Fuchstänze und Negerpfeifen
1921-1923: Lärm, Krach und Shimmy
Die eigentliche Sensation der Jazzkapelle ist das ungewohnte Kombinations-Schlagzeug (Drumset), eine große Jux-Maschine. Der Schlagzeuger hat zirkusgerecht für Lärm zu sorgen – nicht nur an Trommeln und Becken, sondern auch mit Topfdeckeln, Quirlen, Reibeisen, Autohupen, Kuhglocken, Ratschen, Signalpfeifen, Sirenen, Rasseln, Knarren, Pistolen, Kindertröten, Lotosflöten, Torpedopfeifen, Megaphon, Sazzafon, Flexaton, Klingeln, Kastagnetten, Motoren, Eisenstangen und Schellenbäumen. Als ausgemachter Exzentrik-Clown muss er außerdem singen, tanzen und jonglieren, Kopfstände machen, Klamauk-Einlagen geben, Gegenstände ins Publikum werfen, komische Hüte aufsetzen und überhaupt für Stimmung sorgen. Eine herausragende Jazz-Formation besitzt gleich mehrere Exzentriker: Der Pianist kann ja mit einer Hand noch Trompete spielen.
Viele meinen, der Schlagzeuger und sein Krach-Instrument seien der eigentliche „Jazz“ (Jezz, Jass, Jatz, Yazz). Das Schlagzeug heißt daher häufig Jazz oder Jazzband, Jazz-Schlagmaschine oder Jazz-Apparat, aber auch Trapp-Drumm, Drap-Trumm, Trapp-Trommel. Der Schlagzeuger firmiert als Jazzer oder Jazz-Bänder, Jazz-Trappdrummer, Drap Drummer-Kanone oder prima Jazzband-Schlager (oder -Schläger). Selbst Gottfried Benn dichtet souverän: „Was zischen Jazz und die Banden“. Die Jazz-Schläger sind bevorzugt schwarz oder zumindest „original amerikanisch“ wie Harry Johnson, der „beste deutsche Trapp-Drummer“ von 1921. Typische Angebote der Kapellen lauten: „Schlagzeugbedienung: Neger“, „Violine, Banjo, Klavier, Cello und Jazz (Neger)“ oder „Neger prima Stimmungsmacher“. Alle glauben der Legende, dass das Wort „Jazz“ auf einen gewissen Jasbo Brown zurückgehe, der 1915 in Chicago als Alleinunterhalter gewirkt und sich dank der vielen spendierten Drinks zu clownesker Exzentrik gesteigert haben soll. Es ist die beliebteste Jazz-Theorie der 20er-Jahre.
Seit Kriegsende jagt ein Modetanz den anderen: Turkey-trot, Fishwalk, Castle-walk, Yazz-step, später Charleston, Black Bottom – alle auf Foxtrot-Basis. Professionelle Tänzer (vor allem in Berlin) sorgen dafür, dass es in jeder Saison einen neuen Tanz gibt und der vom Vorjahr ganz unmöglich ist. Der Saisontanz von 1921/22 ist der Shimmy, bei dem man sich bewegt, als werde man von elektrischen Schlägen getroffen oder wolle sein nasses Hemd abschütteln. „War der Foxtrott eine Krankheit, so ist Jazz und Shimmy eine Epidemie“, heißt es im Vorwort des Buches „Jazz und Shimmy“ (Berlin 1921), für das auch Kurt Tucholsky einen Beitrag schreibt. Manche fordern vehement „polizeiliche Maßnahmen“ gegen solche Auswüchse des Tanzsports. Aber sogar Paul Hindemith komponiert einen „Shimmy“ – für seine Klaviersuite „1922“.
Eric Concerto's Yankee Jazz-Band - Everybody Shimmies Now
Januar 1921
Mai 1921
Juli 1921
November 1922
Dezember 1922
Für die Unterhaltungskapellen führt kein Weg mehr am Jazz vorbei. Auch „erstklassigste Salon-Quartette“ haben nun immer ein „Jazz-Band“ dabei und bieten auf Nachfrage wilde Jazz-Einlagen. So entstehen höchst einfallsreiche Stil-Mischungen: Die Union Jazz-Band aus Karlsruhe besteht aus einem Klavier spielenden Stimmungssänger, einem Tisch- und Schmusgeiger und einem Trapp-Drummer, der „eine Kanone für sich“ ist. Geiger lernen Saxophon, Trommler können auch Flöte, Bassisten Trapp-Drumm. Es gibt Balalaika-Orchester mit Jazz-Band, eine „Ungarische Jazz-Stimmungs-Kapelle“ und die „erste springende Original Jazz-Band“. Deutschland wimmelt von „Original Americ“ oder „Original Amerikan“ Jazz-Formationen.
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