Sascha Dickstein - der tanzende Geiger...

Sascha Dickstein
* 20. Juli 1902 in Kiew, Russland (heute Ukraine); † 27. März 1992 in New York (USA),
eigentlich Salomon Dykstein
Geiger, Orchesterleiter - in Deutschland c. 1919 - 1937


1936
c. 1923 / 1924 (*1)

Sascha Dickstein (unter diesem Namen fand der Musiker zumindest Eingang in Discographien) ist einer der vielen, heute quasi vollkommen unbekannten Musiker aus der Ãœbergangszeit vom Ragtime zu moderner Tanzmusik.

Anlass etwas nach diesem Musiker "zu kramen" gab mir die obige Abbildung des Geigers Dykstein von 1936. In den Discographien von Horst Lange taucht der Geiger z.B. in den Bands von Borchard (was als relativ sicher angenommen werden kann), Fred Ross oder auch Arno Lewitsch auf. Bekannt ist, er kam aus Kiew, damals Russland und hieß vermutlich Salomon (?) Dykstein. Wahrscheinlich kam der Musiker im Zuge der Oktober-Revolution 1917 nach Deutschland. Ende 1920 bildete er zusammen mit dem Pianisten Walter Lindenmann und dem Schlagzeuger Erich Giese die "Atlantik Jazz-Band". Teils um einen Banjospieler erweitert, wurde daraus die "Atlantik Four" (Jazz-Band).

14. Mai 1921

1923 spielte die Band auch in Wien und traf dort auf Eric Borchard. Dieser "übernahm" in Wien die Band und machte sie 1924 zurück in Deutschland zu "Eric Borchards Atlantik Jazz Band". Mit dieser spielte Dickstein/Dykstein dann auch bei der Grammophon ein.

Neben den Auftritten mit der Borchard-Band spielte Sascha Dickstein auch in Edy Dittke’s Ragtime Band mit der er durch Deutschland reiste.




Eddy Dittke's Ragtime Band, c. Mai 1924, Leipzig oder Düsseldorf. Pianist Georg Haentzschel identifizierte Sascha Dickstein als Geiger. Dittke dritter von links.
(Rainer E. Lotz, Eddie Dittke and his Boys, Jazzfreund-Publikation Nr.7, Menden, 1979)


Nun ist sein Name nicht gerade der häufigste, man sollte meinen: Ein Musiker Dickstein im Berliner Adressbuch kann ja nur dieser sein! Soweit, so schlecht... Entweder gab es unzählige Musiker "Di(c)kstein / Dykstein" in Berlin, oder unser Geiger wechselte fast jährlich den Namen... Ein Bild des Musikers (hier stehend mit Geige) wurde definitiv identifiziert. Der Ausschnitt hier stammt aus einem Orchesterbild der Borchard - Kapelle um 1924 (Sammlung Rainer Lotz). Verglichen mit dem Profil des Geigers "Dykstein" von 1936 ist die Ähnlichkeit mehr als frappierend (Auch wenn zwischen beiden Photos mindestens 12 Jahre liegen), nimmt man noch den eher seltenen Namen und Beruf "Musiker" hinzu, kann es sich nur um den gleichen Musiker handeln.

1920 taucht ein "passender" Musiker erstmals im Berliner Adressbuch auf: Asher Dickstein. Der Vorname Asher kommt vermutlich dem ursprünglich Russischem Namen am nächsten. Im Jahr darauf dann Usher. 1925 aber plötzlich Ulrich Dickstein! Ab 1926 bis 1930 dann Samuel Dickstein. Alles unter gleicher Adresse!

1920


1924


1925 dann sogar als Ulrich Dickstein...


1931 und mit einer anderen Adresse gibt es plötzlich einen James Dickstein. Allerdings nur in diesem Jahr. 1933 dann ein Sammo Dykstein, die beiden Jahre darauf ein Boris Dykstein. Unnötig zu erwähnen: Alle anderen Dicksteins oder Dyksteins finden sich bei einem "Namenswechsel" nicht mehr im Adressbuch...

1930


1931


1933


1934 & 1935
Boris...!!


Im April 1932 begleitete „Dicksteins Biguine-Orchester“ das Revueprogramm in der Berliner Biguine-Bar, „Deutschlands erster Negerbar“, seinerzeit mit Poulette, dem „König der Pariser Negertänzer“, und der Tänzerin „Prinzess Vitalis“ von der Melodies Bar als Hauptattraktionen.





Eine undatierte Postkarte, wahrscheinlich aus der Zeit zwischen 1931 bis Anfang 1933, zeigt die 5-köpfige Dickstein-Kapelle in der Besetzung:
Sascha Dickstein (Geige); unbekannt (Alt-Saxophon, Klarinette); unbekannt (Klavier); Erwin Gottschalk (Banjo); William MacAllan (Schlagzeug); die unbekannten Musiker sind Lothar Harnack und/oder Herbert Kerock und/oder Thomas Ulrich, die genaue Schreibweise der Namen ist nicht gesichert.
(Sammlung Rainer E. Lotz, unveröffentlicht.)


Ende 1932 tritt der "tanzende Geiger" auch wieder in Wien auf. Hier spielt Sascha Dikstein (ohne ck...), der geniale Russe, in der "Westminster Bar". Nach einer Anzeige studierte unser Musiker in Berlin Musik. Bei seinen Auftritten spielt, singt und tanzt er die "schwierigsten russischen Tänze" - das Publikum tobt Beifall!

November 1932 in Wien

(*2)

(*2)


Zurück in Berlin sieht sich der Musiker mit den veränderten "politischen Landschaften" konfrontiert. Vermutlich erließen die Nationalsozialistischen Machthaber auch gegen "den Juden" Dickstein ein allgemeines Berufsverbot. Auftritte nach 1933 sind nun nur noch im Zuge des Jüdischen Kulturbundes dokumentiert.

Im Dezember 1934 oder ab dem Datum traten „Sascha Dickstein und sein Orchester“ im Café Uhlandseck auf, am 23. Februar 1935 bei einem Kostümfest unter dem Motto Eine Reise auf dem Dampfer Tel-Awiw, das der Sänger Ferris Gondosch organisiert hatte. Im März des Jahres begleitete „Sascha Dickstein, der tanzende Geiger“ Marie-Luise Jacqueline Myrelle vom Empire, Paris. Im Oktober 1935 spielt Sascha Dickstein mit einer 6-köpfigen Besetzung in dem Lokal „Bei Alfred Jansen“ in der Oranienstraße. Am 20. März 1936 ist auch ein Auftritt bei einem Frühlingsfest im Logen-haus belegt.

Im Sommer und Herbst 1936 tritt dann der "Kapellmeister" und "tanzende Geiger" Dykstein im Rahmen des Jüdischen Kulturbundes im Cafe Leon, Kurfürstendamm 155 auf. Auch hier scheint man sich mit der Schreibweise nicht ganz sicher zu sein: Mal Dykstein - dann Dyckstein. Wie gesagt, optisch kann es sich eigentlich nur um den Musiker "Dickstein" handeln, der 1924 bei Eric Borchard spielte. Nach 1936 findet sich jedenfalls kein Musiker Dykstein / Dickstein mehr in den Adressbüchern.


Gemeindeblatt der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Oktober 1936


November 1936


Am 21. Oktober 1944 schifft sich dann ein Musiker Salomon Dykstein, geboren 1902 in Kiew und der Deutschen Sprache mächtig, zusammen mit seiner Frau Betty und der Tochter Elvira aus Argentinien kommend in die USA ein.

Oktober 1944



Spätestens ab November 1945 spielt und musiziert Sascha Dickstein dann in New York. Hier tritt er nun in dem vor Nazi-Terror geflüchteten Emigranten Lokal Cafe Old Europe am Broadway Ecke 77th Street auf.

Anzeige 02. November 1945
(*2)

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16. November 1945
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Februar 1946
(*2)

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Zusammen mit seiner Frau Betty und seiner Tochter Elvira erhält der nun seit vielen Jahren "Staatenlose" im Mai 1950 die amerikanische Staatsbürgerschaft. Nun wird auch der Name von Salomon Dykstein auf Sam Dickstein geändert. Den Vornamen Sascha legt er offiziell ab - vielleicht erinnerte ihn dieser zu sehr an seine fast zwanzig Jahre andauernde Karriere in Deutschland. Auch wenn Sascha nie der echte Name unseres Musikers war - unter diesem soll er noch in der Traueranzeige erwähnt werden. Gut 40 Jahre nach seiner Einbürgerung...


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Noch Ende der 50er Jahre tritt Sascha Dickstein in Lokalen und Clubs auf. Mal mit Orchester, dann wieder mit kleineren Besetzungen.

Januar 1951

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Juni bis Dezember 1959


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Sascha Sam Dickstein starb im Alter von 91 Jahren in New York. Das typische Schicksal eines in Russland geborenen jüdischen Musikers führte ihn auf einer langen Reise von Kiew über Berlin bis nach New York. Die Urenkel des "Geigers der Eric Borchard Band" leben bis heute in den USA.

(*2)


Georg Biller (Formiggini)



Quellen:
(*1) Sammlung Rainer Lotz, Eric Borchard Story
(*2) Sammlung Konrad Nowakowski, Wien
- 26/05/05, Typoscript, Bergmeier & Lotz, Biographisches Lexikon zur deutschen Unterhaltungsmusik.

Sowie eigene Recherche. Mein herzlicher Dank an Herrn Nowakowski für die Bereitstellung seiner Unterlagen und den Austausch zu Sascha Dickstein, sowie an Herrn Rainer E. Lotz für Biographische Angaben und rare Bilder.

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