"Meister des Jazz" - Ben Berlin/Paul Godwin - je 10 Titel, 3.5.1930, 24.00 Uhr
"Meister des Jazz" - Marek Weber - 20 Titel, 10.5.1930, 24.00 Uhr

Anfangs wurde das vollständige Programm mit Künstlern und Titeln in den Programmzeitschriften abgedruckt. Leider zog sich dies nicht durch die ganze Sendereihe. So sind nicht alle gesendeten Orchester und Stücke bekannt.
Eine teilweise Auswertung der Jahre 1930/31 ergibt folgendes Bild:




Ausgezählte Sendungen:




Paul Whiteman
Jack Hylton
Ben Berlin
Paul Godwin
Marek Weber
Dajos Bela
Barnabas v. Géczy
Fred Bird
New Mayfair Tanz Orchester
Jack Payne
Ben Selvin
Vincent Lopez
Ilja Livschakoff
Lud Gluskin
Anglo Persians
Harry Jackson
Tango Kapelle Morello
Colonial Club Orchestra
Juan Liossas
London Radio Band
Regent Club Orchestra
Ben Bernies Orchester
Nat Shilkret´s Orchester
Debroy Somers Band
Hilo-Hawaian Orchester
The Cavaliers
Orquestra Tipica de Madriguera
Oscar Joost
Victor Arden
Robert Gaden
Hans Schindler
Friedrich Hollaender
Weintraubs Syncopators
Rio Grande Tango Band
The High Hatters
Red Roberts
Julian Fuhs
Zez Confrey
Waring Pennsylvanians
The Troubadors
Jesse Crawford
José Palmanova
Tipica Julio de Caro
Alfred Beres
Paul Abraham
Metropol Tanz Orchester
Edith Lorand Orchester
Pedro Maffio
Castle-Wood Marimba Kapelle
Rolando du Perron
Ray Miller
Bert Lown
Mitja Nikisch
Bernard Etté
Billy Barton
Jim Clegsh
Lewis Ruth
Lou Gold
Tango Orchester Pizarro
Ambrose Jackson
Patricia Rossborough
Columbia Tanzorchester
Tanzorchester Dobbri
Ray Starita
Rafael Canaro
Ted Lewis
36


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Autor und Quellen: Bernd Hoffman; "Jazz im Radio der frühen Jahre"; "Afro-amerikanische Musik im Spiegel der Musikpresse 1900 - 1945"

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