Fuchstänze und Negerpfeifen




1925-1929 – Etablierung und Niedergang


The Excellos Five-Jazz-Band - Blue Evening, Blues
Dezember 1925



Jack Humphrey's London-Band - Sugarfoot Stomp
Oktober 1925



Wenskat Orchester - MILENBERG JOYS
August 1926



Das Unbegreifliche geschieht: Jazz wird seriös. Vorbei sind die Jahre des Radaus, der Disziplinlosigkeit und der wilden Improvisation. Der neue König des Jazz heißt Paul Whiteman: Er bezahlt seinen Musikern 1600 Dollar im Monat und wird von US-Studenten zum größten Musiker aller Zeiten gewählt – vor Beethoven. Drei ausverkaufte Konzerte im Großen Schauspielhaus Berlin überzeugen den deutschen Bildungsbürger von der Würde des neuen, wahren, „sinfonischen Jazz“; nur die Verjazzung von Liszt und Wagner nimmt man Whiteman übel. Flugs entstehen in Deutschland jede Menge Jazzsymphonien und Jazzsymphonie-Orchester mit bis zu 20 Musikern. Mitja Nikisch, Sohn des Dirigenten Arthur Nikisch, wird zum „deutschen Whiteman“.

Mitja Nikisch - 1929 - ziki paki ziki puh








Auch andere große Jazzmusiker kommen gerne nach Deutschland, denn hier gibt es keine Prohibition. Der schwarze Trompeter Arthur Briggs nimmt eine Werbeschallplatte auf: „Eggü ist das Schuhputz-Ideal“. Sidney Bechet wirkt in einem Ufa-Film mit, das Jazzstück heißt: „Ich lasse meinen Körper schwarz bepinseln“(1930). Die Band von Sam Wooding spielt im Berliner Admirals-Palast Jazz-Versionen von „O du lieber Augustin“ und „Die Wacht am Rhein“. Bei Woodings Studioaufnahmen stellt man die lautesten Instrumente in den Treppenflur und lässt die Studiotür offen. Deutsche Jazzmusiker haben gut aufgepasst: Die Band von Julian Fuhs beherrscht bereits Slaptongue, Wah-Wah- und Doo-Wacka-Doo-Effekte. Die einheimischen Weintraub Syncopators und Comedian Harmonists sorgen für Aufsehen. Immer mehr Schallplatten-Matrizen werden nach Deutschland lizenziert, die Electrola und die deutsche Brunswick gegründet. Von 1925 bis 1929 werden in Deutschland 1,5 Millionen Grammophone gekauft. Der Saisonschlager von 1926 heißt „Der Neger hat sein Kind gebissen.“



Stockholm Stomp 1926 - Julian Fuhs' Follies Band


Der konzertante, sinfonische Jazz kommt den Musikern der Kombinations-Kapellen entgegen. Nun darf man seriös diskutieren: Ist das Saxophon das passende Jazz-Instrument für den Primgeiger? Oder doch eher das Banjo? Es gibt Jazz-Komödien, ein Jazzkonzert für 100 Flügel, ein Jazz-Fremdwörterbuch, einen Jazz-Eintrag im Neuen Musiklexikon und eine Jazzklasse am Hochschen Konservatorium. René Schickele und Hans Janowitz schreiben Jazz-Romane, Ernst Krenek eine Jazzoper, Alfred Baresel ein praxisnahes „Jazzbuch“, das in drei Jahren eine Auflage von 10.000 Stück erreicht. Die Musikwissenschaft vergleicht den Jazz nun mit der Cantus-firmus-Kunst und den Improvisations- und Verzierungstechniken des 16. bis 18. Jahrhunderts. Jazzmusiker liefern neuerdings „höchstkünstlerische Spitzenleistungen“, sogar Schlagzeuger werden „dezent“ und „vornehm“ und beweisen unerwartet einen „verträglichen Charakter“.

"Rhapsody in Blue" 1927 - Julian Fuhs
Fuhs war der erste der 1927 dieses Stück nach
Paul Whiteman für Europa aufnahm




In seinem Buch „Jazz. Eine musikalische Zeitfrage“ (1927) entwickelt Paul Bernhard mit deutschem Tiefsinn die Philosophie des Jazz. Er definiert den Step als „die in der Benutzung der Beine zum Schreiten bewusst gewordene Zeit“ und erklärt die „Willensfundamente der Blasinstrumente“. Die Wiederkehr des Rhythmus sieht der Autor im Zusammenhang mit der Emanzipation der Frau, denn mit Frauen kennt er sich aus: „Der gestaltende Rhythmus ist der Frau auf tragische Weise versagt.“ Außerdem weiß er alles über den Blues, der mit dem deutschen Ausdruck „blau machen“ verwandt sei. Kongenial bringt er Blues-Texte ins Deutsche: „Jeden Abend Sonn’ geht heim. Häng’ ich’s Haupt und wein’. Hätt’ ich Flügel wie Noahs Taub’, flög’ ich in’ Himmel rein.“

In der zweiten Hälfte der 20er-Jahre wird der böse Unterton der Jazzgegner lauter. Von Jazz-Fäulnis und dem „Dreckbazillus Jazz“ ist die Rede. Josephine Bakers „Revue Nègre“ von 1926 wird als „verjudete Niggerschau“ beschimpft. Der Komponist Hans Pfitzner wettert gegen „Verwesung“ und „musikalische Impotenz“: Jazz bedeute „Niedrigkeit“ und sei als Kunstgattung „ohne Seele, ohne Tiefe und Gehalt, fern vom Bereich des Schönen, uns wesensfremd.“ Man polemisiert gegen Saxophone („Negerpfeife“) und gestopfte Trompeten („niedrigste Instinkte“). 1929 fordert die Deutsche Tonkünstler-Zeitung allen Ernstes ein „Verbot der Saxophone“, der Deutsche Frauenkampfbund sogar ein „Verbot von Saxophonen und Negertänzen“. Ein Jahr später sitzen bereits 107 Nazi-Abgeordnete im Reichstag. Für Thüringen wird ein Jazzverbot erlassen. Das ist – 1930 – der Anfang vom Ende des Jazzlands Deutschland. Fünf Jahre später verkündet der Reichssendeleiter ein generelles Rundfunkverbot für „Niggerjazz".

© Hans-Jürgen Schaal HJS Jazz Link - Hier klicken
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