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Entzerrer für Kristall- bzw. Keramiksysteme
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Willi-H-411
Fr Jan 17 2014, 08:53 Druck Ansicht
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In einer Funkschau aus dem Jahre 1944 fand ich einen sehr interessanten Artikel über die Entzerrung eines Kristallsystems. Ebenso wurde dort eine gleichfalls interessante Schaltung hierzu vorgestellt.

Oftmals liest oder hört man ja, daß Kristallsysteme keine Entzerrung benötigen. Das stimmt aber nicht. Wohl kann man ein Kristallsystem direkt an einen hochohmigen Eingang eines Verstärkers anschließen, ohne einen Vorverstärker zu benötigen, der Frequenzgang ist hierbei aber sehr un-optimal.

Das liegt einmal daran, daß das Kristallsystem bei dieser Art des Anschlusses die Bässe verstärkt wiedergibt. Hinzu kommt noch, daß beim Schallplattenschnitt die Amplitude, also die Weite der Auslenkung, ab einer bestimmten Grenzfrequenz abnimmt. Das hat technische Gründe:

Nimmt man Töne ansteigender Frequenz mit der maximal möglichen Auslenkung (Amplitude) auf, so steigt hierbei die Geschwindigkeit, mit der die Nadel hin und herbewegt wird, kontinuierlich an. Das wird als "Schnelle" bezeichnet. Würde man in der Art eine Platte aufnehmen, so würde die Lautstärke, der Schalldruck, nach oben hin immer stärker zunehmen. Aus diesem Grunde wird ab einer bestimmten Grenzfrequenz die Rille mit konstanter Schnelle geschnitten, was dann bedeutet, daß die Amplitude kontinuierlich kleiner wird.

Bei einem Kristallsystem kommt es jedoch darauf an, wie weit der Kristall "verbogen" wird; das heißt, wie stark die Auslenkung ist. Daher wird die Spannung, die ein Kristallsystem abgibt, oberhalb besagter Grenzfrequenz immer geringer.

Da dies kontinuierlich und auch berechenbar abläuft, läßt sich eine Schaltung konstruieren, die diesem Phänomen entgegenwirkt.

Das alles gilt natürlich nur für elektrisch aufgenommene Platten. Hier erst war es möglich, bestimmte Parameter für die Aufnahmeverzerrung vorzunehmen, die dann bei der Wiedergabe entgegengesetzt entzerrt werden konnten/mußten. Die besagte Grenzfrequenz wurde im Laufe der Entwicklung immer weiter nach oben hin verschoben. Zu Beginn der "elektrischen Aufnahmeära" lag sie im Durchschnitt bei ca. 250 Hz, in den 1950er Jahren wurde sie bei 500 Hz festgelegt.

Doch zunächst einmal das Schaltbild:



Die Original-Schaltung besteht lediglich aus dem Widerstand R1 und den Kondensatoren C1 und C2. Der Widerstand R2 mit 1 M-Ohm ist nötig, wenn man das Ganze an einen niederohmigen Vorverstärker anschließen will, und R3 dient hier zusammen mit R2 als Spannungsteiler, um die Spannung an den Eingang des Vorverstärkers anzupassen.


Berechnung der Bauteile

Zunächst einmal muß man wissen, welche Kapazität das Kristallsystem hat. Entweder findet man diese Daten im Internet oder man muß diesen Wert durch Nachmessen ermitteln. Pi mal Daumen kann man für "moderne" Kristall- bzw. Keramiksysteme der 1960er Jahre einen Wert von 1.000 bis 2.000 pF annehmen. Für C1 wird nun der zehnfache Wert genommen. Das wären also 10.000 bis 20.000 pF. Ich habe für meine Schaltung einen Mittelwert von 15.000 pF genommen.

Der Widerstand R1 errechnet sich aus der sogenannten Grenzfrequenz (f), bei der von konstanter Amplitude auf konstante Schnelle "umgeschaltet" wurde. Dabei spielt die Zahl Pi (3,14) eine Rolle. Die genaue Formel lautet:

R1 = 1.000.000 : (Pi * 2 * f * C1)

Wobei der Wert des Widerstandes in Ohm und der des Kondensators in µF berechnet wird.

Wenn man f bei 250 Hz festlegt (wie gesagt, ein guter Mittelwert) und C1 = 0,015µF heißt das:

R1 = 1.000.000 : (3,14 * 2 * 250 * 0,015)

R1 = 42.462 Ohm also ca. 40.000 Ohm

Für "modernere" Schellackplatten, bei denen die Grenzfrequenz bei 500 Hz liegt, beträgt der Wert für R1 = 20.000 Ohm.

Nimmt man für R1 also einen regelbaren Widerstand, so läßt sich die Wiedergabeentzerrung sehr einfach für jede Platte einstellen.

Doch weiter mit den Bauteilen. C2 dient in dieser Schaltung als sogenanntes "Nadelgeräuschfilter". Der Wert hierfür soll, laut Funkschau, zwei- bis viermal so groß sein, wie der des Kristallsystems. Ich habe mich hier für einen Wert von 2.200 pF entschieden. Das dürfte aber nun einmal eine Geschmacksfrage sein, aber auch am System liegen, wie groß man diesen Wert wählt. Für akustische Platten kann man diesen Wert auch auf 4.400 pF vergrößern. Hier wäre dann ein Schalter angebracht, mit dem man beide Kondensatoren getrennt ein- und ausschalten kann.

R2 hat, wie schon geschrieben, einen Wert von 1 M-Ohm. R3 richtet sich nun danach, auf wieviel Volt man die Ausgangsspannung absenken muß, damit der nachgeschaltete Vorverstärker nicht übersteuert wird. Bei meinem Vorverstärker habe ich für R3 den Wert 100 K-Ohm ermittelt.

Hier noch einmal alle Wert in der Übersicht, bezogen auf das Dual-CDS-660 und dem Kema-Vorverstärker B073 Bausatz: Link - Hier klicken

C1 = 0,015 µF
C2 = 2.200 pF
R1 = 40 K-Ohm (regelbarer Widerstand)
R2 = 1 M-Ohm
R3 = 100 K-Ohm



Viel Freude beim Nachbauen.

VG Willi


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[ Bearbeitet Fr Jan 17 2014, 13:55 ]
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snookerbee
Fr Jan 17 2014, 11:34
"Urgestein"

⇒ Mitglied seit ⇐: Fr Apr 15 2011, 20:12
Beiträge: 1685
Nimmt man Töne verschiedener Frequenz mit der maximal möglichen Auslenkung (Amplitude) auf, so steigt hierbei die Geschwindigkeit, mit der die Nadel hin und herbewegt wird, kontinuierlich an. Das wird als "Schnelle" bezeichnet.


Du meinst wahrscheinlich mit steigender Frequenz.

Grüße
Claus
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Willi-H-411
Fr Jan 17 2014, 13:55
⇒ Mitglied seit ⇐: Mi Okt 12 2011, 11:42
Wohnort: Ruhrpott
Beiträge: 1296
Jepp, danke Claus. Ich hab's oben korrigiert.

VG Willi
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Willi-H-411
Mo Jan 27 2014, 08:35
⇒ Mitglied seit ⇐: Mi Okt 12 2011, 11:42
Wohnort: Ruhrpott
Beiträge: 1296
Ich habe die Schaltung etwas erweitert:



Und zwar gibt es nun drei Kondensatoren für das Nadelgeräuschfilter. Wählt man in etwa diese Werte:

C2 = 1.000 pF
C3 = 2.000 pF
C4 = 4.000 pF

so kann man das Nadelgeräuschfilter von 1.000 pF bis 7.000 pF in 1.000 pF-Schritten schalten. Somit kann man den Grad der Höhenfiltierung seht gut dem Zustand der Platte anpassen. Auch wenn der Wert von 4.000 pF schon recht gut filtert und in den meisten Fällen wohl auch schon ausreichend ist, so ist es nicht schlecht, hier noch eine gewisse "Reserve" zu haben, für besonders verrauschte Platten.

Der Wert dieser Kondensatoren richtet sich, wie oben ausgeführt, nach der Kapazität des Kristall- bzw. Keramiksystems. Die Berechnung kann oben nachgelesen werden: Link - Hier klicken

VG Willi
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