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Der "Caruso des Orients", Sheikh Youssef al-Manialawi, berühmtester Sänger Arabiens
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Starkton
So Jun 30 2013, 18:42 Druck Ansicht
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Der "Caruso des Orients", Sheikh Youssef al-Manialawi, berühmtester Sänger Arabiens

Am 5. Oktober 1905 stiegen Heinrich Bumb, Geschäftsführer der Berliner Bumb & Koenig GmbH [Beka], seine Frau Elisabeth und der Aufnahmeingenieur Willy Bielefeld in den Zug Richtung Konstantinopel. Dort blieben sie drei Wochen, machten Tonaufnahmen und reisten anschließend mit dem Schiff weiter nach Kairo. Hier sind ausführliche, bebilderte Informationen zu dieser Expedition [Achtung, große pdf Datei]: Link - Hier klicken

Bereits anlässlich der ersten Beka-Aufnahmeexpedition nach Kairo Anfang 1905 war man in Unterhandlungen mit Sheikh Youssef al-Manialawi [1847-1911], andere Schreibweise Yusuf al-Manyalawi, dem zu seiner Zeit berühmtesten Sänger Arabiens, eingetreten. Gegen eine Zahlung von 26.000 Francs, umgerechnet über 270.000 Euro, wurde man schließlich handelseinig. Als die Begleitmusiker von dieser ungeheuren Summe hörten, forderten sie ihrerseits stark erhöhte Gagen, und es dauerte eine Woche, bis Willy Bielefeld Anfang November 1905 endlich den auch heute noch im arabischen Sprachraum legendären Sänger auf 55 Plattenseiten aufnehmen konnte. Insgesamt erbrachte die Expedition knapp über 1500 Aufnahmen: Link - Hier klicken

Sheikh Youssef al-Manialawi ist auf diesem Bild von c. 1907 mit einem großen Monarch Grammophon samt passendem Unterschrank abgebildet, das ihm vermutlich die Gramophone & Typewriter Ltd. anlässlich eigener Tonaufnahmen, siehe unten, geschenkt hatte. Es ist der gleiche Typ wie dieses, etwas früheres, Gerät: Link - Hier klicken



Am 17. Juni 1906 kehrte die Beka-Expedition schließlich nach Berlin zurück, die wertvollen Wachsschallplatten im Gepäck. Die ein- und doppelseitigen Pressungen von Youssef al-Manialawi Aufnahmen hatten die für Beka sehr ungewöhnliche Größe von 27 cm und erhielten ein hellblaues Sonderetikett mit Goldaufdruck. Oberhalb des Mittellochs befindet sich darauf das Firmenzeichen der ägyptischen Gesellschaft Sama‘ al-mulūk, die mit Beka sicherlich ein Abkommen geschlossen hatte, mit einer Inschrift über einem Tamburin und gekreuzten Ouds. Sama‘ al-mulūk wurde eigens für den Vertrieb der Platten dieses Künstlers gegründet. Der Name der Gesellschaft heißt übersetzt "Auswahl der Könige", und bezieht sich darauf, dass Manialawi Hofkünstler für den König von Ägypten war. Alle Schallplatten des Sheikhs sind im Nummernblock von 1241 - 1295 zusammen gefasst. Katalog- und Matrizennummern sind identisch.

Hier ist Sama‘ al-mulūk 1256 mit dem zweiten Teil des Gesangsstücks "Omr el garame" mit Instrumentalbegleitung. Auf der Rückseite befindet sich der erste Teil, Sama‘ al-mulūk 1255. Interessant ist, dass das Label auf dieser Plattenseite, zum Glück etwas dezent, zusätzlich mit "Germany" gestempelt ist.



Der Sheikh hatte jede Wachsplatte handschriftlich im Spiegel signiert. Eine Abbildung davon sandte die Beka vorab an die Phonographische Zeitschrift, welche, inspiriert von der exotischen Unterschrift, einen kurzen Artikel abdruckte [PZ, No. 20, Berlin, 17. Mai 1906, S. 440]. Wie auch ich viele Jahrzehnte später, dürften deutsche Leser darin zum ersten Mal vom "sehr berühmten Scheik Jussuf" aus Kairo gehört haben. Da die [auf dem Kopf stehende?] Unterschrift auf dem Foto des Originals nicht gut zu erkennen ist, hier das Bild aus der PZ.



Die Gramophone & Typewriter Ltd. war natürlich überhaupt nicht begeistert, dass ihnen ein Konkurrent zuvor gekommen war. Gerade diese Gesellschaft legte ja allergrößten Wert darauf, die berühmtesten Künstler unter Vertrag zu haben. Im April 1907 machte Fred Gaisberg, der erfahrenste Aufnahmeingenieur der G & T Ltd., in Kairo insgesamt 50 Plattenseiten mit dem Sheikh, wovon aber nur 29 im Laufe der Zeit veröffentlicht wurden. Weitere Aufnahmen folgten etwas später.

Auf dem folgenden Video kann man Manialawis Stimme, der Künstler war schon über 60 Jahre alt[!], auf einer Aufnahmen der G & T Ltd. hören, inklusive der Abbildung seines Red Seal Luxuslabels.


Ich besitze seit einigen Jahren etwas ganz besonderes, den Luxuskatalog für die ersten sieben doppelseitigen Schallplatten des Sheikhs, welche die Gramophone Co. [Italy] Ltd., die mit dem Vertrieb von Waren der G & T Ltd. in Ägypten betraute Tochtergesellschaft, c. Ende 1907 in Kairo drucken ließ und zusammen mit den Schallplatten herausbrachte. Der Katalog ist von hinten nach vorne zu lesen, ist auf edlem Papier gedruckt und nennt, mit schwarzer Tinte handschriftlich eingetragen, einen Preis von 1 ₤, umgerechnet ca. 250 Euro, für jede doppelseitige "12 Inch Gramophone Duplex Red Seal Record". Damit relativiert sich übrigens die ungeheure Summe, welche die Beka für 55 Plattenseiten bezahlen musste. Die goldgelbe Kordel, mit dem die Seiten des Katalogs zusammen gehalten werden, ist zwar hübsch, verhindert aber heutzutage, dass man den Katalog ganz aufklappen kann.



[ Bearbeitet Fr Aug 17 2018, 12:51 ]
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Calle
Di Jul 02 2013, 11:40
⇒ Mitglied seit ⇐: Mo Apr 18 2011, 10:57
Wohnort: Emmerich am Rhein
Beiträge: 292
Sind ja interessant die Informationen; vielen Dank !
Tolle Bilder auch sowie ein Plattenlabel und Plattenkatalog was ich noch nie gesehen habe...

Ganz bestimmt sehr selten, aber... sind die Aufnahmen auch schön ? Oder war der Markt nur beschränkt auf den Arabischen Länder bzw. Ägypten ?
Und... sind die Platten dort noch zu finden oder sind sie damals (auch schon wegen den hohen Preis) nur schlecht verkauft worden ?
Wenn eine Platte damals (umgerechnet) schon 250 Euro kostete und nur der Gage von Sheikh Youssef al-Manialawi (umgerechnet) schon 270.000 Euro betrug (abgesehen der Gagen der Musiker, Aufnahmeleiter, Speditionskosten, Press- und Materialkosten, Transportkosten, usw. usw. usw.), so mußte man ja also mindestens schon 1.080 Platten verkaufen; ganz bestimmt war die Käuferschicht nur hauchdünn (Europäer käuften sich (nach meiner Meinung) so etwas kaum bzw. nicht, Reiche Scheichs gab's bestimmt, aber.... nun ja....
Also: lohnte sich der ganze Aufwand ?
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78erhortig
Di Jul 02 2013, 12:46
⇒ Mitglied seit ⇐: Do Apr 04 2013, 12:53
Wohnort: Graz
Beiträge: 175
ob dort noch platten zu finden sind: gleich wie in indien und asien. wenn dann nur in den ganz reichen familien. strom gabs ja dort in den 5oer und 6oer jahren kaum, d.h. die grammophone waren dort sehr lange in betrieb. daher gibts ja auch speziell für diesen markt noch in den 6oern schellacks, siehe beatles.
das gemeine volk hat aber , wie auch im süden der US die platten zum teil mit den tollsten dingen ( stahlnägel) zu tode gespielt. ein freund von mir sucht schon seit vielen jahren eine platte einer südafrikanischen sängerin, die seiner zeit ein nahezu millionenhit war, aber praktisch kaum/garnicht auftaucht.

gruß aus graz
michael
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Starkton
Di Jul 02 2013, 15:38
⇒ Mitglied seit ⇐: Mi Okt 05 2011, 21:47
Wohnort: Berlin
Beiträge: 1879
Ob diese Aufnahmen als schön empfunden werden liegt im Ohr des Betrachters. Ich habe oben ein Klangbeispiel angehängt, damit man einen Eindruck bekommt. Auf youtube gibt es noch mehr davon.

Interessant ist die Person des Sheikhs und die ihm damals wie heute zugemessene, überragende Bedeutung in der arabischen Gesangskunst auf jeden Fall. Es macht einfach Spaß mit der Beka Platte in der Hand auf Forschungstour zu gehen, denn man kann eine ganze Menge über Youssef al-Manialawi herausfinden.

Seine Beka-Platten waren ausschließlich für den arabischen Sprachraum bestimmt und wurden nur dort vertrieben. Deshalb die [für uns] unleserliche Beschriftung. Sie sind außerhalb Arabiens praktisch gar nicht zu finden und sind sehr selten, auch weil die Aufnahmequalität im Vergleich zu den Platten der Grammophongesellschaft schlechter ist und die Pressstempel bereits im Jahr 1907 abgenutzt waren.

Ich habe 15 Jahre gebraucht um eine dieser Beka-Platten zu bekommen. Zum Glück hatte ich mich an den oben zitierten Artikel in der Phonographischen Zeitschrift erinnert, als ich die krakelige Unterschrift im Plattenspiegel entdeckt habe. Mit Hilfe des Artikels kam ich auf Beka und Manialawi. Der Rest steht gut dokumentiert im Internet.

Sowohl Beka als auch zwei Jahre später die Grammophon-Gesellschaft haben sich natürlich entsprechendes Prestige und einen gehörigen Werbeeffekt von der Verpflichtung dieses Sängers versprochen. Bei der Grammophon ging man davon aus, dass sich die Umsätze von zuvor 10.000 ₤ in Ägypten verdoppeln würden.

Manialawi sang am Hof von König Abd al-Hamid und war ein hochbezahlter Star. Wer den Hofkünstler zu seiner Hochzeit einlud zahlte 100 Goldstücke für ein Gesangsstück. Hier drängt sich der Vergleich mit Caruso auf, den die Superreichen ebenfalls für ihre Feiern buchen konnten.

Bei der Aufnahmeexpedition der Grammophon im Jahr 1907 waren als Bezahlung für Manialawi allein 2000 ₤, umgerechnet eine halbe Million Euro, angesetzt. Die ägyptische Nummer 2 der Grammophon Co., Mohamed El-Saba, kam auf 900 ₤. Danach folgt eine große Lücke. Alle übrigen arabischen und syrischen Künstler zusammen teilten sich bei der Expedition von 1907 nur noch 1000 ₤. Der teuerste davon kostete 55 ₤. Caruso bekam für seine erste Aufnahmesitzung im April 1902 für 10 Platten lediglich 100 ₤. Nur so zum Vergleich!

Ich schätze mal, dass es in Ägypten etwa 10 bis 15.000 kaufkräftige Kunden, 0,1 % der Bevölkerung, gab. Wie Tamagno, Melba oder Patti erhielt auch Manialawi Tantiemen für jede verkaufte Platte, 5 Piaster pro Stück. Bis Juni 1912, also kurz nach seinem Tod, waren für 4400 verkaufte Platten 22.000 Piaster Tantiemen aufgelaufen, etwa 55.000 Euro, die sich seine Familie teilte und auch in den Jahren danach davon profitierte. Anfang der 1920er Jahre konnte man Manialawis Platten, die er für die Grammophon-Gesellschaft aufgenommen hatte, sogar in den USA kaufen. Sie tauchen deshalb regelmäßig auf und werden vor allem im Nahen und Fernen Osten inzwischen eifrig gesammelt, zum Beispiel von Mustafa Abul-Oyun, der die größte Schallplattensammlung im Mittleren Osten besitzt: Link - Hier klicken

[ Bearbeitet Di Okt 31 2017, 09:41 ]
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_-_-_
Di Jul 02 2013, 20:32
⇒ Mitglied seit ⇐: Do Mai 12 2011, 09:46
Beiträge: 254
Danke für den tollen Beitrag. Wirklich sehr interessant.
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