Schallplattenkauf in schweren Jahren
, Fr Jun 24 2011, 12:33

Hallo Musikfreunde,

hier seht Ihr einen populären Schlager aus dem Jahre 1943.
Er entstammt dem Film "Ein Mann mit Grundsätzen" mit Hans Söhnker, Lisa Lesco




Orchester Michael Jary machte diese Aufnahme im September 1943, Horst Winter singt

Aber eigentlich möchte ich Euch etwas zu dem Verkaufsaufkleber der Platte berichten.

TELEVOX war eine Firma von Herrn Otto Klung, Berlin.

Bereits in den 20er Jahren gründete er mit einem Partner die Schallplattenfirma " VOX ".

Nach ganz guten Verkaufserfolgen dieser Plattenmarke überlebte sie aber die Wirtschaftskrise 1929 nicht.

Der Mitinhaber von Klung stieg aus und Klung sicherte sich die Namensrechte an VOX und TELEVOX gleich nach der Pleite.

Das alte Firmenzeichen taucht erst Ende der 30er Jahre wieder auf, als Otto Klung einen Platten+Musikalienladen in zentraler Lage in der Neuen Königstr (Alexanderplatz) eröffnete.

Es folgte eine Filiale in der Tauentzienstr.5

In den Verkaufsräumen fand sich ein kleines Tonstudio, wo private Aufnahmen auf Folie gemacht werden konnte oder bei Mindestabnahme von 200 Stück auch richtig auf Schellack gepresst wurde. (Letzteres als Lohnpressung)

Kurzfrsitig wurde auch ein eigenes TELEVOX-Etikett wiederbelebt mit ausgesuchten, guten Aufnahmen.

Der Hauptladen am Alexanderplatz wurde relativ früh Opfer des Bombenkrieges.

Jedoch der Laden in der Tauentzienstr blieb erstaunlicherweise vom Krieg unberührt - wenngleich in direkter Nachbarschaft schlimmste Schäden entstanden.

So konnte man in diesem Laden fast durchgängig Schallplatten kaufen.
Die zentrale Lage mit wenigen Schritten vom U-Bahnhof Wittenbergplatz war sicher verkaufsfürdernd. (Der U-Bahnverkehr in Berlin wurde erst am 23.4.45 kurzzeitg ganz eingestellt)

Dieser Televoxladen schloß 1953, nachdem das KA DE WE (Kaufhaus des Westens) wiedereröffnete und Klung eine zu große Konkurrenz durch den auf der anderen Straßenseite liegenden Kaufhausriesen zu spüren bekam.

Nun noch zu "TEMPO"

Tempoplatten gab es seit Anfang der 30er Jahre, Firmenchef Otto Stahmann hatte großen Erfolg mit dieser Billigmarke.
Sie kostete nur 1 RM und war anfangs nur in Kaufhäusern zu haben.

Etwa Mitte der 30er Jahre erbaute er ein eigenes Schallplattenwerk mit Studios in Potsdam Babelsberg.

Spätestens seit 1940 gab es die nun Lila/Gold Etiketten überall zu kaufen, ja, sie entwickelten sich sogar zu den wohl am meistverkauften Schallplatten während der Kriegszeit.

Das lag nicht nur am Preis, sondern auch daran, daß Stahmann viele bekannte Künstler gewann, Bernhard Ette, Horst Winter, Harry van Dyke, Kurt Widmann etc.

Und er hatte ein eigenes Vertriebssystem für seine Platten - und es funktionierte bis zum letzten Tag !

Das Werk in Babelsberg wurde zwar leicht durch Bomben geschädigt, doch konnte die Produktion etwas reduziert weitergehen.

Der niedrige Preis der Tempoplatten brachte es mit sich, daß sie materialbedingt und presstechnisch nicht immer optimal sind.

Wenn man aber Glück hat, bekommt man auch tadellose Exemplare.

Ein solches möchte ich Euch vorstellen.
Die Platte ist vom 8. November 1944 !

Sie wurde noch ganz normal in Potsdam zum Weihnachtsgeschäft 1944 verkauft. Auch wenn es nach Aussage des Käufers wohl das bedrückenste Weihnachtsfest des letzten Jahrhunderts war....




Der auf dem Etikett genannte Film wurde übrigens nicht mehr vollendet.

Nochmal zu den Tempowerken: Otto Stahmann brachte vor Einmarsch der Russen viele Matrizen und Pressmaterial in Sicherheit und setzte sich letztlich nach München ab.(Dort machte er bis in die 60er Jahre weiter)
Amiga benutzte noch bis ca. 1949 viele Pressmatrizen der Kriegsjahre, die im Werk verblieben waren.


Hier nun die "späteste" Platte, die ich besitze. Nach Unterlagen der Grammophon wurde sie im Januar 1945 in Berlin aufgenommen.
Ich bekam diese Platte von einer alten Dame, die bei der Grammophon in Hannover beschäftigt war.

Das Werk in Hannover (Podbielskistr) war weitgehend unbeschädigt und presste in der Zeit für Berlin.

Die Matrize gelangte also noch nach Hannover und es wurde ein Muster gepresst. Da die Platte keine Bestellnummer mehr erhalten hat, gehe ich davon aus, daß sie nicht mehr für den kommerziellen Handel vorgesehen war.

Fritz Stamer (Pianist) spielt mit kleiner Besetzung "In der Nacht ist der Mensch nicht gern alleine" aus dem Marika Rökk Farbfilm "Frau meiner Träume" (1944)




Hier noch als Nachtrag ein Blick vom Wittenbergplatz (U-Bahnhof) in die Tauentzienstraße von 1943, also kurz vor den schweren Bombenschäden.

Im Hintergrund die noch unzerstörte Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche.



links das Kaufhaus des Westens, rechte Straßenseite der Televox-Laden



Re: Schallplattenkauf in schweren Jahren
Odeon89, Fr Jun 24 2011, 14:14

Sehr interessanter Beitrag zur Geschichte der Schallplatten im "Totalen Krieg", vielen Dank!

Wirklich bemerkenswert, wie man noch 1944/45 Platten aufnehmen und pressen konnte! Wenn ich mich richtig erinnere, war dies gegen Ende des ersten Weltkrieges nicht oder nur noch sehr eingeschränkt möglich. 1918 wurden bei praktisch keiner Firma in Deutschland Aufnahmen gemacht... Daran sieht man im Vergleich sicher auch die Bedeutung, die der Unterhaltungsmusik während des Zweiten Weltkrieges beigemessen wurde.

Ist an dem "Gerücht" von eingeschmolzenen, bzw. recycelten Platten zu Kriegszeiten eigentlich etwas Wahres dran? Mir ist des öfteren aufgefallen, dass Pressungen von "Siemens-Polydor" um 1943 den Stempel "Depositato" im Spiegel aufweisen. Das Material dieser Platten ist auch deutlich körniger als das von Nachkriegspressungen. Hat dieses "Depositato" eventuell etwas mit dem Recycling zu tun?

Viele Grüße
Kai

Re: Schallplattenkauf in schweren Jahren
, Fr Jun 24 2011, 14:30

Hallo Kai,

Schellack mußte über England aus Indien importiert/ gekauft werden.

Ab 1941 mußten zwei Altplatten bei Neukauf einer neuen abgegeben werden.
Oder die Schallplatte kostete 0,50 RM mehr, wenn man keine Platten abgeben konnte.

Anfangs wurde das Etikett aus den Altplatten ausgestanzt, weil Papier in der Pressmasse die Qualität sehr verschlechtert.

Einen negativen Höhepunkt erreichte die immer schlechter werdene Pressmaterialqualität dann in den unmittelbaren Nachkriegsjahren.

"Depositato" heißt auf italienisch einfach nur "eingetragen, eingereicht, hinterlegt" und war früher ein internationaler Begriff in der Handels+Geschäftssprache. Ich gehe mal davon aus, daß es jeweils das Datum der Aufnahme betrifft.

Jedenfalls habe ich eindeutig dieses "Depositato" auch auf späten Kriegspressungen und es deckt sich mit Angaben des Aufnahmedatums aus Diskographien.

Gruß, Nils

Re: Schallplattenkauf in schweren Jahren
Calle, Fr Jun 24 2011, 20:58

Interessantes Thema !
Die Tempo-Platte ist indertat gut und leider auch ziemlich selten; auch ich wußte nicht daß es noch so spät im Krieg in Deutschland Schellackplatten gepreßt worden- und verkauft worden sind !
Vom (kleines Orchester) Fritz Stamer habe ich eine dunkelrote Polydor-Pressung... Polydor 47940: Ich warte auf dich / Mach dir nichts daraus; aus dem gleichen Tonfilm !

Re: Schallplattenkauf in schweren Jahren
, Sa Jun 25 2011, 06:33

Hallo Calle,

Deine Platte ist aus derselben Sitzung, also auch viel später, als Diskograph Lange angibt ("ca. Ende 43"). Deine Kopplung taucht manchmal noch auf, bisher allerdings immer auf dem alten Polydor-Export Label ("Trichterohren-Münnchen").

Diskograph Lange hatte leider in der Sammelgemeinde festgesetzt, daß ab Ende 1943 in Deutschland weder Platten aufgenommen noch hergestellt wurden. Das hält sich hartnäckig, ist aber so pauschal einfach falsch.

Eigentlich liefert Lange in seiner Diskographie selbst den Gegenbeweis. Von der ODEON lagen glücklicherweise noch viele Unterlagen vor, deswegen datiert er späte Kriegsaufnahmen mit Kary Barnet auch ganz korrekt auf 1944 etc.
Herr Horst H. Lange war ein netter Mann und ich hatte in seinen späten Jahren wegen einer Arbeit öfter telefonischen Kontakt zu ihm. Er, wie auch Berthold Leimbach haben für uns Sammler unwiederbringliche Informationen gesammelt und das unter großen Mühen und auch finanziellem Einsatz.

Es ist leicht, mit heutigen, weiterführenden Erkenntnissen auf Mängel oder gar Fehler hinzuweisen. Wir sollten aber nie die enorme Leistung vergessen, die trotz einiger Mängel im Vordergrund stehen sollte.

Ich habe das große Glück, noch einen lebendigen Zeitzeugen zu haben, dessen Hobby Schallplatten waren und der sich viele Platten in den Jahren 1932 - 1945 kaufte. Die Platten existieren zum Glück größtenteils bis heute.

Für mich persönlich konnte ich sehr viele belegbare Informationen beziehen, gerade auch, was angeblich "alles verboten" war. Langsam verbreitet sich zum Glück das Wissen allgemein, daß sehr viel weniger verboten war, als manch einer glauben mag. Das ist aber ein anderes Thema.

In den späten Kriegsjahren lief die Produktion natürlich eingeschränkt. Aber Telefunken ließ in Tschechien bei der Ultraphon pressen. Telefunken selbst gibt zum Beispiel eine Produktion von über 50.000 Platten für den September 1944 an. Wenige Neuaufnahmen, aber immerhin!

Wenn man 1944 Platten kaufen wollte, war es folgendermaßen (meinem Zeitzeugen sei DanK!) : der Einzelhändler bekam monatlich eine Auswahl an Platten. Gezielte Bestellungen waren nach eigenen Recherchen so etwa ab Ende 43 nicht mehr möglich.

Man mußte sich als Käufer also aus dieser vom Großhändler zusammengestellten Auswahl etwas aussuchen.

Offensichtlich war aber auch mal eine Platte darunter, die eigentlich nur für den Export vorgesehen war. Dem Einzelhändler war das ziemlich egal, der war am Verkauf interessiert !
So kam es zustande, daß diese Platte etwa zum Jahreswechsel 1943/44 ganz regulär in Potsdam verkauft wurde :




Weiterhin zeigt uns die Platte, wo Odeon presste, als es immer enger wurde und zuletzt in Deutschland nur noch kriegswichtige Dinge hergestellt werden sollten. Man beachte das "P" rechts in der Mitte ! Lange gibt dieses "P" mit Paris an.
Das Land ist korrekt, aber das P steht für Pappkern. Diese Information war wichtig, weil diese Platten nicht in die Altplatten geraten sollten, der große Papieranteil im Kern hätte die Recycling-Pressmasse in der Qualität enorm verschlechtert !


Re: Schallplattenkauf in schweren Jahren
snookerbee, Sa Jun 25 2011, 13:43

Hallo Nils, deine Beiträge in diesem Thread sind sehr interessant. Vor allem weil Du ja noch mit Zeitzeugen gesprochen hast. Als ich in den 1970er die Möglichkeit dazu gehabt hätte, war Schellack-Musik einfach noch nicht mein Thema. Deshalb bin ich hauptsächlich auf Publikationen angewiesen und eben auf solche Beiträge wie eben Deiner hier. Eine Zeitschrift, die sich mit der Schellack-Zeit beschäftigt, ist ja bekanntlich "Fox auf 78". Die haben sicher einige Forumsfreunde hier auch abonniert. Dennoch will ich mal kurz zusammenfassen, was in Heft 25 über die sogenannten "Trümmertakes", also Plattenaufnahmen um das Kriegsende herum zu lesen ist.

letzte Odeon-Tanzmusikplatte: 6.3.1944, Adolf Steimel & Kay Barnet, Best.-Nr. 31730, verkauft noch vor Kriegsende

letzte Odeon-Aufnahme vor Kriegsende: 1.12.1944 Werner Eisbrenner & Hans Albers, Best.-Nr. 26625, verkauft erst nach Kriegsende

letzte Berliner Telefunken-Aufnahmen vor Kriegsende: Januar 1944, Peter Kreuder, mx. 27090 bis 27097, Veröffentlichung zu Kriegszeit fraglich (außer mx 27090 auf TA 1093, Prag)

letzte Telefunken-Aufnahmen in Prag: 20.10.1944, Heinz Wehner, Veröffentlichung ?

letzte Aufnahmen bei Columbia: Mitte Ende 1943, Willi Stanke, erst nach dem Krieg verkauft

letzte Tanzmusik-Platte bei Electrola: März 1943, Heinz Burzynski, mx. ORA 6026 & 6027, verkauft 1943

letzte Aufnahmen bei Grammophon: 26.2.1945, Fritz Stahmer, mx. 10411 bis 10414, erst nach dem Krieg veröffentlicht.

letzte Imperial-Aufnahmen: etwa November 1943, Corny Ostermann, mx. KC 29876 und 29877, erst nach dem Krieg veröffentlicht

letzte Phonoton-Platte die veröffentlicht wurde: Aufnahme wahrscheinlich 1944 in Prag(?), Christa Tordy, Best.-Nr. 1043

letzte Clangor-Platte: Willi Metschke & Erwin Hartung, Aufnahme 1943 vor Hartungs Einberufung, Best.-Nr. 1944

letzte Aufnahmen bei Tempo: 3.12. & 4.12.1944, Horst Winter, mx. 1950 bis 1953, Best.-Nr. Tp 5163/64

Re: Schallplattenkauf in schweren Jahren
, Sa Jun 25 2011, 14:51

Hallo Claus,

vielen Dank für den Nachtrag !

Ja, Dr. Krüger (Fox auf 78) ist wirklich ein guter Mann :-D

Odeon verzeichnet nach neueren Erkenntnissen übrigens noch eine letzte Aufnahme am 13.1.1945, Herbert Ernst Groh mit O.Dobrindt.

Bei dem masssivsten Luftangriff auf die Berliner Innenstadt am 3.2.45 war auch die Lindström stark betroffen.

Der von Dir erwähnte Telefunkentitel mit Wehner :
27179 In der Nacht ist der Mensch nicht gern...
27180 Ich warte auf Dich

Aufgenommen am 20.10.44 , Bestellnr. A 10564.

Auch ist im Aufnahmeverzeichnis noch eine spätere Aufnahme als jene von Kreuder zu finden:

Orch.Dvorsky, Allan-Terzett (deutscher Gesang)
27177 Laß Dein Herz bei mir zurück
27178 Wenn die Woche keinen Sonntag hätt'

Bestellnr. A 10558, Aufnahme 15.8.44

Ob diese Titel noch vereinzelt in den Handel gelangten ist fraglich, Du erwähnst es ja bereits !

Gruß, Nils

Re: Schallplattenkauf in schweren Jahren
Calle, Sa Jun 25 2011, 23:25

Hallo Nils,

vielen Dank für Deine Informationen ! Ich war zuerst auch davon überzeugt daß es (laut Lange) bis Ende 1943 Schellackplatten in Deutschland hergestellt wurden...
Es stimmt was Du schreibst: Lange und Leimbach habe eine Menge gute Arbeit geleistet. Indertat mit einige kleine Fehlern, jedoch... darüber soll man nicht meckern (man soll es mal nachmachen !; meckern ist ja so einfach ! :-( )

Anläßlich die Aufnahme von R.A. Dvorsky: Telefunken A 10558: die ist noch herausgebracht worden (auf grauer Telefunken)... Die Aufnahme "Wenn die Woche keinen Sonntag hätt'" ist früher auch mal bei "Swingtanzen verboten" im Radio gespielt worden UND auch ist sie (und "Laß Dein Herz bei mir zurück") auch auf CD veröffentlicht worden !
Es singt überigens das Allan-Terzett...

Bezüglich dieser Platte... einen Traumwunsch von mir !
Dieses Jahr fahren wir wieder in die Tschechei in Urlaub und ich hoffe es klappt diesmal ;-)


Re: Schallplattenkauf in schweren Jahren
Odeon89, Sa Jun 25 2011, 23:46

Hallo Calle,

handelt es sich bei den Telefunken-Platten mit grauem Etikett nicht stets um Nachkriegspressungen?

Gruß
Kai

Re: Schallplattenkauf in schweren Jahren
, So Jun 26 2011, 07:32

Hallo Calle, hallo Kai,

es gab bei Telefunken in der ganz späten Kriegszeit ( eher gegen Ende 1944) noch graue Etiketten. Sie sehen den späten Nachpressungen von ca. 1948 ähnlich. Blaue Schrift auf lichtem Grau.
Wichtig: keine Vermerke wie Militärregierung oder Censure, Lizenz etc ! Kein Vermerk "Die deutsche Weltmarke". Gepresst in Tschechien.
Leider habe ich kein Bildbeispiel.

Ein Beispiel für eine blaue tschechische Pressung ist hier:




Die Platte wurde bei Televox, Tauentzienstr etwa in der zweiten Jahreshälfte 1944 gekauft.

Die Aufnahme entstand Ende 1942, firmiert in den Neuerscheinungen bei Telefunken im Januar 43.
Diese Kleindin-Platte kann als Musterbeispiel für die späten Kriegsschallplatten gelten.
Sie wurde das ganze Jahr 1943 hindurch verkauft, dann ging die Matrize sogar noch zur Ultraphon nach Tschechien (1944) und wurde scheinbar noch das ganze Jahr 44 hindurch verkauft. Sie gibt es nachweislich sogar noch auf dem ganz späten, grauen Kriegsetikett.

Typisch für diese Zeit ist wohl, daß die Firmen schon viel mehr auf vorhandene Matrizenbestände zurückgriffen, als Neuaufnahmen auszuwerfen.

Nach den Aussagen des Zeitzeugen war es dementsprechend auch über Monate hinweg so, daß in den monatlichen Auswahlsendungen des Großhändlers dieselben Titel der einzelnen Firmen zu finden waren. Der Zeitzeuge kaufte in den Jahren 43/44 eigentlich nur noch bei Televox, weil er oft beruflich in der Nähe war und in seiner Heimatstadt Potsdam im Musikhaus Görz. Dort war er über 10 Jahre als guter Kunde bekannt und es wurden ihm auch neue Aufnahmen zurückgelegt, wenn sich sowas in der Monatslieferung des Großhändlers befand.

Zurück zu der tschechischen Pressung und dem Bildbeispiel.
Man erkennt deutlich das leicht andersartige Erscheinungsbild dieser Fremdpressungen bei Telefunken.
Es fehlt die "Deutsche Weltmarke", der Telefunkenschriftzug ist deutlich schlanker im Druck und auch die Umrahmungen unterscheiden sich.
Der Golddruck ist wieder besser lesbar, als bei den späten Telefunken aus Hannover (Pressung: Deutsche Grammophon).

(Zuletzt ließ auch Grammophon in Tschechien pressen, aber nicht bei Ultraphon)

Gruß, Nils

PS:
Calle,ich gönne Dir den Fund Deiner Wunschplatte, wenn ich da auch etwas skeptisch bin^^
Aber insgesamt freut es mich, daß es hier auch so viele Interessierte für die Platten aus den Kriegsjahren gibt!
20er bis Anfang 30er etwa ist meist viel leichter zu finden, als die hier im Beitrag besprochenen Platten.



Re: Schallplattenkauf in schweren Jahren
, So Jun 26 2011, 08:03

Nach kurzer Bedenkzeit will ich doch noch was loswerden zu den grauen Telefunken Kriegspressungen...

ich persönlich habe bislang noch keine solche graue Kriegspressung gefunden, wo ich mit absoluter Sicherheit sagen konnte: ja, die ist vor Zusammenbruch des Reiches gepresst.

Ich verlasse mich hier auf Aussagen von versierten Sammlern ! Und sie wissen es wohl besser als ich !

Meine persönlichen Zweifel will ich aber gern kundtun: diese grauen Kriegspressungen sind im Druck durch absolut nichts zu unterscheiden von einer Nachpressung von -sagen wir mal- 1948.
Es fehlt einzig der Vermerk "Censure, Visa, Lizenz" usw

Nun gab es aber sehr unterschiedliche Nachpressungen in den Jahren 46-49.
Für die Besatzungsmächte (Casinos, Radioübertragungen), auch schon wieder für den Export und sicher auch für mir bislang völlig unbekannte Verwendungen.

Und ich kann eben nicht meine Hand ins Feuer legen, daß auf jeder Art der Nachpressungen das "Censure" nötig war.
Dadurch werden die grauen, angeblichen Kriegspressungen dann aber durch nichts mehr unterscheidbar von späteren Nachpressungen.

Vielleicht wurden auch Nachpressungen gefertigt, auf denen das "Censure" nur mit (hier fehlendem) Aufkleber ersichtlich gemacht wurde ?

Und und und...

Vielleicht kann mir ja jemand mit einem eindeutigen Beweis mein ganz leises, stilles Mißtrauen nehmen ? ;-)

Re: Schallplattenkauf in schweren Jahren
Odeon89, So Jun 26 2011, 21:48

Bezüglich der "Tempo"-Platten habe ich noch eine Frage: Handelt es sich bei der zuerst gezeigten Platte um eine Nachkriegspressung? Das Etikett unterscheidet sich farblich deutlich von der zweiten Platte (defintiv eine Pressung während des Kriegs):





Re: Schallplattenkauf in schweren Jahren
snookerbee, So Jun 26 2011, 22:35

Interessant ist erstmal, daß auf der zweiten Platte Matrizennummer und Bestellnummer verwechselt wurden. Das sieht man deutlich, wenn man den Zahlenbereich der Nummern auf beiden Platten vergleicht.

mx. 1837 soll nach meinen Unterlagen etwa März/April 1942 aufgenommmen worden sein. Allerdings bezweifele ich dieses Datum, da die mir vorliegende Diskografie von Lange abgeschrieben hat.

Die zweite Platte hat nach der Verwechselung also Matrizennummer mx. 1947 und entstand somit kurz vor Horst Winters letzten Tempo-Aufnahmen im Dezember 1944 (mx. 1950 bis 1953).

Ich glaube, daß die Label-Farben bei Tempo in den 1940er Jahren zur Veröffentlichungs-Datierung ungeeignet sind und keinen zeitlichen Bezug haben. Ich denke auch, daß beide Platten noch im Krieg herauskamen. Die zweite wohl aber wirklich recht spät. Vielleicht wurden Reste von Tempo-Pressungen ja noch nach Kriegsende gehandelt. Die Frage bleibt trotzdem, wer noch zum Jahreswechsel 1944/45 die Möglichkeit hatte, Schallplatten zu verteilen und zu verkaufen.

Ich glaube zu erinnern, daß Tempo als Firma nach dem Krieg erst wieder auf 45rpm-Singles veröffentlichte, allerdings bin ich nicht sicher. Die Otto-Stahmann-Werke, die die Tempo-Schellacks in den 1940ern produzierten, waren ja mit Kriegsende in die Hände der russischen Besatzer gefallen und alte Tempo-Matrizen wurden ab 1946 unter einem andern Label (AMIGA Lied der Zeit GmbH) wiederveröffentlicht, bis diese neue Firma eigene Aufnahmen machen konnte.

Re: Schallplattenkauf in schweren Jahren
Richard Herfeld, So Jun 26 2011, 22:53

Na, na, na Claus ...
Natürlich gibt es Tempo Schellackplatten aus den späten 40ern / frühen 50er Jahren. Allerdings fast alles No-Name Produktionen, anders als in Kriegstagen (hatte gerade heute auf dem Flohmarkt eine Reihe Tempo-Platten um 1947 - 1952 in der Hand).

Das mit den Farben kann ich auch bestätigen - die haben nichts mit dem Pressdatum zu tun und beide Platten auf jeden Fall noch aus Kriegstagen.

Tempo veröffentlichte auch kurz nach Kriegesende neue Platten mit alten Matrizen (Tempo Elite - Serie bzw. Tempo mit weißem Label).

Re: Schallplattenkauf in schweren Jahren
snookerbee, So Jun 26 2011, 23:01

@ records78: Gut, daß Du aufpasst! Solche Elite-Platten habe ich auch, konnte sie bisher aber nicht zuordnen. Dann sind diese Platten aber sicher nicht mehr in Potsdam hergestellt worden.

Re: Schallplattenkauf in schweren Jahren
Calle, So Jun 26 2011, 23:17

Hallo Nils !

Ja, ich bin absolut sicher daß es sich um einen grauen Telefunken handelt: ich müßte mal nachsehen aber wenn ich mich recht erinnere habe ich sogar einen Bild davon im Begleitheft der CD ! (also: Bild folgt :-)
Da ich auch fest davon überzeugt bin daß die Platte in der Tschechei gepreßt worden ist, denke ich daß zu diesem Zeitpunkt nur sehr, sehr wenige Platten nach Deutschland gelangt sind (bedenke, Anfang November 1944: die Russen standen bereits vor Budapest und fast im Garten meiner Opa und Oma in Ost-Preußen !)
Eigenlich kenne ich auch nur 2 Exemplare die existieren: eine in der Tschechei und eine war in der Sammlung von Herrn X (Name ist mir entgangen), der damals die Sendung "Schellackschätzchen" präsentierte...
Schade eigentlich, denn es sind so schöne Aufnahmen...

Anläßlich Tempo-Platten bzw. Etiketten: es kann auch sein daß die Platte sauber gemacht worden ist bzw. naß geworden ist... Die Farbe wird schnell heller oder sogar dunkler wenn man unvorsichtigerweise das Etikett beim saubermachen mitnimmt...


Re: Schallplattenkauf in schweren Jahren
, Mo Jun 27 2011, 09:54

Erstmal vielen Dank für Eure Fragen und Hinweise !

Ja, die violetten Tempo sind natürlich Pressungen aus der Zeit vor 1945.

Tempo kostete ja nur 1 RM, das merkt man leider manchmal auch am Druck der Etiketten: Fehler, wildeste Kopplungen, zwei Bestellnummern auf einer Platte, Falschetikettierungen.

Ich habe das Glück, viele Tempos aus erster Hand in erfreulichem Zustand zu haben.




Nachpressungen von Tempo erkennt man leicht. Sie sind auf Weiß/ Schwarzer Druck, auf Schwarz/Weißer Druck und auf Hellbraun/Weißer Druck und tragen immer den Vermerk "Elite".

Wo genau diese Pressungen entstanden ist noch unklar. Mit Sicherheit kommen einige aus Ehrenfriedersdorf (Sachsen), dorthin hatte Tempo einige Pressen schon in den Kriegsjahren verlegt. (Dort wurden auch alle die frühen Amigas gepresst)

Vor etwa 15 Jahren hatte ich ein sehr interessantes Gespräch mit einer äteren Dame, die bei Tempo im Büro beschäftigt war.
Sie bestätigte die Arbeit des Werkes bis zum Jahresende 1944 und berichtete plastisch, welche großen Schwierigkeiten es gab. Benzin war extrem rationiert. Lehrmädchen lieferten in den letzten Monaten per Fahrrad und S-Bahn im Umland. Die Briefpost funktionierte zwar nahezu durchgängig über das Kriegsende hinaus, aber mit der Paketpost/Fracht wurde es zuletzt fast unmöglich Lieferungen an Händler zu senden und oft waren die Einzeländler über Nacht durch die Bomben wegrasiert.

Die Angestellten hofften sehr, es möge zunächst nur eine Betriebspause sein. Sie erwähnte auch, daß Stahmann senior ein netter, geschäftstüchtiger Mann war, aber sein Sohn ein "Nichtsnutz" (Originalton) war.
Wie es dann alles kam, ist im Internet hier und da zu lesen: Der Senior flüchtete regelrecht vor den Russen (samt etwas Material aus der Firma) und sein Sohn gab sich gegenüber den Russen erfolglos mit dürftigen Geschichten als der neue Besitzer des Werks aus.

Tempo hatte sich in den Kriegsjahren zu einer gut verkauften Marke gemausert und hatte nach unbestätigten Aussagen in diesen Jahren immerhin einen Verkaufsanteil von 15%.

Das Rezept mit unschlagbarem Preis (1 RM) und aus dem Radio bekannten Künstlern und Titeln ging auf.

Ein großer Erfolg war es sicherlich, daß Tempo dann auch nicht mehr nur in Kaufhäusern erhältlich war, sondern durchaus auch in bekannten Plattenläden.











An weiteren Informationen und Geschichten zu "Tempo" bin ich jederzeit interessiert !

Vielleicht bekommen wir zusammen auch mal eine Matrizennummern-Aufstellung mit verbürgten Aufnahmedaten hin ! Das, was Lange angibt ist leider unbrauchbar.

Gruß, Nils

Re: Schallplattenkauf in schweren Jahren
Calle, Mo Jun 27 2011, 10:18

Vielleicht bekommen wir zusammen auch mal eine Matrizennummern-Aufstellung mit verbürgten Aufnahmedaten hin ! Das, was Lange angibt ist leider unbrauchbar.


Können wir gerne machen ! Tempo hat indertat tolle Aufnahmen herausgebracht: z.B. die gezeigte Platte "Fräulein Madeleine" ist absolut hot (und das für 1 RM !) und auch die Aufnahme "Sie will nicht Blumen und nicht Schokolade" usw. sind klasse !

Überigens... Nils: hast Du alle Deine Platten in Plastikhüllen ? Ich habe da nämlich schlechte Erfahrungen gemacht daß mir da mal einige Platten zerbrochen sind weil die Plastikhüllen so glatt sind bzw. einfach verrutschen...

Re: Schallplattenkauf in schweren Jahren
, Mo Jun 27 2011, 10:36

Hallo Calle,

ja, ich habe mich zu diesen PVC-Hüllen entschlossen, weil mir die alten Originalhüllen einfach zu sehr leiden, wenn sie im Regal stehen und man was sucht.

Aber natürlich hast Du recht, sie rutschen aufeinander wie mit Seife geschmiert ! Man muß sehr aufpaasen :-D

Ok. wir können ja erstmal zusammentragen, was an gesicherten Aufnahmedaten vorliegt. So ein Verzeichnis mit Matr.Nr hat den Vorteil, daß es für alle Interpreten und Orchester auf Tempo anwendbar wäre, also durchaus praktischer ist, als eine reine Horst Winter Zusammenstellung.

Fräulein Madeleine ist wirklich klasse ^^ Ich mag auch Winters Instrumentalversion von " Bim Bam" sehr gerne, fast eine meiner liebsten Platten. Na, bei Winter wird man aber kaum fertig, wenn man alle schönen Titel nennen möchte. Ich kenne keine Tempo mit Winter, die es nicht zu sammeln lohnen würde.

Re: Schallplattenkauf in schweren Jahren
Odeon89, Do Sep 29 2011, 01:13

Hallo zusammen,

durch Zufall habe ich bei einer Recherche im Internet endlich ein Bild eines Grau-Labels von Telefunken gefunden, das anscheinend noch aus Kriegstagen stammt. Damit wäre zwar noch nicht endgültig bewiesen, dass es vor Kriegsende schon Grau-Etikett-Platten der Telefunken gab, aber es ist zumindest mal ein Indiz dafür. *grins

Re: Schallplattenkauf in schweren Jahren
berauscht, Do Sep 29 2011, 12:51

Ich habe einmal gelesen, daß diese Grau-Etikett-Platten während des Krieges in Prag bei Ultraphon gepresst worden sind.

Re: Schallplattenkauf in schweren Jahren
krammofoon, Do Sep 29 2011, 17:31

Servus :-)

eine Grau-Etikett habe ich im Fundus.....:
Bestell-Nr.: A 10762 - A-Seite = O, Donna Juanita - B-Seite = Tschiou, Tschiou

Im Spiegel stehen: A-Seite = handschriftlich Lu.-La. so wie (Dreieckssymbol)35539
B-Seite = das Selbe, nur alternativ die 35540.

Kann mir nun wer sagen, aus welchem Jahr die Platte stammt?

Gruss
Georg

P. S.: @ Admins.... das mit der 700er Auflösung stimmt wohl nicht mehr. Meine Bilder haben 700 x 525 px und sehen gestaucht, bzw. gezerrt aus; egal in welcher Auflösung.

Den Rest erkennt man auf dem Bild.






Re: Schallplattenkauf in schweren Jahren
, Do Sep 29 2011, 18:21

Hallo Krammofoon, obige Scheibe gehört schon zu den Nachkriegsplatten. Auf Odeon wurde "O Donna Juanita" am 6. Mai 1949 aufgenommen. Also stammt diese Platte auch aus dieser Zeit.

Re: Schallplattenkauf in schweren Jahren
krammofoon, Do Sep 29 2011, 19:23

Servus :-)

danke mein wandelndes Schellack-Lexikon *gg*.
Glatt um 4 Jahre verhauen. Hätte ja sein können......

Gruss
Georg

Re: Schallplattenkauf in schweren Jahren
snookerbee, Sa Nov 05 2011, 11:28


Eine Frage in die Runde:

Gibt es eigentlich eine empfehlensswerte Buchpublikation oder wissenschaftliche Arbeit zum Thema "Tanzmusik und Jazz 1933 bis 1945" ?



Re: Schallplattenkauf in schweren Jahren
, Sa Nov 05 2011, 12:06

Ein guter tip dazu !

Die Dissertation zum Doktorgrad von Axel Jockwer

"Unterhaltungsmusik im Dritten Reich "

Universität Konstanz 2004

Eine wahrhaft umfangreiche und detaillierte Zusammenfassung mit ebenso interessanten Quellenangaben.

Die Arbeit ist im Internet verfügbar ! (Google bemühen)

Einzig die Kosten für den Ausdruck fallen an. 630 Seiten.

Aber das kann ich wirklich jedem Interessierten empfehlen.
Allein die Quellen sind für uns so wichtig, weil sich nur so "Dichtung und Wahrheit" trennen lässt.

Gruß, Nils




Re: Schallplattenkauf in schweren Jahren
gramofan, Sa Nov 05 2011, 14:09

Wenn es schon fertig gedruckt sein darf, noch empfehlenswert:
Christain Kellersmann: Jazz in Deutschland 1933 - 1945, Menden 1990,
Bernd Polster (Hrsg.): Swing Heil! Jazz im Nationalsozialismus, Berlin 1989
Michael H. Kater: Different Drummers - Jazz in the Culture of Nazi Germany, New York 1992.
Alle drei Bücher haben ihren Schwerpunkt im Bereich Tanzmusik (auch wenn der Titel etwas anderes vermuten lässt).
Und ganz lesenswert die Erinnerungen eines Zeitzeugen:
Gunter Lust: The Flat Foot Flogee, treudeutsch, treudeutsch, Hamburg 1992.
Von Horst Winter und Teddy Stauffer gibt's Autobiographien. Weniger bekannt ist die von Hans Werner Kleve, der in den letzten Kriegsjahren in Berlin ein Orchester leitetet (aber keine Platten mehr aufnehmen konnte).

Re: Schallplattenkauf in schweren Jahren
snookerbee, Sa Nov 05 2011, 14:34

@Gast & gramofan:

Herzlichen Dank für die Lektüre. Die Empfehlungen sind mal wieder ein Grund, in die Bibliothek zu gehen.

LG
Claus

Re: Schallplattenkauf in schweren Jahren
Aristodemo, Fr Feb 03 2012, 10:55

Hallo, erlaube mir noch ein paar Anmerkungen zu obigem Tread....

Schallplatten wurden schon im 1. Weltkrieg als "zum täglichen Bedarf gehörend" angesehen, ODEON hat z.B.bis 1917 Platten aufgenommen, xxB 6321 - 6399, Be 1800 - 1850.
Die wohl letzte deutsche Aufnahme(im ". Weltkrieg) wurde von ODEON am 16.Januar 1945 mit Kurt Stieler, Violine getätigt, Herbert Ernst Groh nahm noch "Resignation" und Tango Arigane" auf (Be 13535/13536).
Zur Bereitung von Schellackmasse gehört IMMER ein gewisses Quantum Altmaterial, dieses soll sich positiv auf das Pressmaterial auswirken.
Die Abgabe von Altmaterial wurde 1942 eingeführt, anfangs eine, später zwei Platten. Zu Ende des Krieges musste sogar ein Kuvert abgegeben werden, wenn nicht sogar Illustrierten-Kunstbeilagen von Kriegsberichterstattern zu Plattenhüllen verarbeitet wurden.

Re: Schallplattenkauf in schweren Jahren
, So Apr 01 2012, 16:08

Hier habe ich noch einen interessanten Nachtrag.

Dies ist eine relativ späte Tempoplatte. Aufgenommen im Juni 1944 (nach den inzwischen gesicherten Erkenntnissen, daß leider alle Datumsangaben in der Lange-Diskographie für die späten Kriegsjahre ab 1942/43 eindeutig falsch sind).
Leider haben diese falschen Angaben von Horst H. Lange über die Jahre in vielen Publikationen oder CD/LP-Booklets Einzug gehalten.




Der bekannte Schlager aus der Endzeit des Krieges wurde also im Sommer 1944 vrkauft.

Diese und etliche andere sehr interessante Platten kommen aus dem Nachlaß des von mir öfter zitierten Zeitzeugen.
Er kaufte sich praktisch jeden Monat einige Schlagerplatten, er wußte auch bis zuletzt fast immer so etwa wo und wann gekauft und erkannte jede Plattenseite nach zwei Takten...

Der Zwangsumtausch war ihm natürlich nicht gelegen, weil er jede Platte sehr pfleglich behandelte.
Er zahlte halt die 50 Reichspfennig mehr pro Platte, die fällig wurden, wenn man keine Altplatten beim Neukauf abgeben konnte.
Sehr sympathisch ! :-)

Nachtrag:
das "Musik-u. Radiohaus Friedrich Görz" (Nauener Str., heute Friedrich-Ebert-Str., rechts neben dem geschlossenen Kino Melodie) war der bekannteste Plattenladen in Potsdam mit zeitweiligen Filialen in Babelsberg und Berlin-Steglitz

Re: Schallplattenkauf in schweren Jahren
snookerbee, So Apr 01 2012, 18:11


Danke für die Info. Damit kann ich nun eindeutig sagen, daß ich auch im Besitz einer der ganz späten Tempo-Scheiben bin. Diese Aufnahme ist übrigens auch auf späteren Amiga-Pressungen verwendet worden.

Re: Schallplattenkauf in schweren Jahren
Calle, Mo Apr 02 2012, 00:19

Hallo Nils !
ist der Zeitzeuge neulich verstorben ? Dies, da Du am 25. Juni letzten Jahres schrieb "Ich habe das große Glück, noch einen lebendigen Zeitzeugen zu haben, dessen Hobby Schallplatten waren und der sich viele Platten in den Jahren 1932 - 1945 kaufte. Die Platten existieren zum Glück größtenteils bis heute."

Wäre wirklich schade...; der konnte Dir bestimmt vieles (aus 1. Hand) erzählen über unser Hobby !

Mfg
Calle


Re: Schallplattenkauf in schweren Jahren
, Mo Apr 02 2012, 03:26

Hallo Calle,

ja, leider, der alte Herr ist im Dezember im stolzen Alter von 98 Jahren verstorben.

Gruß, Nils

Re: Schallplattenkauf in schweren Jahren
berauscht, Do Jun 14 2012, 15:06

Aus Schallplattenreklame der Jahre 1943/44:



Re: Schallplattenkauf in schweren Jahren
GrammophonTeam, Fr Jun 15 2012, 07:23

1941/42




Re: Schallplattenkauf in schweren Jahren
, Fr Jun 15 2012, 09:34

Noch eine Anmerkung aus dem Buch von Stephan Wuthe "Swingtime in Deutschland".

Demnach mußte für Tempo-Platten KEIN Altmaterial abgegeben werden. Und das bei einem Verkaufspreis von nur 1,- RM.

Vielleicht war das neben dem Preis auch ein Baustein für den sehr gewachsenen Anteil der TEMPO in den Kriegsjahren.

Es sei auch nochmal erwähnt, daß es 0,50 RM extra kostete, wenn man keine Altplatten beim Kauf einer neuen abgeben konnte/wollte.

Gruß,Nils

Re: Schallplattenkauf in schweren Jahren
berauscht, Fr Jun 15 2012, 15:30

Möglicherweise hängt die große Verbreitung auch mit der Firmengröße zusammen, irgendwo hab ich mal gelesen, daß Tempo so klein war, daß sie keine Platten für den Export herstellen mussten, und deshalb die ganze Produktion im Reich verkauft wurde.

Allerdings gibt es ja auch die E4000 Bestellnummernserie, von dieser hab ich auch mal irgendwo gelesen, es sei eine Exportserie gewesen.

Wer weiß da was über die E4000er Serie?

Re: Schallplattenkauf in schweren Jahren
, Fr Jun 15 2012, 15:58

Ja, die E Serie war tatsächlich für den Export gedacht, allerdings wurden sie auch innerhalb Deutschlands verkauft.

Österreich gehörte ja zum "Reich" in den Jahren und dort findet man sie ausgesprochen häufig auf Flohmärkten usw.

Wenn mich meine Erinnerung jetzt nicht täuscht, soll Tempo in den Kriegsjahren immerhin einen Anteil von 15% am Gesamtverkauf gehabt haben.

Gruß, Nils

Re: Schallplattenkauf in schweren Jahren
SchellackFreak, Mi Jan 30 2013, 20:06

Auch das gehörte zu den schweren Jahren des Schallplattenkaufes mit dazu. Bei den meisten Geschäften, Abgabe von Altmaterial oder Aufpreis. Was da wohl alles für Schätze eingetauscht wurden







Re: Schallplattenkauf in schweren Jahren
Calle, Mi Jan 30 2013, 22:42

Die schönen James Kok, Erhard Bauschke, Julian Fuhs, Sam Wooding, Eugen Wolff, Anny Ondra, usw. usw. usw. Platten...

im Tausch gegen die Orange Polydor-Platten...

Re: Schallplattenkauf in schweren Jahren
Rundfunkonkel, Mi Jan 30 2013, 23:54

@Calle: .

Ist irgendwie bekannt, wieviel % des Altbestandes recycelt wurde?

Re: Schallplattenkauf in schweren Jahren
gramofan, Do Jan 31 2013, 00:07

Wie alles in Deutschland war auch die Altmaterialabgabe im Krieg bis in die letzten Kleinigkeiten bürokratisch geregelt. Anbei habe ich mal ein paar Schreiben der Plattenfirmen an den Handel diesbezüglich abgelichtet.
Anfangs musste man anscheinend "nur" eine alte Platte abgeben, um eine neue zu bekommen. Später im Krieg waren es dann nach übereinstimmenden Erzählungen verschiedener "Zeitzeugen" schon 2 Platten. Selbst wenn man den Teil mit dem Etikett rausstanzte, blieb immer noch ein Materialüberschuss - und da fängt es an interessant zu werden. Davon wurden nämlich Platten für den Export ins neutrale Ausland (Schweden, Schweiz, Dänemark[ das offiziell nicht besetzt war, sondern "freiwillig" die Stationierung deutscher Truppen duldete]) gepresst, um davon kriegswichtige Rohmaterialien einzukaufen. Wenn ich mir so vorstelle, welche Raritäten aus den 20er Jahren da für schwedisches Eisenerz eingetauscht wurden.... *ohh









Re: Schallplattenkauf in schweren Jahren
gramofan, Do Jan 31 2013, 00:40

und hoffentlich der Rest















Re: Schallplattenkauf in schweren Jahren
berauscht, Do Jan 31 2013, 10:51

Auch nach dem Krieg mussten noch Schallplatten abgegeben werden um neue zu bekommen.
Hier ein Zeitungsartikel der die ersten Nachkriegsplatten ankündigt, und eine dazu passende Werbeanzeige.



Re: Schallplattenkauf in schweren Jahren
snookerbee, Do Jan 31 2013, 12:27

In der sowjetischen Besatzungszone mußten nach dem Krieg auch Altplatten zurückgegeben werden. Wie lange diese Verpflichtung bestand, weiß ich im Moment nicht. Außerdem gab es Koppelgeschäfte, welche die Käuferschaft zum kreativen Umgang mit der Rückgabebestimmung ermutigte:

Plattenläden mussten beim Einkauf von Amiga-Platten (in der Regel Tanzmusik) eine bestimmte Menge anderer, gewissermaßen pädagogisch wertvoller Platten mitabnehmen. Damit sollte vor allem der Verkauf von (Ernst) Busch-Liedern angekurbelt werden. Darüber beschwerten sich einige Händler, die diese Kopplung an ihre Kunden weitergeben (mussten). Die wiederum entwickelten ungewöhnliche Kaufstrategien, wie der Leipziger Grossist verriet: "Was nun die Absatzmöglichkeiten der Busch-Platten betrifft, so ist das Publikum im allgemeinen diesen Platten gegenüber ablehnend. Mir berichten Händler, daß - da zunächst die Mitnahme von Busch-Platten verlangt wurde - das Publikum unmittelbar nach dem Kauf diese Platten zerbrach und als Altmaterial für weitere Amiga-Platten zurückgab."

Quelle des Zitats: Link - Hier klicken

Re: Schallplattenkauf in schweren Jahren
RF-Musiker, Do Jan 31 2013, 14:29

"Mir berichten Händler, daß - da zunächst die Mitnahme von Busch-Platten verlangt wurde - das Publikum unmittelbar nach dem Kauf diese Platten zerbrach und als Altmaterial für weitere Amiga-Platten zurückgab." Geniale Idee, denn den Arbeitertenor wollten wirklich nur die hören, deren Herz für den Sozialismus schlug.

Re: Schallplattenkauf in schweren Jahren
Limania, Do Jan 31 2013, 17:28

Hallo,

hier eine Anzeige aus der Nordbayerischen Zeitung- Fürther Anzeiger, vom Mittwoch, den 11. Dezember 1940





LG Limania