Deutsche Nachkriegs-Swing-Elite
snookerbee, Fr Feb 17 2012, 22:25


Liebe Schellackfreunde,

heute erhielt ich etwa 50 Platten der Firma AMIGA aus der Zeit von 1947 bis 1949. Dabei waren zwei auffällige Platten mit eine wahren Elite an Nachkriegsswingern. Hier die Labelabbildungen.





Die Daten der Aufnahmen:

Hot Club Berlin Session - 15. Juli 1948, Berlin / Amiga Star Band II - September 1948

Sind von diesen Sessions oder den begleitenden Zusammentreffen einiger der besten Musiker des Landes eventuell Fotos oder zeitgenössische Zeitungsartikel vorhanden? Immerhin war REX STEWART, der Stargast der ersten Session, einer der seinerzeit bekanntesten Musiker des Duke-Ellington-Orchesters.

Für ergänzende Infos zu den Platten wäre ich sehr dankbar.

Viele Grüße
Claus



Re: Deutsche Nachkriegs-Swing-Elite
snookerbee, Sa Feb 18 2012, 00:46


Ein Ausschnitt aus Rex Stewarts Memoiren:

http://ehsankhoshbakht.blogspot.com/2012/01/rex-stewart-in-berlin.html

Re: Deutsche Nachkriegs-Swing-Elite
Formiggini, Mo Feb 20 2012, 19:23

Rex Stewart Hot Club Berlin Session

15. Juli 1948
AM1046 Blue Lou AM1164
AM1047 Muskrat Ramble AM1165
AM1050 Air Lift Stomp (Amiga Stomp) AM1163
AM1048 Bei dir war es immer so Schön AM1164
AM1049 Linden Blues AM1163
AM1051 Old Woman Blues AM1165

Am 7. Juli 1948 fand eine Jam Session mit Rex Stewart in der Wohnung des Jazzexperten und Photographen Hans H. Hartmann (Studio Hartmann-Peter) statt.
Am 9. Juli 1948 trat Stewart im kleinen Restaurant des Delphi Palastes auf.

Dies hatte sich auch in der Presse niedergeschlagen, handelte es sich doch um die ersten Auftritte farbiger Jazzmusiker seit Ende der zwanziger Jahre in Deutschland.

Der Spiegel veröffentlichte einen Artikel über Stewart´s Gastspiel: Link - Hier klicken




Re: Deutsche Nachkriegs-Swing-Elite
snookerbee, Mo Feb 20 2012, 20:28


@Formiggini:

Herzlichen Dank für die Daten, Uli. Den Spiegel-Bericht kannte ich auch noch nicht.

Grüße
Claus

NACHTRAG: Eine Auswertung der technischen Aspekte der Rex-Stewart-Session befindet sich hier.


Re: Deutsche Nachkriegs-Swing-Elite
snookerbee, So Feb 21 2016, 00:35

Ich möchte nochmal diesen älteren Eintrag hochholen und die oben gestellte Frage wiederholen:

Sind von diesen Sessions oder den begleitenden Zusammentreffen einiger der besten Musiker des Landes eventuell Fotos ... vorhanden? Immerhin war REX STEWART, der Stargast der ersten Session, einer der seinerzeit bekanntesten Musiker des Duke-Ellington-Orchesters.

Re: Deutsche Nachkriegs-Swing-Elite
78er, So Feb 21 2016, 00:59

Evtl. kann dieser Link hier Link - Hier klicken etwas weiterhelfen.
Die Bilder im Text sind aber leider bei dieser Online-Version nicht zu sehen.

Schönen Gruß,
Thomas



Re: Deutsche Nachkriegs-Swing-Elite
snookerbee, So Feb 21 2016, 01:45

Danke für Dein Interesse und den Link, Thomas. Das Buch liegt mir vor. Leider enthält es keine Fotos dieser Begegnungen.

Es führt uns aber gleich zu einer Ungereimtheit in den verfügbaren Quellen. Wo wurden die Plattenaufnahmen der Rex Stewart-Session am 15. Juli 1948 tatsächlich mitgeschnittten?

Der Spiegel-Artikel suggeriert den Delphi-Keller in der Kantstraße ( Link - Hier klicken ), was von Wikipedia übernommen wurde auf der Seite zum Jazzzclub Quasimodo. Das Buch "Freie Töne" hingegen schreibt die Session dem Amerika-Haus in der Kleiststrasse zu ( Link - Hier klicken ). Noch verwirrender wird es, wenn man bedenkt, dass auf Grund der im Nachkriegs-Berlin spärlich erhaltenen Infrastruktur frühe Orchesteraufnahmen des auch zu dieser Zeit auf Amiga präsenten RBT-Orchesters im von den Kriegseinwirkungen verschonten Haus des Rundfunks in der Masurenallee hergestellt wurden. Wie lange das ausgeführt wurde, entzieht sich leider meiner Kenntniss, aber aus technischer Sicht wäre eine rundfunkbasierte Aufnahme der Stewart-Session durchaus denkbar. Hier ist noch Klärungsbedarf angemeldet.

VG Claus

Re: Deutsche Nachkriegs-Swing-Elite
snookerbee, So Feb 21 2016, 15:28


Stephan Wuthe hat dankenswerterweise darauf hingewiesen, dass die Musikaufnahmen nach durchgespielter Jam-Session-Nacht ab 7 Uhr morgens im "Titania-Palast" in Steglitz stattfanden. Zu dieser frühen Zeit ware auch die Stromversorgung gesichert.

Infos aus Stephan Wuthe: Swingtime in Deutschland, Seite 26

Quellen: Franz Heinrich [anwesend als Vorsitzender der GJC], Horst H. Lange [anwesend bei der Jamsession sowohl bei Hartmann & Peter als auch im Delphi], beide schreiben in ihren Veröffentlichungen "Swing Generation" und "Comics, Jazz und irre Zeiten" über das Erlebnis.

Re: Deutsche Nachkriegs-Swing-Elite
Swingfan, Di Jun 25 2019, 22:27

Hallo Claus,

ich habe die Berichte aus dem Heften "Melodie" vom Juli 1947 und 1948 noch einmal nachgelesen. Ja, und da wird wirklich einiges durcheinandergebracht.

Der Hot Club Berlin wurde 1934 von Berliner Jazzliebhabern gegründet, der sich regelmäßig zu Plattenabenden zusammensetzte. Sie hatten auch den großen Ehrgeiz regelmäßig Jam-Sessions mit Amateur- und Berufsmusikern zu veranstalten. Das war in der Nazi-Zeit eine wirklich heikle Angelegenheit.

Vom 05. zum 06. Juni 1947 fand die erste Jam-Session im endlich von den Nazis befreiten Berlin statt. Dazu traf man sich um 22 Uhr in einem nicht genannten Lokal in der Kantstraße, Berlin. Obwohl ein Reporter vom Berliner Rundfunk und vom RIAS dabei waren, wurde ihnen nicht gestattet Aufnahmen machen zu dürfen, Grund: die Reportagen hätten ein Arrangement erfordert, und das wäre der "Jam-Session" zuwidergelaufen. Es sind bei dieser Veranstaltung einige Bilder von Musikern gemacht worden.

In der "Melodie" Ausgabe vom Juli 1948, und hier übernehme ich die Daten von Uli, hatte Herr Hartmann-Peter um Mitternacht am 07.07.48 Rex Stewart zu einer Jam-Session in sein geräumiges Kamera-Studio eingeladen. Auch waren eine Menge Besucher mit dabei. Melodie erwähnte hier, dass Rex Stewart schon Vorgestern, das wäre dann also der 05.07.48, das erste Mal in Berlin zu hören war, in einer großen Bühnenschau im Titania-Palast in Steglitz, Berlin.

Am 09.07.48, laut Uli fand dann im Untergeschoß des Delphi-Palastes, der Tanzsaal war noch ausgebombt, die berühmte 10. Jam-Session des Hot Club Berlins, eine sogenannte Jubiläums-Session statt, in der man extra dafür Rex Stewart eingeladen hatte. Da um Mitternacht Stromsperre war, sollte jeder eine Kerze mitbringen.

Und wieder eine Nacht, so schildert die Zeitschrift "Melodie" und nennt leider kein Datum, doch du gibst ja den 15.07.48 an, hat der künstlerische Aufnahmeleiter Herr Metaxa Rex Stewart in das Aufnahmestudio der Amiga-Schallplatten eingeladen. Ja, und hier entstanden dann, auch wieder mit weiteren eingeladenen Besuchern, die frei improvisierten Aufnahmen auf die Amiga-Schallplatten statt. Der Reporter von Melodie erzählt den musikalischen Hergang in sehr eindrucksvoller Weise.

Bilder gibt es von der Jam-Session in "Melodie" keine. Es gibt sie aber. Nur nicht in "Melodie". Es gibt hier nur ein einziges Bild in dem Aufnahmestudio von Amiga-Schallplatten.

Ich hoffe, das ein wenig geradegerückt zu haben.

Gruß, Michael


Re: Deutsche Nachkriegs-Swing-Elite
Swingfan, Di Jun 25 2019, 23:17

Ach, ich bin ja dumm. Es gibt ja auch einen Artikel der Jam-Session in dem Buch "Tanzdielen und Vergnügungspaläste", und da gibt es tatsächlich 3 Aufnahmen einer Jam-Session. Ob das nun tatsächlich Bilder vom Untergeschoß des Delphi-Palastes sind, kann ich nicht beurteilen. Wenn es erlaubt ist, könnte ich die Bilder vielleicht hier auch zeigen.

Gruß, Michael

Re: Deutsche Nachkriegs-Swing-Elite
snookerbee, Di Jun 25 2019, 23:38

Vielen Dank für Deinen Beitrag, Michael.

Das Aufnahmedatum der Platten ist im allgemeinen Konsens, jedoch der Ort scheinbar nicht. Wie schon oben Link - Hier klicken geschrieben, gibt es Zeugen für den "Titania-Palast" in Steglitz.

Wenn Du vom AMIGA-Studio sprichst, wo Metaxas auch diverse Platten mit anderen Künstlern produzierte, befand sich das etwa zu dieser Zeit im Titania-Palast? Oder war es vielleicht im Haus des Rundfunks in der Masuerenallee, wo direkt nach dem Krieg die Technik noch stand?

Herr Meyer-Rähnitz gibt in seiner AMIGA-Discographie leider auch keine straßengenauen Örtlichkeiten für sämtliche AMIGA-Aufnahmen der 1940er Jahre an.

Wenn es von Rex Stewart im "Aufnahmestudio von Amiga-Schallplatten" ein Foto gibt, lässt sich dadurch auf einen Ort schließen?

Übrigens sind die gesammelten Aufnahmen der AMIGA-Session mit Rex Stewart in unserer Sendeanstalt zu hören: Link - Hier klicken

VG Claus




Re: Deutsche Nachkriegs-Swing-Elite
Swingfan, Do Jun 27 2019, 19:15

Also, ich hatte die Zeit genutzt, um in einigen Heften, Büchern und Internetrecherchen fündig werden zu wollen.

In dem Buch von Horst H. Lange "Comics, Jazz und irre Zeiten" habe ich beim ersten Überfliegen nichts gefunden. Da schaue ich aber nochmal genauer nach. Genauso wenig fand ich auch in der Biographie von Gerhard Conrad "Posaunen-Dob". Im Internet fand ich wenigstens ein Interview mit Rex Stewart, wo er von seiner Berliner Zeit erzählt. Doch für den Aufnahmeort der Platten, Fehlanzeige.

Letztendlich wurde ich fündig in dem Buch "Jazz in Berlin" von Rainer Bratfisch. Hier erzählt er den Hergang von den Aufführungen von Rex Stewart im Titania-Palast, die den Namen "Holyday Delight" trugen bis zu der Aufführung am 07.07.48 in der tatsächlichen Wohnung von Hartmann-Peter, in der auch ein geräumiges Kamera-Studio vorhanden war (im Mendelsohn-Bau am Lehniner Platz/ Cicerostraße).

Am 15.07.48 fanden dann unter der künstlerischen Leitung von dem Aufnahmeleiter der Amiga Konstantin Metaxas die berühmten Aufnahmen im Amerika-Haus am Nollendorfplatz, nähe Kleiststraße, statt. Das alte Amerika-Haus besaß extra für solche Veranstaltungen eine entsprechende Theaterbühne.

Nun, das erstmal zum schriftlichen Teil. Für die Bilder muss ich erstmal die Lampen aufbauen und erscheinen dann im nächsten Kommentar.

Gruß, Michael


Re: Deutsche Nachkriegs-Swing-Elite
snookerbee, Do Jun 27 2019, 20:01

Die Info zum Titania-Palast erhielt ich von Stephan Wuthe. Leider kann ich die entsprechende Mail nicht mehr finden. Der Hinweis auf die Quellen dazu stammt auch von Stephan. Die Bücher von Heinrich und Lange habe ich nicht. Daher keine Prüfung möglich.

Noch eine Ergänzung:
Siegfried Schmidt-Joos schreibt die Aufnahmen auch dem Amerika-Haus am Nollendorfplatz zu. In seiner Bio "Die Stasi swingt nicht" führt er mit Datum 7.7.48 aus:

"Während der Session bei Hartmann-Peter verabredet Constantin Th. Metaxas ... mit Rex Stewart die Aufnahme von sechs Titeln in gemischter Besetzung für den 15. Juli im Amerika-Haus, damals in der Kleiststraße am Nollendorfplatz."

Er schreibt von einer "Verabredung", aber zum Ereignis selbst fehlen weitere Worte.

Re: Deutsche Nachkriegs-Swing-Elite
Swingfan, Do Jun 27 2019, 20:20

Ich danke dir, Claus, für die Eingabe der kleinen Episode. So wird langsam aus Schwarz-Weiß ein farbiges Bild. Gut, Siegfried Schmidt-Joos kenne ich nun wieder nicht.

Es verwundert mich schon, obwohl so viele Gäste, Deutsche und Amerikaner, bei allen Veranstaltungen mit dabei waren, dass es so wenig authentische Berichte davon gibt.

Gruß, Michael

Re: Deutsche Nachkriegs-Swing-Elite
Swingfan, So Jun 30 2019, 08:54

Hier folgt nun das Bild, das während der Amiga-Aufnahmen gemacht wurde. Es ist wirklich nur das eine. In dem Heft "Posaunen-Dob", wie oben schon genannt, ist das gleiche Bild enthalten. Von der 10. Jam-Session im unteren Raum vom Delphi-Palast sind bisher keine Bilder erschienen. Es gibt zwar noch 3 weitere erschienene Bilder, die sind aber nicht vom Delphi-Palast. Man muss sich vergegenwärtigen, das der HCB bis 1950 etwa 12 Jam-Sessions an verschiedenen Orten veranstaltet hatte.








aus der Zeitschrift Melodie 3. Jahrgang Nr. 7 - 1948

Gruß, Michael


Re: Deutsche Nachkriegs-Swing-Elite
snookerbee, So Jun 30 2019, 12:50

Interessantes Foto! Danke dafür. Die Mikrophonierung scheint äußerst sparsam zu sein. Ein Hauptmikrophon in der Mitte und ein hängendes Zweitmikro rechts über dem Klavier entsprechen Vorkriegsstandard, könnten aber auch auf eine mobile Aufnahmetechnik hindeuten. Der Vorhang im Hintergrund könnte ein Bühnenvorhang sein. Meiner Meinung nach zeigt das Bild kein festes Studio, sondern eine Auftrittsstätte. Somit passt das zu den Kommentaren oben.

VG Claus

Re: Deutsche Nachkriegs-Swing-Elite
Swingfan, So Jun 30 2019, 17:14

Ja, Claus, das sehe ich auch so. Obwohl Rainer Bratfisch erst 2014 "Jazz in Berlin" herausgebracht hatte ist alles in dem Buch sehr gut recherchiert. Zu den befragten Zeitzeugen gehört auch die Klarinetten-Legende Rolf Kühn, der von der Amiga-Zeit im Tanzorchester von Kurt Henkels spricht. Die Plattenaufnahmen wurden tatsächlich in den Studios im Haus des Rundfunk in der Masurenallee gemacht, und zwar direkt vom Mikrophon auf Platte, ohne ein Tonbandgerät.

Ob nun die Studiotechnik, die im Amerika-Haus aufgebaut wurde, schon aus einem Tonbandgerät besteht oder noch direkt in Wachsplatten geschnitten wurde lässt sich wohl nicht mehr ermitteln.

Gruß, Michael


Re: Deutsche Nachkriegs-Swing-Elite
snookerbee, So Jun 30 2019, 18:44

Swingfan schrieb ...

Ob nun die Studiotechnik, die im Amerika-Haus aufgebaut wurde, schon aus einem Tonbandgerät besteht oder noch direkt in Wachsplatten geschnitten wurde lässt sich wohl nicht mehr ermitteln.


Die Platten der Rex Stewart-Sitzung haben alle den Suffix "- U" nach der Matrizennummer im Wachs graviert. Soweit bekannt, wurde die Matrize in diesem Fall durch Umschnitt von Band angefertigt. Das traf ab ca. 1948 auf immer mehr AMIGA-Aufnahmen zu, weshalb man später dann den Suffix wegließ.

VG Claus