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Eine ungewöhnliche Klassikaufnahme von 1943
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Autor Eintrag
snookerbee
Sa Dez 31 2011, 18:10 Druck Ansicht
"Urgestein"

⇒ Mitglied seit ⇐: Fr Apr 15 2011, 20:12
Beiträge: 1676


Zum Jahresausklang möchte ich Euch gern folgende einmalige Platte vorstellen.
Kommentare und Gedanken dazu sind herzlich willkommen!





Link - Hier klicken

Die Platte beginnt mit einer Ansage:

"Eine Erinnerung aus Darmstadt. Sie hören das Trio von Beethoven für zwei Oboen und Englischhorn, gespielt von den Gefreiten Reich, Dannhäuser und Unteroffizier Fischer."

Eine mit Kunststoff beschichtete und auf beiden Seiten bespielte Aluminiumplatte. Der Bereich des Labels ist unbeschriftet. Auf der anderen Seite klebt ein Zettel mit einer handschriftlichen "1"

Die Angabe "Rundfunk Aufnahme: 27. März 1943" steht auf der Papierhülle, ebenso wie ein unleserliches Kürzel. Ob die Aufnahme zu Hause VOR dem Radio oder im Studio FÜR eine Rundfunksendung gemacht wurde ist nicht bekannt. Immerhin ist die Aufnahme auf beiden Seiten komplett, was letzteres vermuten lässt.

Die Ansage zu Beginn erwähnt drei Namen mit Dienstgraden. Die Musiker waren also Soldaten. Im 4. Kriegsjahr 1943 kein Wunder. Wurde die Platte etwa bei der Truppe selbst hergestellt, um dann von einer Rundfunkstadtion als Gruß in die Heimat gesendet zu werden?

Die Spieler haben Schwierigkeiten mit der Ausführung des Stückes, speziell mit der Intonation. Waren sie vielleicht Hobbymusiker oder einfach aus der Übung wegen dem Kriegseinsatz? Auf jeden Fall ein anrührendes historisches Dokument dreier Menschen, die inmitten der Kriegswirren ein Zeichen ihres Daseins hinterließen.

Zur Herkunft der Platte ist nur bekannt, dass sie aus dem Nachlass eines 92 Jahre alten Herrn stammt, der 2011 verstarb. Vielleicht war er einer der Spieler auf der Platte? Altersmäßig würde es passen.


[ Bearbeitet Mi Apr 24 2013, 23:32 ]
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Willi-H-411
Sa Dez 31 2011, 18:58
⇒ Mitglied seit ⇐: Mi Okt 12 2011, 11:42
Wohnort: Ruhrpott
Beiträge: 1296
Anrührend. Nicht "Drei Männer im Schnee", sondern "Drei Männer im Krieg".

Ich schätze mal, daß deine Annahme, diese Aufnahme könne an der Front gemacht worden sein, um sie über Rundfunk den Angehörigen zu Hause vorspielen zu können, richtig sein wird. Es gab ja, so wie ich weiß, auch Grüße von der Heimat an die Front, warum also nicht auch umgekehrt?

Bei den Wirren des Krieges ist es aber wohl nicht zwingend so gewesen, daß die Aufführenden zur Sendung im Rundfunk noch am leben waren. Eine äußerst makabere Angelegenheit. So wie jeder Krieg aber wohl von sich aus makaber ist.

VG Willi


[ Bearbeitet Mi Okt 24 2012, 19:05 ]
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berauscht
So Jan 01 2012, 13:48
"Urgestein" Autor

⇒ Mitglied seit ⇐: Mi Jan 06 2010, 21:59
Beiträge: 1958
Ein interessantes Zeitdokument!
Man könnte auch mutmaßen und spekulieren, daß die Aufnahme im Lazarett in Darmstadt entstanden ist, als Gruß an die Kameraden an der Front, zur Sendung über einen Soldatensender. Die Probleme bei der Ausführung des Stückes könnten Kriegsverletzungen zugrunde liegen. Die Aufnahme sollte vielleicht zeigen: Uns geht's wieder gut, wir können sogar schon wieder Musik machen.

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snookerbee
So Jan 01 2012, 15:19
"Urgestein"

⇒ Mitglied seit ⇐: Fr Apr 15 2011, 20:12
Beiträge: 1676

@berauscht: Der Gedanke zu Darmstadt ist sehr schlüssig. Bin ich nicht draufgekommen. Ich habe mal eine Wochenschau über kriegsversehrte Soldaten und ihre Betreuung gesehen. Ob da allerdings musiziert wurde weiß ich nicht mehr.

@Willi-H-411: Ich hatte auch ein seltsames Gefühl beim Hören der Platte - die Hochkultur und der Krieg Seite an Seite. Es gibt ja Klassik-Aufnahmen aus Berlin, wo man im Hintergrund das Böllern der Flak-Geschütze hört. Wie in einer Zeitmaschine wird man da gleich ins Geschehen reingezogen, ob man will oder nicht.

[ Bearbeitet So Mär 25 2012, 17:31 ]
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Willi-H-411
So Jan 01 2012, 19:28
⇒ Mitglied seit ⇐: Mi Okt 12 2011, 11:42
Wohnort: Ruhrpott
Beiträge: 1296
Das, was berauscht schreibt, klingt schlüssig. Denn bei "Grüße aus Darmstadt" hätte bei Darmstadt ja die Front sein müssen, hätte es sich um "Frontgrüße" gehandelt. Nun stehe ich geschichtlich aber auch auf wackeligen Füßen, aber die Front war, so wie ich weiß, niemals in Darmstadt.

Dann auch der Begriff "Eine Erinnerung aus Darmstadt". An die Front möchte man sich sicherlich nicht "erinnern" oder erinnert werden. Vielleicht aber doch an den Ort, an dem man genesen ist und an dem man mit Kameraden musizieren konnte.


[ Bearbeitet Mi Okt 24 2012, 19:07 ]
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Musikmeister
Mi Okt 24 2012, 19:02
Autor
⇒ Mitglied seit ⇐: So Aug 21 2011, 21:23
Wohnort: Hamburg
Beiträge: 1080
berauscht schrieb ...

Ein interessantes Zeitdokument!
Man könnte auch mutmaßen und spekulieren, daß die Aufnahme im Lazarett in Darmstadt entstanden ist, als Gruß an die Kameraden an der Front, zur Sendung über einen Soldatensender. Die Probleme bei der Ausführung des Stückes könnten Kriegsverletzungen zugrunde liegen. Die Aufnahme sollte vielleicht zeigen: Uns geht's wieder gut, wir können sogar schon wieder Musik machen.




Könnte ich mir auch so vorstellen. Habe auch so einige ungeklärte Platten unnbekannter Herkunft.
Darmstadt hatte im 2.Weltkrieg 2 Reservelazarette, so das die Soldaten durchaus Kriegsversehrte gewesen sein könnten, dann allerdings durch sehr schwerwiegende Verletzungen.
Auch möglich wäre, dass die Soldaten reguläre Ersatz-Einheiten waren. In Darmstadt war das Panzergrenadier-Ersatz- und Ausbildungs-Bataillon 115 stationiert. Diese Einheit bildete die Reserve des Panzergrenadier-Regiments 115.
Dieses war zum Zeitpunkt der Plattenaufnahme bereits in schwere Kämpfe in Tunesien verwickelt (seit Februar 1943). Das Regiment wurde im Mai 1943 zugehörig der 15.Panzer-Division im Raum Tunis in Nordafrika vernichtet.
Sehr wahrscheinlich haben die Grüße in Form der Schallplatte also nie die Front erreicht.
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snookerbee
Do Okt 25 2012, 00:53
"Urgestein"

⇒ Mitglied seit ⇐: Fr Apr 15 2011, 20:12
Beiträge: 1676
Interessante Hintergrundinformationen, die etwas Licht ins Dunkel bringen. Danke sehr :)
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Starkton
Do Okt 25 2012, 07:30
⇒ Mitglied seit ⇐: Mi Okt 05 2011, 21:47
Wohnort: Berlin
Beiträge: 1881
Da die Aufnahmeplatte eine typische Radioansage hat, wird sie wohl für diesen Zweck in Darmstadt geschnitten worden sein. Als mobiles Aufnahmestudio kommt vielleicht ein Sendezug in Betracht mit Funkbetriebswagen, Sendewagen, Mastwagen und Stromaggregat. Vor kurzem ist ein Mercedes LG 3000 Sendewagen bei uns am Studiengang restauriert worden. Hier ist der Eingangszustand:

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Barnabás
Do Okt 25 2012, 09:04
⇒ Mitglied seit ⇐: Mi Jul 04 2012, 20:37
Beiträge: 651
Um die Jahrhundertwende bis in die 50er Jahre hinein war die Hausmusik in Deutschland sehr verbreitet. So war es nicht ungewöhnlich, dass ein breiter Querschnitt der Bevölkerung ein Musikinstrument beherrschte. Dieser Sachverhalt trifft sicher auch auf die drei jungen Männer zu. Zu der Qualität der Musikausführung, möchte ich mal vermuten, dass sich die drei Soldaten erst im Lazarett kennen gelernt haben könnten und dort das Musikstück eingeprobt haben. Die Belegschaft eines Lazaretts ist immer ein Sammelbecken aus sehr vielen militärischen Einheiten, die immer zufällig (nach Art der Verwundung) zusammen gestellt ist.
Sicher gab es eine Abteilung für Truppenbetreuung in dieser Einrichtung und in der Stadt selber auch. Dort wurden sicher Musikinstrumente vorgehalten, um die Aufgabe der Betreuung sicher zu stellen. Aus dieser Situation stellte sich mit hoher Wahrscheinlichkeit das Trio zusammen. Die Schallplatte ist industriell hergestellt worden, was auf einen organisierten Ablauf der Aufnahme und auf ihre Verbreitung schließen lässt.
Das eigens ein „Frontfunkwagen“ in das Inland abgestellt wurde um Aufnahmen herzustellen halte ich für unwahrscheinlich. Sicher wurde eine andere mobile Apparatur des Rundfunks verwendet.
Wie und wo die Schallplatte zum Einsatz kam ist schwer zu sagen. Nur der Zeitpunkt ist nachweisbar. Eine Hypothese könnte sein, dass die drei Soldaten am selben Frontabschnitt eingesetzt waren und ihre Aufnahme bei einem dort lokalen Soldatensender gespielt wurde.
Natürlich wieder im Rahmen der Truppenbetreuung. Von der Platte wurden sicher mehrere Exemplare herstellt, wovon die drei Musiker sicher jeweils eines davon überreicht wurde.
Dies würde dann bedeuten, dass der Sendetermin und der Sender bei der Übergabe der Platten an die drei Soldaten schon festgelegt worden war. Denn die Beschriftung auf der Hülle, hätte nur über sehr große Umwege auf dem Exemplar des Soldaten gelangen können. (man bedenke die Reichweite der lokalen Soldatensender)
Jedenfalls ist die heutige Existenz dieser Platte ein Zeichen von großer Wertschätzung des verstorbenen Herren zu sehen. Dieser hob sie bis zu seinem Tod auf.
Nach meiner Meinung ein sehr seltenes und äußerst wertvolles Stück der Zeitgeschichte im Kontext der Truppenbetreuung, der Rundfunkgeschichte und Alltagskultur.

Toller Fund.

Gruss B.
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Starkton
Do Okt 25 2012, 11:07
⇒ Mitglied seit ⇐: Mi Okt 05 2011, 21:47
Wohnort: Berlin
Beiträge: 1881
Barnabás schrieb ...

Eine Hypothese könnte sein, dass die drei Soldaten am selben Frontabschnitt eingesetzt waren und ihre Aufnahme bei einem dort lokalen Soldatensender gespielt wurde.
Natürlich wieder im Rahmen der Truppenbetreuung. Von der Platte wurden sicher mehrere Exemplare herstellt, wovon die drei Musiker sicher jeweils eines davon überreicht wurde.

Die Hypothese geht mir etwas sehr weit. Kann das nicht einfach eine Aufnahme von drei Amateuren gewesen sein die über einen lokalen oder auch mobilen Rundfunksender gelaufen ist? Für alle im Sendebereich die gerne klassische Musik hören?

Klar war die damalige Zeit vom Krieg geprägt. Aber muss man dabei wirklich an nichts anderes denken als Lazarett, Frontabschnitt, Soldatensender, Truppenbetreuung, Krieg, Grenadiere, ...

Während des Spiels sind zwei Schallplattenseiten direkt geschnitten worden. Für die Sendung reicht das. Deshalb gab es sicher nur das eine Exemplar.
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snookerbee
Do Okt 25 2012, 11:22
"Urgestein"

⇒ Mitglied seit ⇐: Fr Apr 15 2011, 20:12
Beiträge: 1676
@Starkton & Barnabás:

Danke für Eure Beiträge.

Ich habe leider wenig Kenntnisse über Selbstaufnahme- bzw. Rundfunktechnik der damaligen Jahre. Ich kann noch einige Details ergänzen, die mir an der Platte auffallen und die ich noch nicht beschrieben habe.

Zunächst fällt auf, daß diese Platte ein Trägermaterial hat, welches wie frühe Vinylplatten aussieht. Es ist glänzend und tiefschwarz. Schellackübliche Bläschenbildung fehlt. Allerdings befinden sich nicht abwischbare Schleier (wie Wasseränder) an manchen Stellen. An der Bruchstelle am Mittelloch, wo überquellendes Material entfernt wurde, sieht es aus wie an einer abgebrochenen Ecke eines Bakelitgehäuses. Im Inneren scheint es einen Aluminiumträger zu geben, der am Mittelloch entsprechend oxydiert ist. Die Platte ist flexibel. Und sie hat meiner Erinnerung nach einen seltsamen Geruch, der mir bei Industrieschallplatten noch nicht aufgefallen ist.

Der Rand an der nicht vorhandenen Einlaufrille ist leicht erhaben und abgerundet - auch wie bei Vinylplatten. Wie auf dem Foto zu sehen, geht die Musik bis in den Bereich hinein, wo normalerweise das Etikett klebt. Die Ansage ist mit einer Extra-Rille geschnitten. Ich meine, damit, daß der Schneidstichel mit etwas Abstand für die Musikaufnahme neu aufgesetzt wurde. Die Platte ist von außen nach innen abspielbar, also anders als bei den Decilith-Scheiben im Rundfunk. Auch fällt auf, daß am Ende einer Seite extrem hohe Quietschgeräusche zu hören sind, die wahrscheinlich vom Schneidvorgang stammen. Insgesamt sieht die Platte für mich eher wie selbstgeschnitten und nicht wie industriell vervielfältigt aus.

Zur Wertschätzung des Vorbesitzers will ich hinzufügen, daß die Platte keine der üblichen Schrammen und Behandlungsspuren aufweist.

Grüße
Claus
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veritas
Do Okt 25 2012, 11:39
⇒ Mitglied seit ⇐: Do Jun 28 2012, 17:52
Wohnort: Allgäuer Provinzpampa
Beiträge: 544
Also augenscheinlich handelt es sich meiner Meinung nach um eine Acetat-Platte. Der darunterliegende Aluträger bestätigt das eigentlich. Die Farbe dieser Platten wird oft als leicht blaustichig beschrieben. Deinem Foto nach sieht das ebenfalls so aus.

Der Wiedergabequalität nach ist die Scheibe wirklich sehr wenig gespielt worden, das Material ist ja relativ weich und nutzt sich daher schnell ab.
Auch der Geruch ist ein weiterer Hinweis, meist etwas nach Essig (Acetate sind ja Salze und Ester der Essigsäure).

Erstaunlich gut finde ich den Zustand Deiner Platte. Bislang waren fast alle Acetat-Platten, die ich selbst gefunden habe in erbärmlichen Zustand. Meistens krümelt der Belag an den Rändern vom Träger. Schimmelbefall ist auch ein immer wieder gesehenes Problem. Deine Scheibe scheint davon aber verschont worden zu sein.
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Webseite
snookerbee
Do Okt 25 2012, 11:53
"Urgestein"

⇒ Mitglied seit ⇐: Fr Apr 15 2011, 20:12
Beiträge: 1676
Das Foto hatte ich bei Sonnenschein im Freien gemacht. Da spiegelt sich der blaue Himmel an der Oberfläche. Mit Kunstlicht oder Blitz konnte ich keine vernünftige Abbildung anfertigen.

Die Farbe ist schwarz, aber es stimmt, daß die Bruchstelle des Trägermaterials um das Mittelloch herum eher ins Grau oder bläuliche geht. Der Geruch nach Essig kommt hin.

Der Erhaltungszustand hat mich auch verwundert. Ich dachte wirklich erst, die Platte ist aus den 1950er Jahren. Bei schlechten Acetat-Platten kann ja das Trägermaterial schrumpfen und Risse bilden. Nichts ist davon zum Glück hier zu finden.
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Rundfunkonkel
Do Okt 25 2012, 13:40
⇒ Mitglied seit ⇐: So Jul 03 2011, 16:48
Wohnort: Umkreis Köln
Beiträge: 1112
Mit gerissenen Lackplatten bekam ich auch schon Kontakt.





Ich möchte ungern offtopic geraten, aber aufgrund Starktons Bild des RP/RRG (?) Sendewagens wollte ich hier auch ein Bild eines ähnlichen LKWs zeigen.








[ Bearbeitet Do Okt 25 2012, 13:51 ]
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snookerbee
Do Okt 25 2012, 13:46
"Urgestein"

⇒ Mitglied seit ⇐: Fr Apr 15 2011, 20:12
Beiträge: 1676
Genau das :(

Zahn der Zeit, weiche von uns!
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