Renate Müller

Renate Müller
(* 26. April 1906 in München; † 7. Oktober 1937 in Berlin)


Renate Müllers Lebensgeschichte hätte selbst ein Drehbuchautor Hollywoods nicht verfassen können – Glück und Unglück, Freude und Leid, Enthusiasmus und Resignation liegen selten so nahe beieinander. Ihr tragisches Schicksal und ihr früher Tod haben dazu geführt, dass ihre überlieferte Biographie von Anekdoten durchzogen ist, deren Wahrheitsgehalt von verschiedenen seriösen Autoren bestritten oder beglaubigt wird, in jedem Fall aber nicht mehr eindeutig zu prüfen ist. Die vorliegende Kurzbiographie kann also nur ein Versuch sein, einer Frau Respekt zu zollen, deren großartige Karriere viel zu früh und viel zu jäh beendet wurde.




Einigkeit unter den Biographen herrscht inzwischen zumindest über das Geburtsdatum: Am 26. April 1906 wird Renate Maria Müller in München-Schwabing geboren – in eine künstlerisch und journalistisch geprägte Familie: Die Mutter, eine gebürtige Chilenin, ist Malerin, der Vater wird als studierter Altphilologe und Historiker zum Theaterkritiker, später zum Chefredakteur der „Münchner Neuesten Nachrichten“ aufsteigen. In einer wohl recht behüteten Umgebung wächst Renate Müller nahe München in Emmering auf. Sie besucht die hiesige Volksschule, später ein Münchner Gymnasium.1920 zieht die Familie nach Danzig, wo Vater Karl-Eugen die Chefredaktion der „Danziger Zeitung“ übernimmt. Schon dort reift durch den Gesangsunterricht ihr Entschluss, eine künstlerische Laufbahn einzuschlagen, der sich noch verstärkt, als man nach einer neuerlichen beruflichen Veränderung des Familienoberhaupts 1924 nach Berlin zieht: Renate Müller verlässt das Gymnasium noch vor der Abschlussklasse, nachdem die Aufnahmeprüfung in die Schauspielschule Max Reinhardts geglückt ist. Neben späteren Größen wie Werner Fuetterer, Alice Treff und Otto Eduard Hasse erhält sie dort unter anderem Unterricht bei Lothar Müthel und Georg Wilhelm Pabst.

Ihre erste richtige Rolle bekommt sie im Februar 1925 am Deutschen Theater, wo sie in Henrik Ibsens „Stützen der Gesellschaft“ neben arrivierten Darstellern wie Albert Bassermann und Helene Weigel agiert. Als im Mai des Jahres die Ausbildung an der Schauspielschule abgeschlossen ist, wird Renate Müller vom Fleck weg an das Lessing-Theater verpflichtet. Nach Sommerengagements am Harzer Bergtheater in Thale beginnt in Berlin die neue, erste Saison für sie. Ihre Chance bekommt sie, als während der Aufführungen von Edmond Rostands „Der junge Aar“ die Hauptdarstellerin Erika von Thellmann zwischenzeitlich erkrankt. Renate Müller springt ein – und hinterlässt erstmals nachhaltigen Eindruck auch auf die Rezensenten. Es folgt eine praktisch lückenlose Beschäftigung an namhaften Berlinern Theater über die nächsten Jahre. Der gestrenge Kritiker Alfred Kerr wird humorvoll-launig mahnen: „Man wird sich den Namen Müller merken müssen!“ Und doch: Schon jetzt ist der endgültige Abschied von der Bühne nahe… Anfang 1929 lädt Regisseur Reinhold Schünzel Renate Müller zu Probeaufnahmen ins Filmstudio. Er glaubt an ihr Talent und verpflichtet sie umgehend: Noch an drei Stummfilmproduktionen ist Müller daher in diesem Jahr neben ihren Theaterengagements beteiligt („Peter der Matrose“, „Revolte im Erziehungshaus“, „Drei machen ihre Glück“). Alle drei Streifen sind nicht unbedingt anspruchsvollstes Kulturgut, genügen aber, um die Jungdarstellerin für weitere Aufgaben im neu entstehenden Tonfilm zu empfehlen. Der Film „Liebe im Ring“ (1929/30) mit einem eher holprig agierenden, aber liebenswerten Max Schmeling in der Hauptrolle ist ihr Debüt im neuen Medium. Der Streifen ist ursprünglich als Stummfilm geplant, wird aber von der technischen Entwicklung überholt und teilweise nachvertont.



Foto von Formiggini


Mit „Liebes Leid und Lust“ von William Shakespeare steht Renate Müller ab März 1930 noch ein letztes Mal im Staatstheater am Gendarmenmarkt auf einer Theaterbühne. Ihre Hauptaufgabe sieht und bekommt sie nun vor den Filmkameras: Allein 1930 entstehen noch sechs Spielfilme mit ihr. Zunächst sind es aus Sicht von Renate Müller nicht unbedingt Glanzwerke – „Der Sohn der weißen Berge“, „Liebeslied“, „Liebling der Götter“, „Das Flötenkonzerte von Sanssouci“ –, dann aber bekommt sie die Rolle schlechthin: Renate Müller als Tippmamsel Vilma Förster in „Die Privatsekretärin“. Was belanglos klingen mag, ist doch der ganz große Durchbruch. „Renate Müller hat sich hier ganz gefunden“, schreibt die „Berliner Morgenpost“ nach der Uraufführung: „Reizend wie immer anzusehen, war sie noch nie so gelöst, so von Temperament erfüllt, in einer unwahrscheinlichen Rolle so lebensnah“. Auch ihre Gesangsstimme, nicht übergroß, aber einem solch lebensfrohen Film doch angemessen, kann sie gewinnbringend einsetzen, wie die Zeitschrift „Der Film“ in ihrer recht maskulin gehaltenen Kritik bestätigt: „Die Lieblichkeit ist allein Renate Müller vorbehalten und die trällert und jauchzt durch ihre Sonntage und das steckt an. Mit einem erfrischenden Übermut setzt sie alle Waffen des Weibes ein – und siegt. Mit Anmut singt sie und bewegt sie sich. Wir wollen uns geschlagen geben.“ Keine Frage, dass Renate Müller mit den Erfolgssongs wie „Ich bin ja heut‘ so glücklich“ auch zur Plattenaufnahme gebeten wird! Der Film selbst schlägt derart ein, dass sie 1931 nach London geholt wird, um dort mit „Sunshine Susie“ eine englische Fassung zu drehen.



Als „Sunshine Susie“ ist sie auch in London erfolgreich.


Neben all dem Licht aber bleibt der Schatten nicht aus: So unterschiedlich ihre persönliche Situation in dieser ersten erfolgreichen Phase beim Film von verschiedenen Biographen auch dargelegt wird, eines bleibt unumstößliche Gewissheit: Renate Müller ist krank, schwerkrank. Mehrfach muss sie sich Operationen unterziehen, sie kann keine Kinder mehr bekommen. Damit enden die eindeutig belegbaren Tatsachen aber auch schon – dass sie aufgrund der Eingriffe morphiumabhängig geworden sei, wie immer wieder behauptet, ist reine Spekulation und an keiner Stelle zu belegen. Ihre Gesundheit wird in den Folgejahren immer wieder Anlass zu Mutmaßungen und abstrusen Zeitungsenten führen (einmal wird sogar ihr Ableben behauptet), sicher scheint aber nur, dass Renate Müller zu einer Schwermut neigt, die sich in den Folgejahren kaum bessern kann. Bei allen Erfolgen, die noch kommen, bleiben immer kleine Aussetzer spürbar: Wohl stressbedingt muss sie immer wieder Filmprojekte absagen und an andere Kolleginnen abgeben, ihre eigene Filmographie liest sich eher dünn:
  • „Die Blumenfrau von Lindenau“ (1931, Regie: Georg Jacoby, mit Hansi Niese, Paul Otto, Harald Paulsen…)
  • „Der kleine Seitensprung“ (1931, Regie: Reinhold Schünzel, mit Hermann Thimig, Hans Brausewetter, Hilde Hildebrand…)
  • „Mädchen zum Heiraten“ (1932, Regie: Wilhelm Thiele, mit Hermann Thimig, Wolf Albach-Retty, Szöke Szakall…)
  • „Wie sag‘ ich’s meinem Mann“ (1932, Regie: Reinhold Schünzel, mit Georg Alexander, Ida Wüst, Otto Wallburg…)
  • „Wenn die Liebe Mode macht“ (1932, Regie: Franz Wenzler, mit Georg Alexander, Hilde Hildebrand, Hubert von Meyerinck…)
  • „Saison in Kairo“ (1933, Regie: Reinhold Schünzel, mit Willy Fritsch, Gustav Waldau…)
  • „Walzerkrieg“ (1933, Regie: Ludwig Berger, mit Willy Fritsch, Adolf Wohlbrück, Paul Hörbiger…)
  • „Viktor und Viktoria“ (1933, Regie: Reinhold Schünzel, mit Hermann Thimig, Adolf Wohlbrück, Hilde Hildebrand…)
Es mögen eher wenige Filme sein, in denen Renate Müller im Vergleich zu anderen Stars der Zeit aufscheint, es sind aber erfolgreiche. Dazu kommt ihr privates Glück, hat sie doch in Georg Deutsch, dem Sohn des Berliner Reichsbank-Direktors, ihren Traummann gefunden.



In „Mädchen zum Heiraten“ – eine tolle Filmszene mit den Melody Gents
in den originalen Aufnahmestudios des Lindström-Konzerns.


Während der Dreharbeiten zu „Saison in Kairo“ hat sich in Deutschland aber die politische Situation radikal verändert. Renate Müller muss keine Repressalien oder gar Verfolgung fürchten, muss nicht wie viele Kollegen Deutschland verlassen und sich in einer neuen Welt zurechtfinden. Nur Georg Deutsch erwartet sie ungeduldig, erklärt ihr seine Entscheidung, ehe er nach London abreist. Die Fernbeziehung wird fortan recht glücklos bleiben und vielleicht auch Renate Müllers Gemüt belasten. Sie heizt in der Sekundärliteratur zudem die Gerüchte weiter an: Hat Joseph Goebbels Renate Müller massiv bespitzeln lassen, sie sogar bei Treffen mit ihrem jüdischen Freund in Paris filmen lassen? War der einflussreiche Propagandaminister erzürnt, wo er doch Renate Müller als Ehefrau Adolf Hitlers auserkoren hatte? Wahrheit und Dichtung sind nicht genau zu trennen, wobei man gerade letztere Mutmaßung als recht unwahrscheinlich abtun darf. Prof. Dr. Klaus Krüger, Herausgeber von „Fox auf 78“, zieht in seinem stringenten Artikel andere exemplarische Prominente mit Beziehungen zu jüdischen Partnern heran – Hans Albers, Heinz Rühmann, Hans Moser, Theo Lingen –, um seinen Gedankengang zu stützen, dass Renate Müller wohl zweifellos unter Druck gesetzt wurde, sich endgültig und eindeutig von ihrem Freund loszusagen. Dies ist durchaus plausibel, zumal sich Schikanen von Seiten der Machthaber gegen Renate Müller belegen lassen. Beispielhaft sei hier nur ein Fall herausgegriffen, weil mir dazu die erhaltenen Akten in Kopie vorliegen: Als am 2. August 1934 Reichspräsident von Hindenburg stirbt, wird eine landesweite Volkstrauer angeordnet. Am 20. August erreicht die Schauspielerin ein Schreiben der Reichsfachschaft Film mit folgendem Wortlaut:
„Über Sie ist folgende Beschwerde eingelaufen: ‚Nach Beendigung der Übertragung aus Tannenberg anlässlich der Bestattung des Herrn Reichspräsidenten wurde gegen 12 Uhr 15 festgestellt, dass in dem Hause Bachstelzenweg 11, das von Ihnen bewohnt wird, Tanzmusik auf Schallplatten und anschließend Klaviermusik gespielt wurde. Es handelte sich um ausschließlich lustige Weisen, wie Vorträge von „Singing Babies“, verschiedene Walzer usw. Das Spiel wurde gegen ca. 3 Uhr 15 Minuten eingestellt.‘ Da die Musik bei offenem Fenster aufgeführt wurde, ist sie von denjenigen, die sich dieselbe mit anhören mussten, als Provokation oder zumindest als große Taktlosigkeit aufgefasst worden. Wir bitten Sie, sich hierzu umgehend schriftlich zu äußern“.
Renate Müller antwortet ausführlich und begründet die Tätigkeit beruflich. Insgesamt lässt die Korrespondenz darauf schließen, dass sie behördlicherseits nicht hoch angesehen war, sondern vielmehr verunglimpft und herabgewürdigt werden sollte. So sehr hier manche Biographen übertreiben mögen, die Gesamtsituation für Renate Müller war keine angenehme und dürfte ihre Neigung zu Depressionen verstärkt haben.



Renate Müller als Star der Massen in Hannover.


Die berufliche Tätigkeit nimmt in jedem Fall stark ab. Nachdem 1934 und 1935 mit „Die englische Heirat“ und „Liselotte von der Pfalz“ nur jeweils ein Film mit Renate Müller entstanden ist, erlebt sie 1936 noch einmal einen kleinen Aufschwung in drei teils heute noch angesehen Produktionen (u.a. „Allotria“). Ihre letzte Filmarbeit wird der nationalsozialistisch geprägte Film „Togger“ von 1937 bleiben, den sie gesundheitlich schwer angeschlagen nur mit Mühe beenden kann. Eine Vorladung zum Berliner Polizeipräsidenten tut ihr übriges, auch wenn sich die Hintergründe nicht mehr genau klären lassen. Renate Müller wendet sich nach dem regelrechten Verhör an Goebbels, der ihr – und das lässt sich anhand seiner Tagebuchaufzeichnungen tatsächlich nachvollziehen! – beipflichtet. Sie sei vom Polizeipräsidenten, den er maßregelt, „auf das Entehrendste vernommen“ worden, notiert er. Auch dass ihr Entdecker und langjähriger Förderer Reinhold Schünzel Mitte 1937 emigriert, nachdem er als sogenannter „Halbjude“ dem Regime nach einer umstrittenen Regiearbeit nicht mehr tragbar erscheint, dürfte sie zusätzlich belastet haben.

Der Absturz, der nun folgt, ist kein rein emotionaler, sondern ein höchst realer! Am 28. September 1937 stürzt Renate Müller aus dem oberen Stockwerk ihres Hauses in Berlin-Dahlem, ob in Selbstmordabsicht oder wegen tragischer Umstände ist bei Biographen heftig umstritten. Die Verletzungen an Knie und Kopf sind schwerwiegend, scheinen aber nicht lebensgefährlich. Zehn Tage später erleidet sie in der Privatklinik, in die sie eingeliefert wurde, einen heftigen, lang anhaltenden epileptischen Anfall. Der geschwächte Körper gibt auf – Renate Müller stirbt mit gerade einmal 31 Jahren am 7. Oktober 1937. Ihre Beisetzung gibt ein weiteres Mal Anlass für wüste Geschichtsverfälschung: Goebbels habe sie behindert, unter den Augen der Gestapo sei sie abgelaufen, kaum jemand sei gekommen. Die Tatsachen (und erhaltene Fotos) sprechen ein anderes Bild: Thea von Harbou, selbst bestens arrangiert mit den Machthabern, hält die Abschiedsrede im Namen der deutschen Filmschaffenden. Hunderte von Anhängern, Kollegen und Freunden nehmen an der Trauerfeier teil, darunter Lilian Harvey, Willy Fritsch, Hans Brausewetter und viele andere Prominente, und geben Renate Müller ein letztes Mal die Ehre, die ihr bis heute gebührt.

Aus dem Nachlass von Berthold Leimbach
Josef Westner (humoresk)




Mit Willy Fritsch in „Saison in Kairo“.


Mein persönlicher Dank gilt Ben Poelman, dem Redakteur des niederländischen Sammlermagazin "De Weergever", der mich über Jahre geduldig und beständig ermuntert hat, diesen Artikel zu verfassen! Allen Interessierten sei das liebevoll gestaltete Buch „Renate Müller – ihr Leben, ein Drahtseilakt“ von Uwe Klöckner-Draga empfohlen. Herrn Klöckner-Draga möchte ich für die große Unterstützung im Vorfeld dieser Veröffentlichung sehr herzlich danken! Grundlage für diesen Beitrag war darüber hinaus der fundierte Artikel „Zwischen Mythos und Märchen“ von Prof. Dr. Klaus Krüger (in „Fox auf 78“, Nr. 14, 1995, S. 26-31).

Im Übrigen trägt das Online-Lexikon Wikipedia im Fall von Renate Müller in unrühmlicher Weise zur Legendenbildung bei: Ungeprüft und schon gar nicht hinterfragt werden dort viele unbelegte Behauptungen, die teils erst in der Nachkriegszeit entstanden, als Fakten dargestellt.

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