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Victoria-Phonograph Modell A (1899-1901); Breslauer Wassermesser- & Eisenbau-Werke, A.-G.
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DGAG
Mo Jul 15 2019, 20:12 Druck Ansicht

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Victoria-Phonograph Modell A (1899-1901); Breslauer Wassermesser- & Eisenbau-Werke, A.-G.



HERSTELLER: Breslauer Wassermesser- und Eisenbau-Werke, A.-G., Breslau-Carlowitz
MODELL: Victoria-Phonograph Modell A
SERIENNUMMER: M 594. Das "M" steht vielleicht für "Meinecke"
JAHR: 1900 (dieses Exemplar)
DAMALIGER PREIS: 150 Mark im Deutschen Reich; 452 Francs in Frankreich
GEHÃUSE: Eiche hell, Schellacküberzug. Großes, bannerförmiges Abziehbild "Victoria-Phonograph"
TRICHTER: Konischer Trichter mit kegelstumpfförmiger Öffnung (fehlt)
MOTOR: 1-Feder
SCHALLDOSE: Wiedergabeschalldose mit deutlichen Anleihen an Columbia Graphophone Schalldosen von 1894-1898

INTERESSANTE DETAILS:

  • Die Breslauer Wassermesser- und Eisenbau-Werke, A.-G., vormals H. Meinecke, Breslau-Carlowitz, meldete am 6. Dezember 1898 das Wortzeichen "Viktoria-Phonograph" für Phonographen und Phonograph-Automaten sowie Walzendosen an. In der Serie wurde das "k" in Viktoria gegen "c" ausgetauscht.

  • Am 31. Januar 1899 schlossen Heinrich Meinecke, die Breslauer Wassermesser- und Eisenbau-Werke, A.-G., die Gebrüder Stollwerck und die Deutsche Automaten Gesellschaft Stollwerck & Co. einen Vertrag zur Herstellung und zum Vertrieb von Victoria-Phonographen und -Walzen.

  • Als Herstellungspreis für den Phonographen wurden 67 Mark inkl. Zubehör und Verpackung vertraglich festgesetzt. Der weltweit gültige Mindest-Einzelverkaufspreis betrug 150 Mark. Den Gewinn teilten sich Meinecke, die Gebrüder Stollwerck sowie die Anteilseigner der Deutschen Edison-Phonographen-G. m. b. H., mit Ausnahme der Edison United Phonograph Co.

  • Zubehör: Aufnahme- und Wiedergabeschalldose, Ölkännchen, Trichter.

  • Dass an Stelle des üblichen Konus zwei auffällig profilierte Kegelstümpfe zum Aufschieben der Walzen dienen, macht diesen Phonographen ungewöhnlich und deshalb sehr begehrt bei Sammlern. Man könnte die im Durchmesser unterschiedlich großen Kegelstümpfe auf den ersten Blick für gleich große Zylinder halten, welche das Edison-Patent auf den Walzenkonus nicht verletzen würden. Das war vom Hersteller sicherlich so beabsichtigt.

  • Im Inneren des Deckels befindet sich ein aufgeklebter Kontrollzettel, der die technische Abnahme dieses Phonographen mit der Seriennummer M 594 am 12. Oktober 1900 dokumentiert. Prüfer und Unterzeichner war ein gewisser Hussareck. Dabei handelt es sich sehr wahrscheinlich um den Mechaniker Paul Hussareck, der laut Adressbuch von 1900 in Breslau wohnte.

  • Die Produktion von Victoria-Phonographen und -Walzen in Breslau-Carlowitz wurde spätestens im September 1901 aufgegeben.

  • Weltweit sind nur drei erhaltene Exemplare des Victoria-Phonographen Modell A nachgewiesen. Darunter die Seriennummer M 752, bei welcher das bannerförmige Abziehbild nicht auf der Vorderseite des Gehäuses, sondern am Deckel angebracht ist. Daneben gab es noch einen oder zwei Typen von Phonograph-Automaten sowie das kleinere Modell B, welches deutliche Anleihen am Columbia Graphophon Type Q von 1899 nimmt.



Der rote Pfeil markiert einen patentgeschützten Stift am oberen Rand der Schalldose, der in einer Kerbe am Schalldosenschlitten, nahe der Einstellschraube für das Abschabemesser, ruht.




Die dazugehörige Patentzeichnung, angemeldet am 21. August 1898.




Unterseite der Wiedergabeschalldose aus Hartgummi, welche große Ähnlichkeit mit Columbia Graphophone Modellen von 1894-1898 hat. Zur Erhöhung des Auflagegewichts - und damit der erzielten Lautstärke beim Abspielvorgang - ist auf der Oberseite der Schalldose, hier nicht sichtbar, eine Metallscheibe befestigt.




Zum Aufschieben der Walze auf zwei profilierte Kegelstümpfe - an Stelle des von Edison patentgeschützten Konus - muss ein Drehschenkel entriegelt und weit ausgeschwenkt werden.






Zwei Ansichten des mechanisch sehr stabilen Ein-Federmotors samt Getriebe und Drehzahlregler. Der Antriebsriemen aus Leder und die Kurbel zum Aufstecken fehlen.






Gehäusedeckel mit Handgriff und aufgeklebtem Kontrollzettel auf der Innenseite. Unterzeichner war am 12. Oktober 1900 sehr wahrscheinlich der Breslauer Mechaniker Paul Hussareck.

HISTORISCHER HINTERGRUND:

  • Ludwig Stollwerck, Leiter der Schokoladenfabrik Gebr. Stollwerck in Köln, beschäftigte sich seit 1891 intensiv mit Phonographen und Grammophonen, vor allem zum Einsatz in Verkaufsautomaten. Nach jahrelangen Vergleichen schien ihm der Edison-Phonograph am geeignetsten zu sein. Im November 1894 begann er Unterhandlungen mit der Edison United Phonograph Company in London, Besitzer aller 19 deutschen Patente für den Edison-Phonographen. Im Juni 1895 war man sich handelseinig geworden und Ludwig Stollwerck gelang es Investoren zur Gründung der Deutschen Edison-Phonographen-G. m. b. H., an der die Edison United beteiligt wurde, zu finden. Die im Oktober 1895 in Köln gegründete Gesellschaft sollte die deutschen Patente kaufen und ausbeuten.

  • Nach dem damaligen Patentrecht mussten im Deutschen Reich geschützte Waren auch dort produziert werden. Stollwerck kontaktierte daher im Juli 1895 die Firmen Sponholz & Wrede in Berlin und H. Meinecke o. H. G. in Breslau. Beide Firmen erhielten den Auftrag, Phonographen sowohl mit Elektromotor als auch mit Federmotor, zum Teil zum Einbau in Automaten, für die Deutsche Edison-Phonographen-G. m. b. H. herzustellen. Bis Anfang 1897 lieferten Sponholz & Wrede die vereinbarten 250 Stück, und H. Meinecke 500 Stück. Etwa die Hälfte davon waren Phonograph-Automaten, die zu mehreren in entsprechenden Lokalitäten aufgestellt wurden und gutes Geld verdienten. Das erwartete Geschäft mit Diktiergeräten als Ersatz für den Stenographen sowie Walzenspielern für die Familienunterhaltung zuhause musste jedoch scheitern, da die hohen Lizenzgebühren an die Edison United die Phonographen viel zu teuer machte. Gegen Billigimporte aus den USA, zunächst vor allem Graphophone, sowie deutsche Hersteller wie Wilhelm Bahre und Albert Költzow, die keine Lizenzgebühr zahlten, war zudem kein Kraut gewachsen.

  • Ludwig Stollwerck und Heinrich Meinecke sahen Ende 1897 nur den Ausweg, neu konstruierte Phonographen zu bauen, welche die Edison-Patente nicht verletzten um damit Lizenzansprüche der Edison United zu vermeiden. Stollwerck glaubte, im Gegensatz zu Meinecke, immer noch daran, dass man mit Federmotor-Phonographen der Mittelklasse (vgl. Edison "Home" oder Columbia Type N) zum Preis zwischen 150 und 200 Mark ein Geschäft machen könnte.

  • Meinecke versuchte in seinem Entwurf vor allem das Edison Patent auf den Walzenkonus zu umgehen. Im Patent Nr. 103101 für eine neuartige Walze mit Innenzylinder, angemeldet am 20. August 1898 für die Breslauer Wassermesser- und Eisenbau-Werke, A.-G., vormals H. Meinecke, ist eine Walzenbefestigung abgebildet die bei den später ausgeführten Phonographen nicht nachgewiesen ist. Das einen Tag später angemeldete - und diesmal in die Serie übernommene - Patent Nr. 109204 zeigte einen unscheinbaren Stift, der in einer Kerbe am Schalldosenschlitten ruhte und das seitliche Spiel der Schalldose einschränkte. Weitere zeitgleiche, bzw. einige Monate später eingereichte, Patente und Gebrauchsmuster schützten den Schliff der Saphirspitze der Aufnahmeschalldose sowie verschiedene Konstruktionsdetails an Victoria-Phonograph-Automaten.


[ Bearbeitet Di Jul 16 2019, 12:22 ]
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alang
Di Jul 16 2019, 18:25
⇒ Mitglied seit ⇐: Di Jun 12 2012, 19:52
Wohnort: Delaware, USA
Beiträge: 657
Toll! Vielen Dank fuer die Vorstellung dieses ungewoehnlichen und raren Phonographen. Und, wie gewohnt von Dir, mit ausfuerlichen Hintergrundinformationen. Ein weiteres Highlight in Deiner aussergewoehnlichen Sammlung.

Viele Gruesse
Andreas
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-Juergen-
Di Jul 16 2019, 19:14
⇒ Mitglied seit ⇐: Di Dez 25 2018, 08:26
Wohnort: Rhein-Main
Beiträge: 213
Nach dem Urlaub war ich schon gespannt was Neues im Forum gibt. Sensationeller Phonograph danke für die ausführliche Beschreibung und Bebilderung. Gratuliere zu dem Stück!

Soweit mir bekannt hat dieser Hersteller lediglich 3 oder 4 Modelle an den Markt gebracht und nur wenige Exemplare haben es in Neuzeit geschafft.
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DGAG
Di Jul 16 2019, 23:01

⇒ Mitglied seit ⇐: So Dez 31 2017, 12:30
Wohnort: Berlin
Beiträge: 648
Danke für die netten Worte. Ich habe mich sehr gefreut gerade diesen Phonographen bekommen zu können, denn über kein anderes frühes deutsches Gerät gelang es mir schon vor Jahren so viele (Hintergrund-)Informationen zusammenzutragen. Nur einen Teil davon habe ich hier bisher vorgestellt. Absolut ungewöhnlich ist auch die dazu gehörende Victoria-Walzendose, die ich in einem anderen Thread zeige.

Hier ist ergänzend eine Anzeigen aus der Zeitschrift Jugend (5. Jg., Nr. 2, München und Leipzig, 8. Januar 1900, S. 37)




[ Bearbeitet Do Jul 18 2019, 16:49 ]
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veritas
Di Jul 23 2019, 12:52
⇒ Mitglied seit ⇐: Do Jun 28 2012, 17:52
Wohnort: Allgäuer Provinzpampa
Beiträge: 544
Ein außergewöhnliches Gerät, sehr schön, daß die originale Schalldose dabei ist. Bei den meisten Geräten fehlen diese und Ersatz ist dann nie zu bekommen.
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Webseite
Schellack
Mi Nov 25 2020, 17:22
⇒ Mitglied seit ⇐: Mi Feb 29 2012, 18:09
Beiträge: 118
Hallo allerseits,

nachdem von DGAG vor ein paar Wochen die zu diesem Hersteller passende Walzendose vorgestellt worden war, habe ich mir auch mal diesen Beitrag über das Modell A angesehen und mir ist dabei aufgefallen, dass ich dieses Modell schon einmal bei einem mit mir befreundeten Sammler gesehen habe. Ich konnte nun einmal diesen wieder besuchen und habe mich nicht geirrt, es ist tatsächlich dasselbe Modell.

Es sind sowohl die Kurbel, als auch der Deckel vorhanden, die Schalldose fehlt leider. Auch bin ich mir nicht sicher, ob der Trichter wirklich zu diesem Gerät gehört, er sitzt meiner Meinung nach etwas locker auf dem Stutzen. Auf den Fotos sieht er etwas größer aus, als er eigentlich ist. Das hier vorliegende Modell trägt die Nummer "M 1038" und sollte demnach ein recht spätes Exemplar sein. Etwas merkwürdig ist allerdings eine am Deckel angebrachte Herstellerplakette. Bislang ist der Name "Albert Költzow" aus Berlin mir nur als Hersteller der Lyrophon / Puck Phonographen bekannt. Aber es scheint ja eine Verbindung über die Gebrüder Stollwerck zu geben. Eventuell wurde die Plakette auch einfach zu einem viel späteren Zeitpunkt von einem geschäftstüchtigen Antikhändler ergänzt und hat auf diesem Gerät nichts zu suchen. Weiß da jemand mehr drüber?

LG. Schellack













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DGAG
Mi Nov 25 2020, 19:31

⇒ Mitglied seit ⇐: So Dez 31 2017, 12:30
Wohnort: Berlin
Beiträge: 648
Vielen Dank für die Vorstellung eines weiteren Exemplars des Victoria-Phonograph Modell A. Wunderbar, dass das Gehäuse samt Aufkleber in so gutem Zustand, und auch die originale Kurbel dabei ist.

Das Händlerschild von Albert Költzow finde ich an dieser Stelle faszinierend und ganz erstaunlich. Es gibt allerdings eine plausible Erklärung dafür. Im September 1901 verkaufte die Aktien-Gesellschaft vorm. H. Meinecke, Breslau – Carlowitz, ihren gesamten Lagerbestand an Phonographen wegen Aufgabe der Produktion.


Quelle: Phonographische Zeitschrift, Berlin, 2. Jahrgang, No. 20, 25. September 1901, S. 241

Die hohe Seriennummer "M 1038" macht es durchaus möglich, dass es sich um eines der letzten produzierten Geräte handelt. Albert Költzow könnte sich aus dem Räumungsverkauf günstig eingedeckt und diesen Victoria-Phonograph unter eigenem Namen weiterverkauft haben. Weißt Du ob auf der Deckelinnenseite noch der Kontrollzettel klebt? Wenn ja, hätte man ein Produktionsdatum. Wenn nein, könnte es darauf hinweisen, dass Költzow den Hinweis auf Breslau getilgt hat.

Wenn es so stimmt wie ich vermute, muss es für Költzow eine besondere Befriedigung gewesen sein, die unter der Lizenz seines Erzfeinds hergestellten Phonographen unter eigenem Namen zu verkaufen und dabei noch etwas zu verdienen. Umgekehrt wäre es, neben dem hohen wirtschaftlichen Verlust seiner Sprechmaschinen-Unternehmung seit 1895, eine große Schmach für Ludwig Stollwerck gewesen.

Der Trichter ist sehr wahrscheinlich nicht original. Könnte ein Columbia-Trichter sein.

PS: Hat Dein Sammlerkollege auch Victoria-Walzen?

[ Bearbeitet Mi Nov 25 2020, 19:37 ]
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Schellack
Mi Nov 25 2020, 21:23
⇒ Mitglied seit ⇐: Mi Feb 29 2012, 18:09
Beiträge: 118
Hallo,

und danke für die Aufklärung. An etwas ähnliches wie eine Übernahme alter Produktionsbestände habe ich auch gedacht, aber mangels Belege nicht extra hier geschrieben. Soweit ich dies gesehen habe, befindet sich kein Zettel im Gehäusedeckel. Auch konnte ich keine Reste eines solchen entdecken, muss aber dazu sagen, dass die Fotos recht kurzfristig entstanden sind (deshalb auch der durch Verzerrung entstandene übergroße Trichter). Eventuell könnte ich beim nächsten Besuch mal die Bodenplatte abschrauben und nachsehen, ob sich dort etwas beim Motor finden lässt. Bei der Walzensammlung meines Freundes habe ich nur grob nachgesehen, konnte aber zumindest auf dem ersten Blick keine der markanten eckigen Schachteln erkennen. Beim Trichter habe ich auch erst an einen von Pathé gedacht, muss aber gestehen, dass ich da nicht so viel Erfahrung habe. Die Sammlung ist sehr umfangreich und über Jahrzehnte gewachsen, da sind leider manchmal ein paar Trichter untereinander vertauscht worden. Ich bemühe mich gerade, zu einigen interessanten Geräten mehr heraus zu finden und habe vor, in Zukunft das ein oder andere Gerät hier mal vorzustellen.

LG.
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