Evi Bodo - Der Kinderstar aus Wien

Für die bevorstehende Publikation: „The Sound of Tap – Tap Dancing on Record 1926-1965“ (tap-dancing-on-record.com), die über 70 Biographien enthalten wird, habe ich versucht, mehr über das Leben von Evi Bodo herauszufinden. Ohne die freundliche Unterstützung der verschiedenen Wiener Archive (s.u.) und der Deutschen Nationalbibliothek wäre das nicht möglich gewesen. Mein besonderer Dank gilt der Wiener Historikerin Dr. Claudia Kuretsidis-Haider vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes für ihre kompetente Hilfe bei der Recherche. – Uwe Meusel, Freiburg, im August 2019.


Evi Bodo
(* 23. Februar 1929 in Wien; † unbekannt)
Gastartikel von Uwe Meusel



Evi Bodo war ein Wiener Mädchen jüdischer Herkunft mit einem außergewöhnlichen Gesangs- und Tanz-Talent. Ihr bürgerlicher Name lautete Eva Bodenstein. Ihre Mutter war Margarete Bodenstein, geborene Goldhammer, am 15. März 1901 in Wien als Tochter von Eduard und Deborah Goldhammer geboren, und Schwester von Gertrud, Lilli und Alma Goldhammer. Ihr Vater hieß Moritz Bodenstein, geboren am 21. April 1889 in Wien als Sohn von Otto Siegfried und Josefine Bodenstein, und Bruder von Charlotte Bodenstein. Moritz war Kaufmann und gründete im November 1913 zusammen mit G. Jakob Fluß die Firma ‚Fluß & Bodenstein‘, einen Großhandel für Fette und Öle im 9. Bezirk, Nußdorfer Straße 60. 1927 heiratete er Margarete im Wiener Stadttempel.

Von 1930 bis 1931 war Moritz zusammen mit Fritz Reitler Geschäftsführer der ‚Colorit Schallplatten Gesellschaft‘ in der Neutorgasse 17, die im Juli 1931 liquidiert werden musste. Eva wurde am 23. Februar 1929 in Wien geboren. Sie besuchte im 4. Bezirk die Volksschule in der Pressgasse 24, beziehungsweise in der Waltergasse 16, als die Schule 1937 dorthin übersiedelte. Mit ihren Eltern lebte sie in der Pressgasse 1.

Offenbar bekam Evi schon im frühsten Kindesalter Tanzunterricht, insbesondere Stepptanz, denn am 6. Januar, 1937 schrieb die “Kleine Volkszeitung” in Wien: “Direktor Bachmeier hat für die österreichische Uraufführung der Operette Rosemarie, die er am 16. Januar im Stadttheater herausbringt, ein Theaterkind entdeckt. Die Sechsjährige Evi Bodo soll eine wienerische Ausgabe der Shirley Temple sein, erstaunlich gut singen und tanzen können und überhaupt ungewöhnliche künstlerische Fähigkeiten haben.“ Rose-Marie war eine überaus erfolgreiche Operette von 1924 mit Musik von Rudolf Friml und Herbert Stothart, und Text von Otto Harbach und Oscar Hammerstein II, die weltweit bereits über 15.000 Aufführungen erlebt hatte und gerade das zweite Mal verfilmt worden war.

Eine Woche später, am 13. Januar berichtet die gleiche Zeitung von den Proben: „... und noch das Kleinchen Evi Bodo, von dem man nicht zuviel sagt, wenn man es die Wiener Shirley Temple nennt. Dass man mit sechs Jahren sein Debüt feiert, wird einem jedermann glauben, dass dieses Kindchen zum ersten Mal auf den Brettern steht, wird kaum jemand glauben, und dennoch ist es so. Diese Degagiertheit! Dieses liebe und verständnisvoll geführte Stimmchen, dieses unerhört sichere Steppen.“

Am 16. Januar fand die Wiener Premiere von Rosemarie statt mit 250 Mitwirkenden und 300 Kostümen. Neben Evi Bodo spielten Rita Georg, Josef Graf, Inez Casserini, Maria West, Sonja Lewkowa, Fritz Steiner, Frim und Radherny, und Hans Fleischmann unter der musikalischen Leitung von Heinrich Krips. Aubrechtova und Steffi Hoefle studierten die Tänze ein. Der Wiener Tag berichtet am 19. Januar: „Eine besondere Überraschung ist Evi Bodo: sie tanzt und singt und plappert wie eine Große, die ein kleiner Star sei möchte. Shirley Temple würde zerspringen, wenn sie sähe, wie ihr diese kleine Dame ihre Rolle wegspielt.“

In der Mittagausgabe Nr. 15 des Neuen Wiener Tagblatt vom 20.1.1937 erscheint unter der Rubrik: „Der bissige Bleistift“ eine Karikatur von Bil Spira mit dem Titel: „Zur Premiere von Rosemarie - Fritz Steiner und die kleine Evi Bodo“



Komponist u. Arrangeur Josef Drexler


Der Erfolg der sechsjährigen Evi Bodo wurde von Columbia Records registriert, die sie umgehend mit einem Plattenvertrag für zwei Jahre ausstattete. Schon im Februar 1937 nahm Evi ihre ersten vier Lieder mit Kinderchor und Orchester auf: Auf dem Spielplatz und Hinaus ins Freie (Columbia DW4444) sowie Bei der Jause und Von Kinderherz und Vaterland (Columbia DV1348). Diese Aufnahmen waren in der Diskographie der österreichischen Populärmusik bisher nicht gelistet. Die Kinderlieder-Medleys wurden von Josef Drexler arrangiert, einem Schullehrer, der 1936 als Kapellmeister des Boheme-Quartetts in Wien große Erfolge gefeiert hatte, und der vermutlich auch das Orchester vom Klavier aus leitete. Diese vier Aufnahmen wurden von nun an regelmäßig im Radio gespielt.





"Auf dem Spielplatz"
Evi Bodo mit Kinderchor und Orchester
Aufgenommen in Wien im Januar/Februar 1937
Columbia DW. 4444 - CHA 834

.

"Hinaus in's Freie"
Evi Bodo mit Kinderchor und Orchester
Aufgenommen in Wien im Januar/Februar 1937
Columbia DW. 4444 - CHA 835

.





"Bei der Jause"
Evi Bodo mit Kinderchor und Orchester
Aufgenommen in Wien im Januar/Februar 1937
Columbia DV. 1348 - CHA 836

.

"Von Kinderherz und Vaterland "
Evi Bodo mit Kinderchor und Orchester
Aufgenommen in Wien im Januar/Februar 1937
Columbia DV. 1348 - CHA 837

.


Am 17. August 1937 nahm Evi an einer „Akademie der Jüngsten“ teil, die als Talentshows viel Aufmerksamkeit erzielten. Veranstalter und Direktor Hugo Urban vom Filmverband „Austria“ hatte in den Wiedhalm-Garten im Helenental in der Nähe der Kurstadt Baden bei Wien eingeladen. Dazu hieß es in der Badener Zeitung vom 21. August:

„Es war erstaunlich, auf welcher Höhe die Leistungen der Vier- bis Vierzehnjährigen standen (Hertha Dhage, Pepi Blaschka, Margit Völkl, Stephanie Zouzelka, Elfi Nemeth, Evi Bodo, Otto Meisel, Johanna Leißner, Lucie Bendinger, Nessie Breycher, mehrere von diesen schon in der Staatsoper und anderen Wiener Theatern engagiert). ... Besondere Erwähnung verdient aber auch Kapellmeister Oskar Heintze, der seinen kleinen Schutzbefohlenen ein liebevoller und diskreter Begleiter am Flügel war. Das zahlreiche Publikum, überrascht und entzückt, spendete reichlich Beifall.“


Im August 1937 unternahm dann Columbia Records den nächsten Schritt mit Evi, indem sie mit Kapellmeister Heinz Sandauer, der gerade das Wiener Rundfunkorchester gegründet hatte, zwei Titel aufnehmen durfte, die sie nicht nur als Sängerin, sondern auch stepptanzend präsentierten: „Kinderball bei Shirley“





"Kinderball bei Shirley"
Evi Bodo mit Heinz Sandauer Orchester
Aufgenommen in Wien im August 1937
Columbia DV. 4497 - CHA 886

Label und Überspielung von Wilhelm Tartler.



(G.Dusik - J.Robinger) - als Beitrag zur Shirley Temple Welle, die auch Wien erfasst hatte - und ein wunderbar fröhliches „Heut bin ich so gut aufgelegt“ (Perné - Berdach), veröffentlicht auf Columbia DV.1377 und DW.4497. Evi Bodo war mit den 6 Titeln nun öfter im Radio zu hören und wurde ab und zu auch zu Live-Sendungen eingeladen, wenn sie die Erlaubnis der Schule bekam. Trotz des Erfolges wurden von Columbia keine weiteren Aufnahmen mit Evi Bodo gemacht, was wohl dem sich ankündigenden politischen Umschwung geschuldet war.



Heinz Sandauer Dirigent u. Komponist am Klavier


Am 8. Januar 1938 war Evi Teil eines „Bunten Abends“, organisiert vom Verein „Volkshochschule Wien Volksheim“, unter der künstlerischen Leitung von Dr. Otto Götz zusammen mit Christl Giampetro, Zauberkünstler Alfred Keller, Gustl Angeli und Anny Dirnhofer. Die Wiener Zeitschrift „Die Stimme“ beschreibt in ihrer Ausgabe vom Freitag, dem 21. Januar eine Chamischa-Assar-Feier des Jüdisch-Kulturellen Elternbundes, in der Evi mit dem Nachnamen Bode erwähnt wird, und die die Situation im Wien am Anfang des Jahres 1938 eindrucksvoll wiederspiegelt:

„Vorigen Sonntag fand im Festsaale des Hotel „Post“ die diesjährige Chamischa-Assar-Feier des Jüdisch-Kulturellen Elternbundes vor gänzlich ausverkauftem Hause statt. Für das Fest stellten sich die Tanzgruppe der Turn- und Gymnastikschule Else Scharf, Klaviervirtuosin Hertha Fischer, Willy Warrik, Martin Tossi, die kleine Evi Bode, Kurt Spiegler, Alexander Grünberg, die Sängergruppe des Chordirigenten Heimann und Hilda Dulitzkaja in uneigennütziger Weise zur Verfügung. Nach Begrüßung durch den Obmann des Jüdisch-Kulturellen Elternbundes, Dr. Isidor Klaber, hielt Dr. A. Weiner eine großangelegte Festrede, in der es unter anderem hieß: „Wir können erhobenen Hauptes sagen: So, wie wir uns nach der Natur und der Arbeit auf dem Boden Erez-Israels sehnen, so lieben wir die Natur und ehren wir den Boden des Vaterlandes, in dem wir wohnen. Und so, wie wir von ganzem Herzen wünschen, dass das Land unserer Väter in neuer Herrlichkeit erblühe, so wünschen wir uns von ganzem Herzen, dass unser Vaterland Österreich stark und frei sein, blühen und gedeihen möge. Der gläubige Jude richtet in seinem Sinne keine Scheidewand auf zwischen Land und Land oder Volk und Volk, sondern vereinigt in seinem Herzen die Liebe zu seinem faktischen Vaterlande mit der Liebe zum Lande seiner Väter und seiner Zukunft.“ Sodann wurde das unter künstlerischer Leitung von Simon Advokat stehende Programm durchgeführt. Unter den Festgästen bemerkte man unter anderen: Oberrabiner Doktor I. Taglicht, Amtleiter Leopold Ferster vom Schulamt, Börserat J. Waltuch und Gemahlin, Dr. Freytag vom Volksbildungsreferat der Stadt Wien und den Leiter der Volksschule der Kultusgemeinde, Jellinek.“



Erwähnt wird die Mitwirkung von Evi Bodo letztmalig bei einer „Zionistischen Veranstaltung“ am 19. Februar 1938, einem Gesellschaftsabend am Prater (Stuwerstr.1) mit Prof. Joachim Stuczewsky, Fräulein Hertha Kramm, Frl. Henryka Gold, Ch. Kerber, Josef Baar, einem Jugendchor und der Conference von Dr. Pia Klein. In der März Ausgabe von „Tonfilm, Theater, Tanz“ kann man dann auf Seite 13 lesen:

„Die 8-jährige Evi Bodo, die jüngste Soubrette Österreichs, bei uns durch ihre Schallplatten und ihre Akademien bestens bekannt, wird demnächst eine größere Tournee in die nordischen Staaten unternehmen. Wir wünschen der kleinen Künstlerin, die nicht nur eine entzückende Singstimme hat, sondern auch schon bravourös steppt, viel Erfolg.“


Ein ganz ähnlicher Pressetext findet sich auf der Rückseite von drei Bildern, die Evi Bodo 1937 vom Atelier Willinger in Wien anfertigen ließ, und die sich heute im Theatermuseum Wien befinden.





Dort heißt es unter der Überschrift „Jüngste Wiener Artistin geht ins Ausland“:
„Die 8-jährige Evi Bodo, die jüngste mit Erfolg geprüfte Wiener Artistin, die bei der Gewerkschaft als einzige „Miniatur-Soubrette“ Wiens geführt wird, macht eine Skandinavien-Tournee. Für die kleine Künstlerin, die bereits mit einer der größten Schallplattenfirmen der Welt einen Zweijahresvertrag hat, fließend Englisch spricht, Fußspitzen tanzen kann, steppt und singt, interessiert sich eine der bekanntesten amerikanischen Filmproduktionen, sodass möglicherweise eine Wienerin Kinderfilmstar in Hollywood wird.“

Der Aufstieg der kleinen Künstlerin wurde mit dem „Anschluss“ Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland am 12. März 1938 jäh gestoppt. Es gelang ihr jedoch mit ihren Eltern die Flucht aus Wien.

Im „Biographischen Lexikon der Theaterkünstler“ von Frithjof Trapp (u.a.) wird Evi wieder mit dem Nachnamen Bode erwähnt. Demnach war sie im März 1939 in Paris Gründungsmitglied des Kabarettensembles „Vienne à Paris“, das im Théatre des Capucines auftrat. Gemäß einem Bericht über den Wiener Schauspieler und Kabarettisten Karl Farkas waren er und das Komiker-Trio Franz Engel, Erwin Saldern und Fred Berger ebenfalls beteiligt. Im April 1939 wirkt Evi außerdem im Programm „Kaufhaus des Lachens“ des Kabaretts „Mélodie Viennoise“ mit. Im Pariser Tageblatt vom 1. April 1939 heißt es dazu: „Evi Bode, das Wunderkind, tanzt als Rokokopuppe auf dem Klavier und singt sich in jedes Herz“. Nach dem Einmarsch der Deutschen Wehrmacht in Frankreich im Juni 1940 flüchteten Eva und ihre Eltern in den Süden des Landes, wo viele Juden und Jüdinnen aus Mitteleuropa Zuflucht suchten. Vom 10. März bis September 1943 war die Region um Nizza von Italien besetzt. Als ab dem 8. September 1943 das Gebiet in deutsche Hände fiel, versteckte sich Eva Bodenstein mit ihren Eltern unter dem Namen Bernard in St. André-Les Alpes in der Provence und war ständig in Lebensgefahr. Sie bewohnte – mehrere Male von der deutschen Gestapo verfolgt – außerhalb von St. André eine Hütte ohne Wasser und Licht, die auf einer Anhöhe gelegen und unbewohnt war und die als Werkzeugdepot diente. Am 28. August 1944 beendete die Résistance die deutsche Herrschaft in Nizza und die Familie Bodenstein konnte Ende September die Hütte wieder verlassen. Ob sie in der Zeit nach dem Ende der NS-Herrschaft noch einmal nach Wien zurückkehrten ist nicht bekannt. Laut der österreichischen Tageszeitung „Neues Österreich“ vom Dienstag, den 19. Juni 1945, wurden ihre Schallplatten wieder im Wiener Rundfunk gespielt.

Offenbar war die Familie nun mit Frankreich verbunden und es beantragte einer nach dem anderen die französische Staatsbürgerschaft. Als erstes wurde am 6. April 1948 die Schwester von Moritz, nun als Lotte Bodenstein eingebürgert. Am 5. November 1950 erhielt Eva Bodenstein ihre Dokumente. Ihr Vater, der sich nun Maurice nannte, und ihre Mutter Margarete beantragten die französische Staatsbürgerschaft kurz darauf, am 5. Januar 1951. 1962 waren die Bodensteins schließlich in Nizza in 15 Rue de France gemeldet. Zwischen 1962 und 1967 heiratete Eva und hieß fortan Gréau. 1967 haben sie und ihre Eltern in Wien um Entschädigung im Rahmen der Opferfürsorge für Opfer des Nationalsozialismus angesucht und einen positiven Bescheid erhalten. Dann verliert sich ihre Spur. Evas Vater verstarb am 10. Juni 1978 in Nizza.




Falls jemand weitere Informationen zur Familie Bodenstein und zu ihrer Zeit in Wien, Paris, oder Nizza hat, würde ich mich sehr über einen Kontakt freuen unter e-mail

Die Informationen entstammen folgenden Quellen:
Bilder mit freundlicher Genehmigung des „KHM-Museumsverband, Theatermuseum, Wien“: Link - Hier klicken
Deutsches Musikarchiv der Deutschen Nationalbibliothek in Leipzig: Link - Hier klicken
Columbia DV.1348 stammt aus der Sammlung von Andreas Schmauder: Link - Hier klicken
Tonfilm, Theater, Tanz: Wiener Musik- und Theaterzeitung 1935-1938
Zeitungsdatenbank ANNO der Österreichischen Nationalbibliothek Link - Hier klicken
Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW):
DÖW 20.000/B456, Opferfürsorgeakt Eva Bodenstein (Kopie, Originalarchiv Wiener Stadt- und Landesarchiv)
DÖW 20.000/B455, Opferfürsorgeakt Margarete Bodenstein (s.o.)
Wiener Stadt- und Landesarchiv, Opferfürsorgeakt Maurice Bodenstein

Über Uns

Wir sind mehr als ein Forum! Als eingetragener Verein arbeiten wir an der Beständigkeit unserer Leidenschaft.

Über uns

Wir suchen Dich!

Du schreibst Artikel, möchtest im Forum als Moderator aktiv werden? Dir liegt Social Media. Bewahre Wissen! Wir warten auf dich.

Schreib uns

Tipps

Einsteiger-Ratschläge für optimale Nutzung und wichtige Aspekte beim Grammophon und Schellackplatten-Kauf.

Zu den Informationen