Die ersten Jazz Bands... mit Pauken und Banjo

BARN DANCE
„Berolina“ Jazz-band-Kapelle
Odeon AA57858
Mx.-No.: xxBo 7304
Berlin, c. Mai 1921



.97

Vielen Dank an unser Mitglied Stompy für diese Aufnahme!



Zwar fand der gewillte Plattenkäufer schon ab 1919 Aufnahmen deutscher Orchester auf denen stolz das Wort Jazz prangte - jedoch handelte es sich hierbei um Ragtime Aufnahmen in üblicher Salon, bzw. Tanz Orchester Besetzung.
Auch hatte man von dem eigentlichen Musikstil noch nicht die leiseste Vorstellung, 1919 wurde Jazz als ein neuer Tanzstil verstanden ähnlich dem One- oder Two-Step. Mehr dazu Link - Hier klicken

Bedingt durch Devisenbeschränkungen erreichten auch nach 1920 noch keine amerikanischen Jazz Platten den deutschen Markt, weiterhin fehlten die "echten" Vorbilder.
Anfang 1921 erschienen die ersten, deutschen Bands die sich stolz Jazz-Band, Jazz-Kapelle oder Jazz-Band Kapelle nannten.
Wie auch die obige Aufnahme der „Berolina“ Jazz-band-Kapelle (von der nicht mehr überliefert ist welche Musiker mitwirkten) hatten diese frühen deutschen Jazz Kapellen um 1921/22 jedoch eine sehr abweichende Besetzung zu den späteren Jazz Bands: Es dominierte Geige, Banjo sowie häufig ein recht überbetontes Schlagwerk.

Worin fanden nun aber die frühen, deutschen Jazzer ihre Vorbilder?
Werfen wir hierfür mal nicht einen Blick über den großen Teich, sondern nur über den Kanal nach England.
Dort hörte man 1918 u.a. Dan & Harvey´s Jazz Band in einer sehr ähnlichen Besetzung:


ALLAH´S HOLLIDAY
Dan Harvey´s Jazz Band
London, Dezember 1918
Columbia 749/76336-1


? - Geige, Dan Kildare - Klavier, ? - Banjo, Harvey White - Schlagzeug

Dieses Ensemble war allerdings auch nicht englischen Ursprung.
Dan Kildare nahm schon im September 1917 in England mit dem Ciro´s Coon Club Orchestra eine frühe Version des St. Louis Blues auf.


Ciro´s Coon Club Orchestra

Vance Lowry, Ferdinand Allen - Banjo, Walter Kildare - Cello, Dan Kildare - Klavier, Summer Edwards - Bass, Louis Mitchell - Schlagzeug

Die Musiker um Kildare enstammten alle dem Clef Club in New York, einer Musikservereinigung zur Förderung Afroamerikanischer Künstler unter Obhut des (Ragtime)Musiker James Reese Europe Link - Hier klicken.
Diese Vereinigung schickte ab 1914 regelmäßig farbige Künstler nach Europa, bzw. England. (James Europe war mit einer großen Militärkapelle bis 1919 in Frankreich stationiert).

Warum sich frühe deutsche Jazz Kapellen gerade diese Orchester, bzw. Besetzung zum Vorbild genommen haben wird wohl im Nebel der Geschichte versunken bleiben.
Möglicherweise gelangten Aufnahmen des Ciro´s Coon Club Orchestra oder Dan Harvey´s Jazz Band in geringen Stückzahlen nach Deutschland.

Eine weitere Band der Clef Club Organisation in England waren The Versatile Four die 1916 für die HMV in England Platten einspielten.
Wir wollen sie hier einer der ersten, deutschen Jazz Kapellen - den Piccadilly Four zur Seite stellen:

DOWN HOME RAG
The Versatile Four
London, Februar 1916
HMV C-654




THE JAZZ BAND
Berlin, c. Mai 1921




.



Die stilistische Verwandtschaft ist hier unverkennbar.

Die genaue Besetzung dieser ersten deutschen Jazz Band ist unbekannt. Horst Lange gibt zwar an:

PICCADILLY FOUR
auch als Piccadilly Jazzband und Original Piccadilly Four.
Sascha Dickstein und/oder Arno Lewitsch (vln) Fred Ross (p) Hans Savage oder Mike Ortuso (bj) Erich Giese (d)

diese Besetzung ist aber zweifelhaft und wird von Hr. Rainer Lotz nicht bestätigt.
Die Piccadilly Four spielte ab Februar 1921 für die Homokord 21 Titel ein. Weitere Aufnahmen entstanden für Anker-Records und Stradivari-Record.
In der ersten Hälfte 1921 trat die Kapelle im Berliner Scala-Palast auf, eine Nachrichtenagentur schrieb:

"Die (Platten)Aufnahmen sind technisch hervorragend gelungen und werden in Berlin rasend verkauft.
Wie man als gesunder Mensch allerdings an dieser Nigger-Instrumenten-Klopferei gefallen finden kann ist rätselhaft.
Während die Homokord mit wundervoller deutscher Musik und in blendender technischer Ausführung kaum Käufer finden, ist die Fabrik kaum imstande, der Nachfrage nach "Jazz-Platten" zu genügen. Auch ein Zeichen der Zeit"


____________



Eine weitere Kapelle die in diesem Idiom spielte war die Fred Ross Jazz Band


.
2. Juli 1921
Die Melodie im Refrain stammt aus "Alabama Jubilee"

.


Fred Ross wurde 1883 als Erwin Rosenthal geboren. 1913 ging er in die USA um Verwandte zu besuchen. Unter verschiedenen Jobs arbeitete Rosenthal auch als Kellner in einem Tanzlokal. Hier soll er auch kurzfristig für den erkrankten Pianisten eingesprungen sein.
Zurück in Deutschland nannte er sich Fred Ross.
Unter diesem Namen trat er 1921 im Berliner Palais Heinroth mit seiner "Jazz Band" auf.

FRED ROSS

Fred Ross Jazz-Band : Möglicherweise: Fred Ross (p,ldr). Fritz Pallmann (tp) Kurt Arlt (cl,as) Arno Lewitsch (vln) Sascha Lumm (bj) Ernst Weiland ? (d)
Berlin, 2. Juli 1921
31085 Ohio-trick-trot Beka B3204
31086 Wondering -
31087 Watch your step B3205
31088 Carmencita -
31089 Tackin' en down B3206
31090 Ja-da -

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Auch der junge Robert Gaden hinterließ Ende 1922 Einspielungen mit seiner Diamond King's Jazz Band die sich an dieser Besetzung, bzw. Spielweise orientieren.


LEAVE ME WITH A SMILE
The Diamond King's Jazz Band -
November 1922



Ob Gaden an dieser Aufnahmesitzung selber mitwirkte, ist uns nicht bekannt. Es findet sich diese Besetzungsangabe:

Henrik Clausen - Geige, Gaetano Galdi - Posaune (bei dieser Aufnahme jedoch nicht zu hören), Grelk Hansen - Klavier, Robert Radford - Banjo, Senior Skalka - Bass, Alfred Danielsen - Schlagzeug
Berlin, November 1922
Kentucky Blues Parlophon 1412
Leave Me With A Smile -
Whose Baby Are You Parlophon 1414

Robert Gaden leitete ab 1920 das Orchester im alten Boston-Klub, Berlin.
Für ein Engagement im Mercedes-Palast stand er dann der Diamond King's Jazz Band vor.
Trotz dieses kleinen Ausfluges in die "Jazz-Welt" blieb Gaden den Rest seiner langen Laufbahn mehr der anspruchsvollen Unterhaltungsmusik treu.

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Auf Gaden folgte im Boston-Klub ein junger Bernard Etté. Anscheinend hörte er sich die Aufnahmen seines Vorgängers mit der Diamond King's Jazz Band gut an. So unterscheiden sich stilistisch die ersten Aufnahmen Ette´s doch stark von seinen späteren Platten.

IM HOTEL ZUR GRÃœNEN WIESE
Jazz-Band-Kapelle, Kapellmeister Bernard Etté vom Alten Boston-Club, Berlin
Star Record 5860
Berlin, ca. Ende 1922 oder Anfang 1923



.93


Bezüglich des Alten Boston-Club findet sich auch Link - Hier klicken etwas.

Auch bei der nächsten Aufnahme gilt das Motto: Banjo muss sein und Lärm machen soll es auch...
Man könnte fast meinen der "Trommler" sitzt im Aufnahmetrichter.

DO YOU EVER THINK OF ME?
Tanzorchester vom Pavillon Mascotte
Kapellmeister Max de Groot
c. 1921/1922



Polyphon 30912 (Mx.-No.: 600at)

.99


Wie sich unschwer hören lässt - die "echten" Vorbilder des Jazz aus den USA fehlen. Die Kapelle spielt wohl eher ihre eigene Vorstellung von dem was Jazz sein könnte.

Max de Groot (genaue Lebensdaten liegen uns nicht vor) war einer der vielen Musiker die zunächst als ernsthafte Konzertmusiker begannen, dann aber (wohl auch aus wirtschaftlichen Gründen) als Kapellmeister in der Unterhaltungsmusik strandeten.
Mehr zu Max de Groot bitte Link - Hier klicken

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Auch in den USA und England kristallisierte sich erst ab c. 1921/22 eine "Standard-Besetzung" für Jazz Kapellen/Orchester heraus.
In Deutschland finden sich auch ab c. 1923 in Jazz orientierten Aufnahmen die üblichen Besetzungen eines erweiterten Salonorchesters bei der die Führung von den Blechbläsern übernommen wird.
Bei späteren, deutschen Jazz-Kapellen treten Banjo und Schlagzeug dann wieder deutlich in den Hintergrund.

Es ist jedenfalls recht erstaunlich, wenn sich die ersten "Yazz-Bands" in Deutschland gerade die vom Banjo dominierten Aufnahmen farbiger Bands um den Clef Club zum Vorbild nahmen.

Wir würden uns freuen wenn sich im laufe der Zeit noch weitere (Schrift/Bild) Dokumente zu der Deutschen Jazzgeschichte um 1920/22 einfinden würden.

Aus der Sammlung unseres Mitgliedes Musikmeister:




Mehr zu dem Tanz Jazz Link - Hier klicken

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