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Fonotipia und Odeon 35 cm Riesenschallplatten
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Starkton
Fr Jul 10 2015, 12:12 Druck Ansicht
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Fonotipia und Odeon 35 cm Riesenschallplatten

Alfred Michaelis hatte als ehemaliger Direktor der im September 1899 gegründeten The Gramophone Company (Italy) Ltd. reichlich Erfahrung im Schallplattengeschäft gesammelt. Zudem pflegte er beste Kontakte zur Mailänder Scala und deren weltbekannten Künstlern. Bei seinem Rauswurf im Sommer 1904 fühlte er sich ungerecht behandelt und brannte infolgedessen auf Revanche. Bereits am 12. Oktober 1904 gründete er mit dem Ingenieur Dino Foa eine Geschäftspartnerschaft mit dem Ziel, seine künstlerischen Kontakte zu nutzen, der Gramophone Co. Konkurrenz zu machen und sie aus dem italienischen Markt zu drängen.

Schärfster Konkurrent der Gramophone Co. in Europa war die International Talking Machine Co. m. b. H., gegründet von Frederick Prescott in Berlin-Weissensee, welche seit Anfang 1904 Schallplatten auf dem Odeon-Label herausbrachte. Bereits seit (Ende) September 1904 nahmen Toningenieure der International Talking Machine Co. zunächst in Mailand, kurz darauf in Paris und Berlin, auch alle Schallplatten für die noch in der Vorbereitungsphase befindliche Unternehmung von Michaelis und Foa auf. Die neue Firma sollte "Fonotipia" heißen.

Damit diese Platten in das vorhandene Matrizensystem der International Talking Machine Co. eingeordnet werden konnten, erhielten sie das Präfix "Ph" vor der Matrizennummer. Eigentlich wäre ja "F" für Fonotipia naheliegender gewesen, aber das Präfix "F" war bereits für Belgien vergeben, und "P" erhielten schon Pariser Aufnahmen.

Beibehalten wurde das System der Unterscheidung zwischen 19 cm und 27 cm Platten durch ein "x" vor der Matrizennummer bei den größeren Platten. Durch die Zusammenarbeit mit Fonotipia vergrößerte sich das Sortiment um das Riesenformat der 35 cm Platten. Diese erhielten die Markierung "xxx" vor der Matrizennummer. Als letzte Plattengröße kamen ab 1905 Schallplatten im Format 30 cm mit der Markierung "xx" hinzu.

Die International Talking Machine Co. nahm in der Folge auch 35 cm Platten für ihren eigenen Katalog auf. Bekannt sind Odeon-Riesenschallplatten aus Berlin (Präfix xxxB), Ägypten (xxxE), Rio de Janeiro (xxxR), Konstantinopel, London und Paris. Leider kann ich nur ein Exemplar mit Odeon-Label aus meiner Sammlung zeigen, siehe weiter unten.

Der Größenunterschied zwischen einer 35 cm und einer 27 cm Platte ist enorm.



Fonotipia-Platten erschienen also in den Größen 19 cm (Präfix Ph vor der Matrizennummer), 27 cm (Präfix xPh), 30 cm (Präfix xxPh) und 35 cm (Präfix xxxPh), wobei die kleinen und die ganz großen Platten gleichermaßen selten sind. Die ersten Pressungen trugen weiß-goldene Labels. Weil diese aber nicht abriebfest waren führte man umgehend das bekannte weiß-grüne Label ein.

Am 6. Januar 1905 ging aus der Partnerschaft zwischen Michaelis und Foa der Mailänder Musikverlag Societa Italiana di Fonotipia hervor, eingedeutscht Italienische Gesellschaft für Kunst-Tondruck. Die International Talking Machine Co. m. b. H nahm weiterhin die unter Vertrag der Fonotipia stehenden Künstler auf, presste ihre Platten und vertrieb sie in Deutschland. Der Musikverlag Fonotipia, Via Dante 4, besaß seinerseits den italienischen Generalvertrieb für Odeon-Platten.

Die (zumeist) einseitig bespielten Schallplatten im Riesenformat von 35 cm mit einer maximalen Spieldauer von etwa 5 Minuten kosteten in Deutschland 20 Mark, damals ein Wochenlohn. Sie waren in, zum Teil eigenen, Nummernblöcken sortiert: 69000, 70000, 71000, 72000, 73000, 76000 und 86000. Einige erschienen nur mit Fonotipia-Label, andere nur mit Odeon-Label, und ein oder zwei sowohl mit Fonotipia-, als auch mit Odeon-Label. Die meisten waren Gesangsaufnahmen, es gab jedoch z.B. auch zwei Platten des Prager Geigenvirtuosen Jan Kubelík.

Es existieren im Nummernblock 70000, mit brasilianischem Odeon-Label, Matrix xxxR, sogar doppelseitige 35 cm Pressungen, aufgenommen im Jahr 1907. Die letzten 35 cm Platten wurden im Juli 1909 für Fonotipia in Mailand aufgenommen.

Nur die im Oktober 1904 aufgenommenen Katalognummern 69002 und vielleicht 69003 und 69004 erschienen in ihrer Erstauflage mit dem weiß-goldenen Fonotipia-Label. Es ist allerdings bisher nur ein einziges Exemplar mit 35 cm Größe in dieser ersten Labelausführung aufgetaucht, Nr. 69002 mit der wunderbare Arie von Maria Barrientos aus der Oper Dinorah von Giacomo Meyerbeer. Eine der schönsten Aufnahmen im Riesenformat (mx. xxxPh 29):



35 cm Fonotipias tragen ansonsten das auch von den 27 cm Platten bekannte, weiß-grüne Label. Fonotipia-Labels bis etwa 1910 erhielten eine aufgestempelte, fortlaufende Nummer um die Künstlertantiemen berechnen zu können. Von Alessandro Bonci, dessen Aufnahmen sich sehr gut verkauften, zeige ich eine besonders niedrige Nummer (Nr. 19, xxxPh 306). Die original dazugehörige Plattenhülle folgt weiter unten in diesem Thread. Ich habe auch die Nummer 12 dieser Aufnahme, welche merkwürdiger Weise mit einem anderen Stempel gepresst wurde.



Diese im Mai 1905 für die Societe Francaise Fonotipia in Paris entstandene Gesangsaufnahme im 35 cm Format erhielt eine Katalognummern aus einem eigenen Block, hier die 86001(mx. xxxPh 691). Das Duett von Georgette Bréjean-Silver und Emile Scaramberg ist für die Societa Italiana di Fonotipia auch als Kat.-Nr. 69020 herausgekommen.



Die zweite Pariser Aufnahme gibt es interessanter Weise sowohl mit Fonotipia-Label für die Societa Italiana di Fonotipia (Kat.-Nr. 69012), als auch mit der Katalognummer 86000 auf dem Odeon-Label der International Talking Machine Co. m. b. H., eine Soloaufnahme von Georgette Bréjean-Silver (xxxPh 657).



Die weiter oben abgebildete Alessandro Bonci Platte mit der aufgestempelten Nummer 19 habe ich, für mich völlig unerwartet, mit ihrer originalen Plattenhülle erhalten. Man kann sich vorstellen, dass diese übergroßen, dünnen Papierhüllen nur in den seltensten Fällen überlebt haben. Gibt es eine zweite in dieser Größe?



Was für die Hüllen gilt lässt sich so ähnlich auch auf die Platten übertragen. Besonders bruchgefährdet wegen ihrer Größe, schwer, unhandlich und auf den allermeisten Schrank- und Tischgrammophonen nicht abspielbar, war ihre Überlebensrate sehr gering. Es benötigte schon besondere Umstände, dass sie die Zeit überdauern konnten.

Der Amerikaner Harold Wayne, welcher zwischen Ende der 50er und Mitte der 70er Jahre die damals bedeutendste Privatsammlung früher klassischer Gesangsaufnahmen aufbaute, besuchte in den 60er Jahren mehrmals Commendatore Martinez in Rom, ebenfalls ein großer Plattensammler, und konnte von ihm unter anderem zwei einzigartige Fonotipia-Alben mit je sechs 35 cm Platten im Tausch erhalten.

Diese beiden Alben aus rotem Kunstleder wurden von der erst 1902 gegründeten Mailänder Buchbinderei Torriani & C. hergestellt. Der Aufdruck "Fonotipie" in schwungvoller Schrift überrascht. Vielleicht bedeutet er die Mehrzahl von "Fonotipia"? Ein Album des Commendatore konnte ich, samt komplettem Inhalt, für meine Sammlung bekommen. Auf der Rückseite des Albums ist das Fonotipia-Label eingeprägt, siehe zweite Abbildung.










[ Bearbeitet Mi Feb 02 2022, 11:26 ]
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alang
Fr Jul 10 2015, 14:45
⇒ Mitglied seit ⇐: Di Jun 12 2012, 19:52
Wohnort: Delaware, USA
Beiträge: 660
Wow! Vielen Dank fuer die interessanten Informationen und Bilder. Bisher habe ich nur ganz vereinzelt von Fonotopia Platten gehoert, niemals so viele Informationen und Bilder auf einmal. Gratulation zu dieser aussergewoehnlichen Sammlung, die Deinen exquisiten Grammophonen in nichts nachsteht.

Viele Gruesse
Andreas
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Musikmeister
Fr Jul 10 2015, 23:29
Autor
⇒ Mitglied seit ⇐: So Aug 21 2011, 21:23
Wohnort: Hamburg
Beiträge: 1096
Starkton schrieb ...

Nur die im Oktober 1904 aufgenommenen Katalognummern 69002, (und wahrscheinlich) 69003 und 69004 erschienen in ihrer Erstauflage mit dem frühen, gold-weißen Fonotipia-Label.


Vielen Dank für die schönen Bilder!
Ich habe nur 27cm-Platten und von den 35cm-Format habe ich noch nie was gehört.
Die Katalognummern 69003+4 sind ja von Giannina Russ besungen, von der ich aus der Zeit Oktober 1904 die mx. xPh37 als doppelseitige Pressung (mit xPh 373) von frühestens 1905 habe.

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Starkton
Sa Jul 11 2015, 11:16
⇒ Mitglied seit ⇐: Mi Okt 05 2011, 21:47
Wohnort: Berlin
Beiträge: 1881
Vielen Dank für die netten Kommentare. Sehr motivierend um sich aufzuraffen mal wieder einen ausführlichen Beitrag zu einem ungewöhnlichen Thema zu schreiben.

Was ich noch vergessen hatte: Für den polnischen Startenor Jean de Reszke wurden die Katalognummern 69000 und 69001 im 35 cm Format reserviert. Als er die beiden Titel im April 1905 in Paris endlich einsang konnte er sich jedoch nicht entschließen sie zur Veröffentlichung freizugeben. Diese legendären Aufnahmen, seit vielen Jahrzehnten intensiv gesucht, sind bisher nie aufgetaucht und müssen als verschollen gelten. Es gab einige Zeit das Gerücht ein Exemplar liege im Tresor eines ungenannten Sammlers. Diese Hoffnungen haben sich jedoch zerschlagen. Jean de Reskes Aufnahmen für Fonotipia sind und bleiben der Heilige Gral klassischer Gesangsaufnahmen.

Nur ein einziges Mal kam mir bisher eine 35 cm Testpressung von Fonotipia mit rosa Etikett unter. Leider war diese Platte schon jemand versprochen. Ich erfuhr Jahre später, dass es tatsächlich eine unveröffentlichte Aufnahme war, natürlich nicht von de Reszke.

Musikmeister schrieb ...

Die Katalognummern 69003+4 sind ja von Giannina Russ besungen, von der ich aus der Zeit Oktober 1904 die mx. xPh37 als doppelseitige Pressung (mit xPh 373) von frühestens 1905 habe.

Die Pressung der 27 cm Platte welche Du abgebildet hast ist ziemlich spät. Sicher nach 1910. Das Terzett auf 35 cm Platte mit Giannina Russ auf 69003 (mx. xxxPh 20) habe ich, siehe unten. Allerdings nur mit weiß-grünem Label, obwohl die aufgedruckte Nummer sehr niedrig ist. Schwer zu sagen ob es sie auch mit dem frühen, weiß-goldenen Label gab.

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Starkton
So Aug 02 2015, 10:59
⇒ Mitglied seit ⇐: Mi Okt 05 2011, 21:47
Wohnort: Berlin
Beiträge: 1881
Hier ist der erste Anzeige mit Hinweis auf die 35 cm Platte in der Phonographischen Zeitschrift vom 26. Juli 1905. Boncis Aufnahmen wurden am 20. Februar 1905 gemacht.

Im August 1905 habe ich im Konkurrenzblatt Die Sprechmaschine zuerst die offizielle Bezeichnung "Opernplatte" für das Riesenformat gelesen, im Unterschied zur 27 cm "Konzertplatte".


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