Jazz im "Dritten Reich" - Mythen und Fakten

Jazz im "Dritten Reich" - Mythen und Fakten

Daß es "dem Jazz" in der Zeit von 1933 bis 1945 nicht leicht gemacht wurde und dieser eine unerwünschte Musikart darstellte, ist unbestritten. Keinesfalls sollen Verfolgungen und Verbrechen an Kunstschaffenden durch die Nationalsozialisten relativiert werden. Leider haben sich jedoch in der Literatur und daraus folgend in den Köpfen, einige Mythen über Jazz und Swing unter den Nationalsozialisten festgesetzt, welche jedoch nicht den Fakten entsprechen. So gab es zum Beispiel zu keinem Zeitpunkt ein generelles "Jazzverbot"! Bevor wir einige "Halbwahrheiten" genauer betrachten, lassen wir zunächst ein zeitgenössisches Dokument sprechen:


Aus der Zeitschrift Die Musik, "Musik, die wir nicht wünschen", Ernst Schliepe, 1939

"Ein Kapitel für sich bildet die Jazzmusik.
Wer da meint, sie wäre im Deutschen Reich nicht mehr vorhanden, irrt sich.
Vor einigen Jahren hat man so etwas wie eine Reinigung der Tanzmusik von allen Art- und kulturfremden Elementen versucht, ohne auf die rhythmischen Eigenheiten des modernen Tanzes zu verzichten.
Dieser so "gereinigte Jazz" ist auch heute noch im Schwange, aber nur offiziell. Wer dagegen Gelegenheit nehmen konnte, Tanzdielen und andere Vergnügungsstätten in mondänen Badeorten zu besuchen, der muß sich eines anderen belehren lassen.
Was dort an Tanzmusik produziert wurde, unterschied sich in gar nichts von dem Stil jener Erzeugnisse der früheren Zeit, die längst verfemt sind...

Das Tollste ist nämlich, daß diese Jazzschlager nicht nur von ausländischen Firmen, Schallplatten und im Notendruck in Deutschland abgesetzt werden, sondern daß sofort auch deutsche Firmen diese Schlager herausbringen und daß deutsche Tanzkapellen dabei die amerikanischen nachahmen und sie womöglich noch zu übertrumpfen suchen (was allerdings nur selten gelingt).
Aber selbst wenn gewisse Jazztänze in Deutschland käuflich nicht zu haben sind, werden (sie) von den Kapellen doch gespielt, und zwar aus (vorher abgehörten und) geschriebenen Noten."


__________________________ Geschichten und Fakten __________________________

1.

Jazz war im Dritten Reich verboten


Nein!
Zwar standen die Nationalsozialisten dem Jazz sehr ablehnend gegenüber - er war eine unerwünschte Musik - jedoch gab es nie ein landesweites Jazzverbot. Das Hören von Jazz stand nicht unter Strafe


2.


Vor Tanzlokalen hing ein Schild "Swing tanzen verboten - Reichskulturkammer"



Dies ist falsch!
Dieses Schild hat es in den 30er Jahren nie gegeben. Es ist eine freie Erfindung eines Grafikbüros aus den 70er Jahren für eine Schallplattenfirma.
Es gab in Deutschland kein generelles Swingtanz-Verbot von der Reichskulturkammer.

3.

Deutsche Swing- und Jazzfans waren quasi abgeschnitten von amerikanischen und englischen Jazzaufnahmen. Diese zu besitzen stand unter schwerer Strafe.

Falsch!
Erst mit Beginn des zweiten Weltkrieges kam es zu Einschränkungen. Dies erschwerte es dem deutschen Jazzfreund, sich Platten amerikanischer Jazzbands zu beschaffen.
Der Besitz und das Hören standen nie unter Strafe.
Zwar wurde 1935 für den Rundfunk ein "Jazzverbot ausgesprochen - Jazz gab es aber trotzdem zu hören.

4.

Während der Olympiade 1936 kam es zu Lockerungen, um sich gegenüber den Besuchern weltoffen zu zeigen. Dem Schweizer Orchester Teddy Stauffer wurde es deswegen erlaubt, in Berlin amerikanischen Swing und Jazz zu spielen.


Falsch!
Im Jahr 1936 gab es quasi noch keine Einschränkungen. Somit war eine Lockerung nicht nötig. Es gab keinen "Olympia-Bonus" für Swing- und Jazz Orchester

Zusammenstellung von Brunswick-Werbung bei Grammophon August 36 - Dezember 37:


5.

Der deutsche Rundfunkhörer nach 1933 konnte nur Musik im Sinne der RMK (Reichsmusikkammer) hören.


Falsch!
Zwar gab es 1935 für den deutschen (gleichgeschalteten) Rundfunk ein Jazzverbot, bis Kriegsausbruch konnte man aber auch mit einfachen Empfängern (auch dem Volksempfänger!) viele europäischen Sender mit Jazzprogrammen hören. Erst nach 1939 stand dies unter Strafe.

6.
Die deutsche Kulturpolitik nach 1933 war deutsch-fixiert und ausländerfeindlich.


Bedingt.
Zwar wurden immer häufiger unerwünschte Personen mit Auftrittsverboten belegt (z.B. der Orchesterleiter James Kok), die Film- und Musikszene war jedoch bis weit in den Krieg international.




Verbote, Erlasse usw.


1930
April 1930 Erlass „Wider die Negerkultur für deutsches Volkstum“(Thüringen)

1933
07.03.1933 Berliner Funkstunde verbietet den „Niggerjazz“; nur noch „melodiöser Jazz“ soll im Rundfunk erlaubt sein
August 1933 moderne Tänze und Schlager in Jugendherbergen verboten

1935
31.03.1935 Auftrittsverbot (Berufsverbot) für jüdische Musiker und Künstler
12.10.1935 Verbot des „Niggerjazz“ im gesamten Rundfunk
Prüfungsausschuss für Tanzmusik eingerichtet: Stege, Stumme, Ihlert, Stech

1937
17.12.1937 Musik jüdischer Komponisten oder Interpreten auf Schallplatte ist
verboten
18.12.1937 Anordnung über unerwünschte und schädliche Musik von der RMK
erlassen, alle ausländische Musik ist vor dem Verlag oder Vertrieb in Deutschland
der Musikprüfstelle im RMVP vorzulegen

1938
01.02.1938 Anordnung über unerwünschte und schädliche Musik tritt in Kraft
01.04.1938 "Nichtarier"-Verbot in Kunst und Musik
01.06.1938 Swingtanzverbot in Freiburg
12.11.1938: Juden ist der Besuch öffentlicher kultureller Veranstaltung verboten
November 1938: Swingverbot in Pommern (gilt ab 01.01.1939)
November 1938: Stuttgarter Vergnügungsgewerbe fordert zum Verbot des
Swingtanzes auf
Dezember 1938: Swingtanzverbote in Franken, Thüringen und Württemberg-
Hohenzollern

1939
29.03.1939 Anordnung zum Schutze musikalischen Kulturgutes: Listenregelung
für unerwünschte und schädliche Musik, tritt am 15.04.1939 in Kraft
13.05.1939 „Bekanntmachung über Entartung im Tanzwesen”
01.08.1939 Spielen „jüdischer“ Tanzmusik gibt Berufsverbot
04.09.1939 „öffentliche Tanzlustbarkeiten“ verboten
27.09.1939 Tanzverbot wieder aufgehoben
19.12.1939 Verbot der „Verschandelung der deutschen Sprache in
Schlagertexten“

1940
15.04.1940 „zweite Liste unerwünschter musikalischer Werke“
Mai 1940 erneutes Tanzverbot mit Beginn des Westfeldzuges
25.07.1940 Lockerung des Tanzverbots: Mittwoch und Samstag nach 19h darf
wieder getanzt werden
15.08.1940 erneutes Tanzverbot mit Beginn der Luftschlacht um England
Dezember 1940 Lockerung des Tanzverbots: An drei Tagen in der Woche darf
wieder getanzt werden

1941

06.04.1941 Tanzverbot mit Beginn des Balkanfeldzuges
15.05.1941 dritte „Liste unerwünschter musikalischer Werke“
Juni 1941 Lockerung des Tanzverbots: An drei Tagen pro Woche darf ab 16h
wieder getanzt werden
Juli 1941 wieder komplettes Tanzverbot mit Beginn des Ostfeldzuges


1942
17.01.1942 Tanzverbot erweitert: gilt nun auch für Tanzveranstaltungen in nichtöffentlichen
Vereinen
15.02.1942 Verbot von Platten aus Feindstaaten oder von feindlichen Musikern,
Aufführungsverbot auf die USA ausgedehnt
15.07.1942 vierte (und letzte) „Liste unerwünschter musikalischer Werke“

1943
Juni 1943 Erlass gegen Hot-Stil und „feindstaatliche Vorbilder“
Juli 1943 Jazzverbot in Sachsen

1944
April 1944 Tanzverbot inoffiziell stark gelockert

Weitere Daten und Erlässe teilweise im Originallaut:
























aus: Prieberg Handbuch der Musiker 1933-1945

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Bevor wir die einzelnen Punkte etwas genauer betrachten wollen, vorweg ein Resümee zu Swing und Jazz in den Jahren 1933 - 1945.

Der Musikfreund der damaligen Zeit hatte die Möglichkeit Jazz-Musik zu hören und Swing zu tanzen, wenn er es wollte.

Die zwölf Jahre NS-Diktatur hatte keine Chance, den Jazz als Kunstform aufzuhalten oder gar aus der Welt zu schaffen.

Gesetze und Einschränkungen konnten nur bedingt durchgesetzt werden, auch das Anlegen von Verbotslisten zum Verkaufsstopp und Herstellungsstopp von Platten brachte keinen Erfolg, da sie im Ausland sowieso verfügbar waren.

Ein Eingreifen in die Deutsche Tanzmusik fruchtete auch nicht, auch das Neuerfinden deutscher Tanzrhythmen war nicht erfolgreich. Es blieb eine Notlösung.

Mit Fortschreiten des Krieges brauchte man wieder den swingenden Jazz als Propagandawaffe
gegen die Alliierten. Plötzlich waren Musiker aus aufgelösten Orchestern wieder wertvoll und wurden von der Front zurückgeholt.

Befehlsmäßige Zusammenstellung von Orchestern brachten den besten deutschen Swing auf die Folien, den es je gab.

Nur hatte das Volk nichts mehr davon, das hatte inzwischen andere Probleme.
Überleben irgendwie war die Frage.
Nicht zu vergessen jene, die in diesem System umgekommen sind und verfolgt wurden, nur weil sie sich nicht anpassten.
Viele Spitzenmusiker, die den Krieg überlebten, wurden Orchesterchefs und gründeten neue Rundfunk- und Tanzorchester.

Unverständlich ist, dass nach wie vor Publikationen erscheinen, in denen so viele erhebliche Fehler sind.

Auf der nächsten Seite werden die einzelnen Punkte genauer betrachtet:
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