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Das Meister-Sextett
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humoresk
So Mai 26 2013, 16:55 Druck Ansicht
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⇒ Mitglied seit ⇐: So Jun 10 2012, 16:06
Beiträge: 351
Liebe Kolleginnen und Kollegen

ein herzliches -schön an das GrammoTeam für das Layout des Meister-Sextett-Artikels.

Die deutsche Nachfolgegruppe der Comedian Harmonists erlebte eine eigentlich unglaubliche Entwicklung. Die Entscheidung, nicht mit den jüdischen Kollegen zu emigrieren, sondern ein neues Ensemble im NS-Reich aufzubauen, dürfte keine leichte gewesen sein. Die Hoffnungen, die damit verbunden wurden, erfüllten sich nicht. Die Geschichte des Meister-Sextetts ist die Anhäufung politischer Schikanen durch Machthaber, die den "weibischen Gesang" dieses nun arischen Ensembles genauso wenig akzeptierten wie die jüdischen Mitglieder im Vorgängerensemble.

Über Ergänzungen, Anmerkungen, Kommentare zu dem Artikel würde ich mich sehr freuen.

Liebe Grüße,

Josef

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Gast
So Mai 26 2013, 17:25
Gast
Man kann das Scheitern natürlich einfacherweise mit "den bösen Nazis" erklären.

Das allein mir aber zu einfach.

Für mich scheint vielmehr die Zeit des Stils ausgelaufen zu sein.

Immerhin war dieses "Genre" schon etwa 10 Jahre alt und vielleicht ganz einfach nicht mehr zugkräftig.
In diesen 10 Jahren ist ja auch schon eine neue Käuferschicht herangewachsen, die sich mehr für Orchester-und Tanzmusik interessierte.
Sprich, die Verkaufszahlen gingen ganz gewiß nicht nur durch die Politik zurück...

Gibt es Vergleiche mit den Revellers aus Amerika vom Ende der dreißiger Jahre ?

Gruß, Nils
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78erhortig
So Mai 26 2013, 17:58
⇒ Mitglied seit ⇐: Do Apr 04 2013, 12:53
Wohnort: Graz
Beiträge: 175
naja, nicht die nazis allein, der wegfall der Mittelstimmen und vorallem des grenzgenialen Arrangeurs
Frommermann war die hauptursache. daneben der diktatorische Charakter Bibertis, die finanzielle ungleichstellung der neuen Mitglieder und natürlich die nazizensur betreffend der bekannten jüdischen Texter und Komponisten waren Gründe des Scheiterns.

gruß aus Graz
michael
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humoresk
So Mai 26 2013, 18:00
Autor

⇒ Mitglied seit ⇐: So Jun 10 2012, 16:06
Beiträge: 351
Einerseits hast Du natürlich Recht, Nils, der Publikumsgeschmack ändert sich in den Jahren radikal, aber: 1. Würde ich nicht unbedingt einen Vergleich mit den Revelers ziehen wollen. Die Musikwelt in den USA scheint mir deutlich schnelllebiger gewesen zu sein als hierzulande und bei den Revelers könnten andere Gründe mit von entscheidender Bedeutung für ihren Abstieg gewesen sein (die ständigen Umbesetzungen z.B.). 2. Es gab auch in Deutschland nach 1935 durchaus noch erfolgreiche Gesangsgruppen - man denke beispielsweise an die Tempo-Platten des Heyn-Quartetts, die soweit weg vom Stil des Meister-Sextetts nicht waren, wenn man allein auf die Titelauswahl schaut.

Den Wandel im Publikumsgeschmack wird man beim Meister-Sextett nur schwer belegen können, denn die Konzerte liefen durchaus erfolgreich. Die Verkaufszahlen der Platten gehen natürlich radikal zurück, da müsste man aber zum einen miteinrechnen, dass die Gruppe nicht mehr im Ausland auftritt (entsprechend die Plattenverkäufe dort am stärksten zurückgehen), und zum anderen die Ursachen des Phänomens erklären. Das muss nicht nur am Geschmack des Publikums liegen! Und wovon hängt dieser Geschmack und das Urteil des Publikums ab, Nils?! Vielleicht auch davon, dass das Ensemble musikalisch schlechter ist als die Ur-Gruppe? Davon dass die Musikauswahl eingeschränkt ist und Klassiker nicht mehr gesungen werden dürfen?! Dass im Rundfunk andere Gruppen bevorzugt gespielt werden?!

Auch mit den geringeren Einnahmen aus den Plattenverkäufen hätte das Ensemble problemlos über die Runden kommen können! Und den Anteil der politischen Umstände daran zu leugnen, wäre genauso unehrlich, wie andere Faktoren auszublenden. Aus meiner Sicht scheitert die Gruppe an zwei Dingen: 1. An der Politik: Das Ensemlbe war nicht gerne gesehen und wurde all die Jahre hindurch (belegt auch durch die Schriftwechsel mit der Reichsmusikkammer, die ich im Artikel zitiere) massiv in ihrer Arbeitsweise behindert. 2. Interne Differenzen: Von Anfang war das Meister-Sextett von inneren Streitigkeiten belastet - von finanziellen Fragen bis hin zu alten Animositäten zwischen den Ur-Comedian-Harmonists. Das scheinen mir die Hauptfaktoren für das Ende der Gruppe zu sein.

Noch nach der Auflösung des Ensembles stand Biberti in eifrigem Austausch mit Konzertagenten, die nur auf eine Wiederbelebung der Gruppe warteten. Die Nachfrage war da - aber im Krieg war ein Neubeginn organisatorisch einfach unmöglich.

Liebe Grüße,

Josef
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Gast
So Mai 26 2013, 18:14
Gast
Hallo Josef,

da kann ich weitgehend zustimmen.

Ein wesentlicher Unterschied zu Heyn-Quartett, Metropol-Vokalisten, Schuricke Terzett ist aber : diese Gruppen hatten keinen solistischen Anspruch, will sagen, sie waren sich nicht zu schade, als einfaches Refrain-Ensemble bei populären Orchestern zu fungieren.
Einzig geringe Ausnahmen beim Schuricke Terzett.

Ich wollte nur zum Ausdruck bringen, daß sich die Zeit der 4-5 Herrensänger zum Klavier vielleicht auch ein wenig ausgelaufen hatte.

Wieviel Kompositionen/Texte jüdischer Künstler waren den im Gesamtrepertoire der alten C H prozentual vertreten ?

Gruß, Nils
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humoresk
So Mai 26 2013, 18:33
Autor

⇒ Mitglied seit ⇐: So Jun 10 2012, 16:06
Beiträge: 351
Ich hätte eher das Heyn-Quartett für die Argumentation herangezogen:
Das Schuricke-Terzett hat, finde ich, einen ganz eigenen Stil geschaffen, den man mit den "klassischen" Gesangsgruppen vorher nicht vergleichen konnte. Durch das Fehlen der Bass-Stimme wirkt der Gesang leichter - sorry, ich bin kein Musikwissenschaftler und kann's nicht besser in Worte fassen -, stilistisch auf jeden Fall anders als etwa beim Meister-Sextett.
Die Metropol-Vokalisten haben zwar klavierbegleitete Aufnahmen gemacht (wie auch die Spree-Revellers), die haben sich aber wohl wahnsinnig schlecht verkauft, wenn man bedenkt wie selten die Platten heute auftauchen.
Nur beim Heyn-Quartett scheint mir der Vergleich möglich: die Tempo-Platten sind zwar mit Orchester aufgenommen, aber dennoch eher solistische Platten, bei denen die Gesangsgruppe ganz im Vordergrund steht. Man hätte das Orchester problemlos durch ein Klavier ersetzen können und am Stil der Aufnahme hätte sich nichts verändert. Daher hier mein Ansatz zum Vergleich. Übrigens, kleiner Exkurs am Rande: Das Heyn-Quartett hat sich wohl als harte Konkurrenz zum Meister-Sextett gesehen. Erich Heyn hat die Rivalen mehrfach bei der Reichsmusikkammer angezeigt, wenn sie beispielsweise unter dem alten Namen "Comedian Harmonists" aufgetreten sind.

Eine konkrete Zahl der jüdischen Komponisten und Texter bei Ur-Comedian-Harmonists-Aufnahmen kann ich nicht nennen, das müsste man einzeln durchgehen. Vielleicht schaffe ich das die Tage und bastle daraus 'mal einen eigenen Thread, spannend wär's. Ich behaupte aber jetzt einfach 'mal ganz frech, dass die Zahl sehr, sehr hoch war - allein von den absoluten Klassikern: "Veronika, der Lenz ist da", "Das ist die Liebe der Matrosen", "Schöne Isabella von Kastilien", "Liebling, mein Herz lässt dich grüßen", "Ein Freund, ein guter Freund", "Heute Nach oder nie", "Auf Wiederseh'n" u.s.w. Würde man jetzt noch miteinrechnen, dass Harry Frommermann etwa zwei Drittel der Ur-Repertoires arrangiert hatte, kann man erahnen, welche Umstellung musikalisch von Nöten war. Bei einigen Stücken hat man den Bearbeiter bei Wiederaufnahmen aber schlicht verschwiegen (z.B. bei den Volksliedern).

Liebe Grüße,

Josef
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Gast
Sa Jul 13 2013, 20:07
Gast
Danke für diesen gut recherchierten Artikel. Hier noch zur Ergänzung zwei Werbeprospekte zu dem Meister-Sextett.





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GrammophonTeam
Mi Mär 13 2019, 16:12
Seitenbetreiber

⇒ Mitglied seit ⇐: So Sep 04 2011, 14:54
Wohnort: Köln
Beiträge: 1826
Kalendertag 8. März 1939: Vor 80 Jahren spielt das „Meistersextett“ seinen Erfolg „Jetzt oder nie“ im Aufnahmestudio ein


Vier Jahre war es inzwischen her, als die Comedian Harmonists dem politischen Druck nachgeben mussten und verschiedene Wege gingen. 1935 hatten die Nazis die jüdischen Mitglieder der Comedian Harmonists, Erich A. Collin, Roman Cycowski und Bandgründer Harry Frommermann, mit einem Auftrittsverbot in Deutschland belegt, weshalb diese schließlich emigrierten. Robert Biberti, Ari Leschnikoff und Pianist Erwin Bootz blieben in Deutschland und gründeten das „Meistersextett – früher Comedian Harmonists“, das auch schon bald mit „Ich wollt‘, ich wär‘ ein Huhn“ 1936 einen Evergreen aufnahm und veröffentlichte.
Mit dem Bariton Herbert Imlau und den Tenören Alfred Grunert und Fred Kassen, die als Angestellte die Nachfolge der Emigranten antraten, war das „arisierte“ Berliner Nachfolgeensemble der Comedian Harmonists schon wenige Monate nach seinem Neustart wieder mit Plattenaufnahmen und Konzerten präsent. Eine kaum überschaubare Anzahl an Auftritten belegt das riesengroße und deutschlandweite Interesse an der Musik dieses Ensembles, die klanglich eng an die Musik der Comedian Harmonists angelehnt war.
„Jetzt oder nie“ (Musik: Siegfried Muchow, Text: Robert Biberti) wurde im Arrangement von Siegfried Muchow zunächst am 28. Februar 1939 zweimal aufgenommen. Die dritte Aufnahme am 8. März 1939 wurde dann veröffentlicht. Der Komponist von „Jetzt oder nie“, Siegfried Muchow, damals 32 Jahre alt, machte seinerzeit Karriere als Cellist und Orchesterleiter.
Das Aufnahmestudio der Electrola Gesellschaft m.b.H. Berlin befand sich im Haus Schlesische Straße 26/27 (Berlin SO). Rudolf Zeller spielte inzwischen anstelle des überraschend Ende Juni 1938 ausgetretenen Erwin Bootz Klavier.
Noch im März 1939 begab sich das Meistersextett letztmalig auf Auslandstournee nach Italien. Wenige Monate später brach der Zweite Weltkrieg aus, das Meistersextett wurde mehr und mehr für die Zwecke der Nationalsozialisten instrumentalisiert.
Im Februar 1941 hatten die Musiker noch immer ein volles Programm, aber fast alle Konzerte wurden nun der Reihe nach abgesagt. Damit war zugleich das Ende dieses starken Gesangsensembles besiegelt. Das Meistersextett mit dem anfangs noch gebräuchlichen Zusatz „früher Comedian Harmonists“ brach auseinander. Der frühere Pianist Erwin Bootz wurde im Februar 1942 zum Militär eingezogen, wo er vor allem als Alleinunterhalter in Offizierkasinos tätig war.
Veröffentlicht wurde „Jetzt oder nie“ auf Schellackplatte mit dem umseitigen Lied „Holla Lady“ (Electrola E.G. 6785), dann wieder veröffentlicht im Wiener Boheme-Verlag 1996 auf der CD „Comedian Harmonists – Die großen Erfolge 5“, ferner auf einer Vier-CD-Edition mit der Gesamtaufnahme sämtlicher Schellackplatten des Meistersextetts, der Bear-Family-CD „Das Beste vom Meister-Sextett“ und auf einer CD-Neuerscheinung mit dem Titel „Eine kleine Frühlingsweise“ (2018), zudem stand der Name des Liedes Pate für ein 2005 erstaufgeführtes Theaterstück.
Detaillierte Biographie von Josef Westner: „Drüben in der Heimat – Das Meister-Sextett“
Literatur:
Wolfgang Schneidereit: Discographie der Gesangsinterpreten der leichten Muse von 1925 bis 1945 im deutschsprachigen Raum, BoD, Norderstedt 2019, S. 255 ff.

Quelle: Link - Hier klicken

Mit freundlicher Genehmigung von Matthias Blazek

Vielen Dank!


[ Bearbeitet Sa Mär 16 2019, 13:55 ]
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