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Frank Guarente 's World Known Georgians auf Kalophon
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GrammophonTeam
Sa Sep 22 2012, 18:01 Druck Ansicht
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Die Schweiz war in den zwanziger Jahren nicht gerade als Jazz-Land bekannt, trotzdem entstanden hier 1926 einige sehr interessante und seltene Aufnahmen der Jazzgeschichte: Frank Guarente's World Known Georgians auf Kalophon sind nicht nur die ersten Jazzaufnahmen die in der Schweiz gemacht wurden, sie zählen neben den Berliner Aufnahmen von Sam Wooding zu den raren Kleinoden der Jazzgeschichte.


The Georgians - 1924


Frank Guarente's World Known Georgians: Frank Guarente (tp,ldr) Ben Pickering (tb) Eddie Bave
(cl,as) Harold Connelly oder Ernie White (ts,bar) Joe oder James Murray (p) Arthur German (bjo) Jack Ryan (tu) Ted Noyes (d, vcl)

Die Aufnahmen entstanden in Zürich oder Genf, 7. Oktober 1926

401 Georgians Blues (Wiener) Kalophon 401
402 Lonely Acres (by Willard & Gastison) Kalophon 402
403 Hard-To-Get Gerty [sic] (by Ager & Yellen) -3 Kalophon 403
404 Boneyard Shuffle (Carmichael & Mills) Kalophon 404
405 Lonesome and Sorry (David & Conrad) Kalophon 405
406 Valencia (Padilla) Kalophon 406
407 There’s a Boatman on the Volga (Pasternack, Whiting) Kalophon 407
408 Too Bad (E. Schoebel) Kalophon 408



Die Aufnahmen


Die Einspielungen entstanden für die kleine Schweizer Firma Kalophon, deren Geschichte ist Link - Hier klicken nachzulesen.

Kalophon - gegründet 1926 in Zürich, Schweiz.
Herausgebracht auf "unzerbrechlichen" Platten aus einem Pappkern mit einer frühen Kunststoffbeschichtung.


Obwohl die tägliche Produktion bei Kalophon nicht sehr groß war, erschienen mindestens zwei Label Varianten.
Bei den hier hörbaren Platten dürfte es sich um Auflagen für den englischsprachigen Raum handeln. Die Variante (kleinere Bilder) stammen von unserem Mitglied Atticus, bzw seinem YouTube Kanal Link - Hier klicken

Interessant ist auch das sowohl Etiketten wie auch Hüllen Beschriftung offensichtlich auf eine Vermarktung in englischsprachigen Ländern ausgelegt ist.

Der genaue Aufnahmeort ist noch nicht geklärt - Kalophon hielt nur zwei eigene Aufnahmesitzungen ab, eher unwahrscheinlich das hierfür ein eigenes Studio angelegt wurde.
Lange spricht davon, das die Aufnahmen möglicherweise im Cafe Esplanade, Zürich gemacht wurden (hier spielte Guarente 1926).
Eine andere Quelle gibt an: Genf, Chanteclair SA, Passage des Lions 6-7 - diese Adresse haben wir noch nicht gegen geprüft, vielleicht kann hier jemand mehr dazu sagen?

Die Aufnahmen
407 There’s a Boatman on the Volga (Pasternack, Whiting) Kalophon
408 Too Bad (E. Schoebel) Kalophon

liegen uns leider nicht vor, angeblich sollen hiervon weltweit nur zwei Exemplare existieren.



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Bei den Aufnahmen handelt es sich vermutlich noch um akustische Aufnahmen dem Frequenzgang nach zu schließen.
Wie oben bereits erwähnt handelt es sich bei den Platten um einen mit Kunststoff beschichteten Pappkern.

Das Material spielt sehr ruhig mit einem geringen Grundrauschen, allerdings sind deutlich Verzerrungen hörbar.

Die Platten haben ihre Flexibilität verloren und sind gänzlich ausgehärtet.
Die Plattengröße der Aufnahmen schwankt von 21cm bis 23cm. Um eine Spielzeit von bis zu knapp 3:30 zu erhalten wurden die Rillen enger geschnitten als Mitte der zwanziger Jahre üblich.

Vermutlich ist der Kunststoff im laufe der Jahre auch geschrumpft. Das beste Ergebnis bei der Überspielung lieferte eine 65µm Nadel.
Mit einer 95µm Nadel war der Klang wesentlich flacher/dumpfer, gegen Ende der Aufnahme wurden die Verzerrungen mit der dickeren Nadel fast untragbar hoch.




Frank Guarente und die Georgians


1922



Der Trompeter Frank Guarente war wohl der erste außerhalb der USA geborene Musiker dessen Schaffen größeren Einfluss auf die Jazzgeschichte sowohl inner- wie außerhalb Amerikas hatte.
Ab 1922 nahm Guarente u.a. mit seiner Gruppe The Georgians in den USA auf - ab 1926 spielte er auch in renommierten, europäischen Tanzkapellen.


Francesco Saverio (oder Rosario) Guarente wurde am 5. Oktober 1893 in Montemiletto, Süd-Italien geboren.
Schon vor seiner Auswanderung in die USA 1910 erhielt er eine musikalische Ausbildung.

Nach seiner Einreise lebte Frank zunächst bei seinem Bruder in Allentown, Pennsylvania.
Möglicherweise reiste Guarente in den frühen 1910er Jahren mit Don Philipini´s Symphony Orchestra, 1914 ließ sich Guarente zunächst in New Orleans nieder.

Nachdem er zunächst in einer Bank arbeitete, bald aber schon wurde er Vollzeit Musiker.
In New Orleans kam Guarente auch mit Ragtime und frühem Jazz in Kontakt.
Viele der weißen Jazzmusiker in New Orleans hatten italienische Wurzeln - doch nicht nur von diesen lernte Guarente die "neue Musik", so soll er auch regelmäßig mit King Oliver dem musikalischen Ziehvater von Louis Armstrong gespielt haben.

Die Jazz Historie berichtet das Guarente King Oliver in Notenlehre unterrichtete, im Gegenzug brachte Oliver im das Hot Spiel und den Umgang mit verschiedenen Dämpfern auf der Trompete bei.
Growl Einflüsse denen Olivers nicht unähnlich finden sich auf vielen Aufnahmen Guarente´s.

Guarente spielte zwei Jahre in New Orleans, auch leitete er hier in Tom Anderson´s "Cafe" eine eigene Band.

Ab 1916 spielte er in Texas als "Ragtime Frank" mit einem Orchester namens Alabama Five.
Im Krieg trat Guarente dem Militär bei, anschließend spielte er wieder in Texas mit Charlie Keer´s Orchestra neben Eddie Lang am Banjo.

1921 befand sich Frank Guarente in New York, dort gründete er zunächst ein eigenes Ensemble.
Der jazzorientierte Tanzkapellenleiter Paul Specht hörte diese Band und engagierte diese für sein eigenes Orchester.

Die Georgians von Guarente waren ab 1922 nun Bestandteil des Specht Orchesters und wurden herausgestellt wenn es darum ging heißen Jazz zu spielen - sie stellen mit das erste "Orchester im Orchester" dar.



Guarente machte nicht nur Aufnahmen mit dem Specht Orchester, ab 1922 erschienen auf Columbia die Georgians als einzelne Kapelle.

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Im Sommer 1923 reiste Guarente zusammen mit dem Specht Orchester erstmals nach Europa, es folgten regelmäßige Auftritte in England.
Wieder zurück in den USA, machte Guarente weitere Aufnahmen mit seinen Georgians sowie dem Specht Orchester.

THE GEORGIANS (Paul Specht) 1924



Im Mai 1924 reiste Guarente erneut nach Europa - diesmal ohne Paul Specht sondern nur mit seinen Georgians. Es folgten weite Tourneen quer durch Europa, 1926 spielten die Georgians in Zürich im "Café Esplanade". Im Herbst 1926 folgten dann in der Schweiz die legendären Aufnahmen mit den World Known Georgians.

Vielleicht waren die Georgians nicht überall "Weltbekannt", zumindest aber so berühmt das in den USA Paul Specht den Namen weiterführte um mit wechselnden Formationen Jazzaufnahmen zu machen.

Paul Specht's Georgians - Static Strut 1926



Guarente selber löste Anfang 1927 seine Georgians auf und spielte in England u.a. mit den Savoy Orpheans und dem Orchester von Bert Fireman.
Mit diesem zusammen nahm er den King Oliver Klassiker Sugar Foot Stomp auf.

1928 kehrte Guarente nach Amerika zurück. Neben neuen Sternen am Jazzhimmel wie z.B. Louis Armstrong galt sein Trompetenspiel zunehmend als veraltet. Er fand jedoch immer Arbeit als Satzspieler in größeren Orchestern.

In den 1930er Jahren leitete Guarente den Trompetensatz im Victor Young Orchester. Aufnahmetätigkeiten folgten weiterhin, sowohl in Studiobesetzungen und für das Radio, als auch z.B. zusammen mit den Boswell Sisters.
1937 wollte Tommy Dorsey ihn für sein neues Orchester anstellen, Guarente war aber bereits gesundheitlich sehr angeschlagen.

Frank Guarente starb am 21. Juli 1942 in New York mit nur 48 Jahren.




Wir würden uns sehr freuen, wenn hier noch weitere Informationen zu Frank Guarente 's World Known Georgians gesammelt werden könnten - so wäre dies hier dann die umfassendste Dokumentation zu diesen raren Aufnahmen im deutschsprachigem Raum.

In welchem Zeitraum genau trat Guarente in der Schweiz auf?
Spielte er nur im "Cafe Esplanade" - Gibt es hiervon Bild oder Zeitungsdokumentationen?
Wo genau wurden die Aufnahmen gemacht?

Vielleicht hat jemand Lust etwas zu den Musikern des Orchesters zu schreiben?
Einige verweilten ja noch länger in Europa, Ben Pickering z.B. nahm in Deutschland u.a. mit Dajos Bela auf.


[ Bearbeitet Fr Jan 26 2018, 09:23 ]
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GrammophonTeam
So Sep 23 2012, 10:08
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In einer niederländischen Zeitung vom 6. Juni 1925 fand sich ein kurzer Artikel über die Georgians, vielleicht kann uns ein Mitglied grob den Inhalt übersetzen und zusammenfassen?

Was zumindest aus dem Artikel schonmal hervorgeht; der Name ...world known/famous Georgians ist keine Erfindung der Kalophon, wenn dieser Name bereits 1925 verwendet wurde.




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GrammophonTeam
So Sep 23 2012, 18:16
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snookerbee
Mo Sep 24 2012, 13:56
"Urgestein"

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Das sind alles ganz interessante Aufnahmen.

Mir erscheint die Abspiel-Geschwindigkeit allerdings etwas zu hoch. "Boneyard Shuffle" spielt hier z.B. in der Tonart Fis bzw. Ges-Dur. Das wären 6 Vorzeichen für nicht transponierende Instrumente - ein kleiner Horror! "Bequemere" Tonarten für Trompeter wären z.B. Bb oder F. Also bei letzterer, die hier passen könnte, einen Halbton tiefer. Damit würde die Platte auch etwas langsamer spielen.

Was mir noch auffällt ist eine extrem unangenehme Resonanz zwischen 193 und 312 Hz im Frequenzgang (siehe unten). Kommt das von der Nachbearbeitung, oder ist das schon so auf der Platte?





Die Musik des Frank Guarente war mir bisher nicht so bekannt. Deshalb nochmal einen herzlichen Dank fürs Vorstellen der Aufnahmen.

Grüße
Claus

[ Bearbeitet Mo Sep 24 2012, 20:22 ]
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GrammophonTeam
Mo Sep 24 2012, 19:28
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⇒ Mitglied seit ⇐: So Sep 04 2011, 14:54
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Die Überspielung fand bei 78upm statt, sehr gut möglich das Kalophon neben einer etwas unüblichen Plattengröße (21cm - 23cm) auch eine geringere Geschwindigkeit nutzte.
Danke für den Hinweis mit der "unangenehmen" Tonart - da werden wir wohl noch etwas mit der Geschwindigkeit experimentieren.

Die Resonanz ist bereits auf der Aufnahme. Der Kunststoff ist wohl etwas geschrumpft - bei tieferen Frequenzen "verhakt" sich wohl die 65µm Nadel.
Mit der für Mitte der zwanziger Jahre eigentlich besseren Nadel von 95µm waren die Verzerrungen in diesem Bereich nicht tragbar.
Es wurde aber bereits die Rillenflanke mit weniger Verzerrungen genutzt - deswegen erfolgte die Digitalisierung auch in Stereo, in Monoverschaltung waren die Resonanzen nicht in den Griff zu bekommen.

Wir werden mal später noch versuchen die Platten mit einem Pickup der dreißiger Jahre und Bambusnadel zu überspielen - diese passt sich nach wenigen Umdrehungen den Rillen an ohne den Platten Schaden zuzufügen.

Viele Grüße
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snookerbee
Mo Sep 24 2012, 20:28
"Urgestein"

⇒ Mitglied seit ⇐: Fr Apr 15 2011, 20:12
Beiträge: 1676

Hier wäre sicher schon mal ein optischer Abspieler sinnvoll, wenn man sich den leisten könnte...

Übrigens ist in der Frequenzkurve auch das Resultat eines Bandfilters abgebildet, der die Resonanz der Aufnahme ausbügelt (blauer Abschnitt). Bei Bedarf stelle ich im MTB mal die Filterung ein.

Grüße
Claus
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Calle
Mo Sep 24 2012, 22:32
⇒ Mitglied seit ⇐: Mo Apr 18 2011, 10:57
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Beiträge: 292
@Grammophonteam: "In einer niederländischen Zeitung vom 6. Juni 1925 fand sich ein kurzer Artikel über die Georgians, vielleicht kann uns ein Mitglied grob den Inhalt übersetzen und zusammenfassen?"

Ich werde es übersetzen: das größte Teil handelt sich aber über einen Modenschau...!
Übersetzung folgt morgen oder spätestens übermorgen...
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Formiggini
Mi Apr 16 2014, 12:03

⇒ Mitglied seit ⇐: Di Dez 28 2010, 19:20
Beiträge: 1579
Frank Guarante's World Known Georgians
1926 in Holland
Inhalt, Bild oder Datei nur fuer angemeldete Mitglieder


[ Bearbeitet Fr Jan 26 2018, 09:25 ]
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gramofan
Fr Apr 18 2014, 18:00
⇒ Mitglied seit ⇐: Sa Okt 01 2011, 20:32
Wohnort: bei Berlin
Beiträge: 1164
Die Aufnahmen sind seit einiger Zeit bequem auf CD zugänglich: Jazz Oracle BDW 8068 (Americans in Europe) und z.T. auf Retrieval RTR 790069 (U.S. Jazzmen in Europe 1926 - 1929).
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