Die Abels
„Wer das Berlin um 1928 kannte, der erinnert sich wohl noch jener fünf musikbesessenen jungen Ungarn, die sich als ‚Die Abels’ mir ihren völlig neuartigen elektrisierenden Schlagerarrangements über Nacht in die Herzen des Berliner Publikums hineinmusiziert hatten. ‚Ihr seid aus einem einzigen ungarischen Guß...!’ rief Franz Lehár, als er sie zum erstenmal hörte und umarmte begeistert den Begründer des temperamentvollen Ensembles, den Opernsänger und späteren Gesangspädagogen Professor Imre Révész. Für Imre Révész, der seither als einer der Wegbereiter des künstlerischen Jazz in Deutschland gilt, war der schlagartig einsetzende internationale Erfolg seiner ‚Abels’ (die sogar von den ‚kühlen Hamburgern’ 1929 umjubelt wurden) nur die Bestätigung seiner Devise: ‚Es gibt keine schwere oder leichte Musik, es gibt nur gute Musik!’“ Dieser geradezu hymnische Lobpreis auf Imre Revesz aus dem Hamburger Abendblatt von 1960 mag in einigen Passagen zur liebenswerten Übertreibung neigen, aber zweifellos: Die Abels dürften in den ausgehenden 1920er Jahren eine ähnliche Bekanntheit erreicht haben wie die später übermächtigen Comedian Harmonists, die Kains, wie der Berliner Volksmund sie daher nannte. Die Aufnahmen „Ich steh’ mit Ruth gut“ und „Dein ist die Welt“ vom Sommer 1928 bildeten die erste veröffentlichte Platte einer deutschsprachigen Vokalgruppen im Stil der legendären amerikanischen Revelers. Sieht man von einer 1927 in Deutschland erschienen Platte des Manhattan Quartets mit einer Aufnahme von „Ich hab’ mein Herz in Heidelberg verloren“ ab, müssen die Abels als Vorreiter dieses neuen Gesangsstils in Deutschland gelten. Dennoch ist über die Interpreten heute kaum mehr etwas bekannt. 85 Jahre nach der Pioniertat der Abels kann dieser Artikel nur ein Versuch sein, die Geschichte dieses Ensembles anhand der wenigen erhaltenen Spuren nachzuvollziehen.
"Ich steh' mit Ruth gut" ist ein typischer Nonsens-Text seiner Zeit - in seinem Witz und seiner Genialität unübertroffen. Rund einen Monat nach den Odeon-Aufnahmen spielten die Abels den Titel noch einmal für Homocord ein, deutlich rasanter und spritziger. Ich möchte hier dennoch die Odeon-Aufnahme präsentieren, dokumentiert sie doch eindrucksvoll das Debüt einer Gruppe, die es - wenn überhaupt - nur in die Fußnoten der Musikgeschichte geschafft hat und es doch verdient hätte, auch 85 Jahre nach dieser Premiere nicht gänzlich vergessen zu werden.
Leiter und Gründer der Gruppe war wohl weniger, wie im obigen Zeitungsartikel angegeben, Imre Revesz, als vielmehr ihr Pianist Prof. Pal Abel, dem das ausschließlich mit ungarischen Landsleuten besetzte Ensemble auch seinen Namen verdankt. Die Hintergründe, warum die ungarischen Sänger und Musiker in Deutschland tätig waren, sind weitgehend unklar. Während es zu Jozsef Balassa, Rezsö Feleki und Jenö Vigh so gut wie keine biographischen Angaben gibt, weiß man von Revesz immerhin, dass er bereits als Kind oder Jugendlicher nach Deutschland gekommen sein dürfte und sich hierzulande seit Ende des Ersten Weltkriegs als Sänger und Kantor verdingt hatte.
Bei ihrem ersten gemeinsamen Gang ins Aufnahmestudio haben die Abels wohl noch nicht ganz den Ton (oder vielmehr den Geschmack der Verantwortlichen) getroffen. Ihr Debüt auf Odeon, eingespielt am 28. Juni 1928, blieb gleichzeitig ihr einziges Gastspiel auf dem Label, das nur wenige Wochen später die Comedian Harmonists unter Vertrag nahm. Die Abels fanden nach einen dreimonatigen Engagement bei Homocord zu Jahresbeginn 1929 bei der Grammophon ihre neue künstlerische Heimat (und damit interessanterweise zu dem Plattenverlag, der die Comedian Harmonists nach eher dürftigen Testaufnahmen vom Mai 1928 zur Konkurrenz hatte ziehen lassen). Der Begriff Heimat scheint hier allerdings übertrieben, denn die Gruppe zog auch im Laufe der folgenden Jahre häufig um und war vielfach – zum Teil auch sehr kurzfristig – auf anderen Labels zu hören. Bis zur ihrer Auflösung waren die Abels ab August 1930 für Electrola, ab Oktober für Kristall und ab November des gleichen Jahres für Ultraphon (später Telefunken) parallel tätig. Daneben sind vereinzelte Einspielungen für Artiphon, Tri-Ergon, Beka, Parlophon, Columbia und Cordy belegt. Nur für letztere Firma legte man sich den Namen „Deuco-Quartett“ zu, ansonsten traten die Abels zunächst unter verschiedenen Abwandlungen ihres Ensemblenamens in Erscheinung – beispielsweise „Die 5 Abels (Odeonellers)“, „Die Original-Abels Sänger“ oder „Professor Abels und seine Jazz-Sänger“.
Die Abels – zu identifizieren waren bislang nur Pal Abel (am Flügel) und Imre Revesz (rechts außen)
Erstmals auf den Artiphon-Aufnahmen von Anfang 1930 wird die Bezeichnung „5 Songs“ eingeführt, die fortan mehr und mehr zum Hauptnamen der Gruppe wird. Lediglich auf Kristall ist auch weiterhin durchgehend die Rede vom „Abel-Quartett“. Die Umbenennung dürfte damit zusammenhängen, dass Pal Abel sich nach und nach von der Vokalgruppe zurückzog. Sein letztes Auftreten mit den Sängern ist für den 14. Februar 1931 durch einen Rundfunkauftritt am Frankfurter Sender verbürgt, aber schon im Vorjahr ließ Abel sich wohl vielfach durch István Kardoš vertreten. Dieser war wie sein Vorgänger Ungar, nannte sich in Deutschland Stephan Kardosch und dürfte die Leitung der Gruppe ab 1931 fast ausschließlich, wenn auch nicht zur Gänze übernommen haben. So ist bei Soloplatten des Ensembles auf Kristall – teils klavier-, teils orchesterbegleitet – ab etwa Mitte 1932 stets Rudolph Goehr als Pianist oder Dirigent angegeben. Goehr, ein Schüler von Arnold Schönberg, war vermutlich vorwiegend für die Gesangsgruppe Melody Gents tätig, das Engagement bei den Abels dürfte er eher als Zubrot gesehen haben. Für diese Gewichtung spricht, dass er zwar auf allen bekannten Fotos der Melody Gents, nicht jedoch auf den mir vorliegenden Bildern der Five Songs zu identifizieren ist. Um die heillose Verwirrung perfekt zu machen, sei Rudolph Goehr selbst zitiert, der – wie man in Peter Gradenwitz’ Buch „Arnold Schönberg und seine Meisterschüler“ lesen kann – stichpunktartig notierte: „Arbeit an Platten, auch Elektrola, für die ich ein Gesangsquartett zusammenstellte“. Während die Five Songs nicht von Rudolph Goehr gegründet wurden, waren die Melody Gents nie für die Electrola tätig! Es gibt verschiedene, mehr oder minder nahe liegende Theorien, die dieses Wirrwarr zu erklären versuchen. Sicher ist bislang nur, dass es sich bei Five Songs und Melody Gents definitiv um zwei verschiedene Gruppe handelt. Und dass eine abschließende Beurteilung der Zusammenhänge unmöglich erscheint, solange keine weiteren Quellen auftauchen.
Neben dem Plattenmarkt tauchen die Five Songs auch in zwei Spielfilmen auf: Bei „Es war einmal ein Walzer“, 1932 unter der Regie von Victor Janson entstanden, handelt es sich um eine klassische Verwirrungskomödie im Stil der damaligen Zeit. Was macht ein junger Mann, wenn er vor dem finanziellen Ruin steht, in Wien die vermeintliche Erbin eines Millionenvermögens heiraten soll, sich dort jedoch vorher beim Besuch einer Operette in ein anderes Mädel verliebt, das aber aufgrund eines Missverständnisses verschwindet, bevor Namen geschweige denn Adressen ausgetauscht sind? Im Film – nach einem Drehbuch von Billy Wilder – ist die Lösung ganz simpel: Er lässt natürlich nach dem Mädchen suchen – mit einem Schattenriss ihres Konterfeis auf Plakaten. Die Five Songs singen dazu passend „Wo steckst du, Mädel, mit dem süßen Profil?“ in einem hörenswerten Satz. Die Gruppe selbst ist dabei leider nicht zu sehen – wie auch in dem Skandalfilm „Ekstase“ (1933, Regie Gustav Machatý): Darin hört man die Five Songs in einer filmisch äußerst ansprechend umgesetzten Strandbadszene mit einem gelungenen Arrangement von „Weinen, weil die Liebe dir Leid getan...“. Während Hedwig Kiesler (Hedy Lamarr) leidenschaftlich dem Text lauscht, der ihre innigsten Gefühle auszudrücken scheint, blättert ihr Mann (Aribert Mog) lustlos in der Zeitung und zerquetscht mit seinem Stuhl eine Biene. Zwei Schauspieler mimen dabei den Gesang im Hintergrund. Der Film, eine österreichisch-tschechische Produktion, wurde wegen seiner aus heutiger Sicht harmlosen Nacktszenen zu einem weltweiten Gesprächsthema.
Die Abels – neben Vorbildern und Konkurrenten – in einer Schallplattensendung der Funkstunde, Dezember 1930
Die beiden Filmauftritte der Five Songs belegen, dass das Ensemble in dieser Zeit eine gewisse Bekanntheit und Beliebtheit genoss. Anfang 1933 verschwindet es dennoch sang- und klanglos von der Bildfläche. Ein Zusammenhang mit dem Machtwechsel in Deutschland kann nicht ausgeschlossen werden und dürfte bei genauer Betrachtung ziemlich wahrscheinlich sein: Während Pál Abel Deutschland Anfang 1931 wohl verließ, um einem verlockenderen Angebot der Firma Durium zu folgen, für die er Orchestereinspielungen dirigierte, emigrierte Rudolph Goehr (übrigens ein Bruder des bekannteren Walter Goehr) aus politischen Gründen. Er hatte die Zeichen der Zeit erkannt und war noch Ende 1932 nach Paris gezogen, wo er mit den „Cinq de la chanson“ und den „Minstrels“ neuerdings Gesangsgruppen betreute und begleitete. Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in Frankreich wurde Goehr in einem Lager in den Ostpyrenäen interniert und konnte von Arnold Schönberg in allerletzter Minute freigekauft werden und in die USA ausreisen. Auch die übrigen Ensemblemitglieder der Five Songs scheinen Deutschland den Rücken gekehrt zu haben. Die „Triumph Együttes“ gelten als ungarische Nachfolgegruppe der Abels, bei der zumindest die Mitwirkung Jenö Vighs sehr wahrscheinlich ist. Lediglich Stephan Kardosch bleibt zunächst in Deutschland, wo er bereits 1932 sein eigenes Ensemble aufbaute.
Die Zusammenhänge zwischen Five Songs und Kardosch-Sängern sind bis heute nicht restlos geklärt. Vielfach wird davon ausgegangen, dass letzteres Ensemble eine Art Nachfolgegruppe ist. Dem steht aber entgegen, dass bereits vom September 1932 erste Aufnahmen der Kardosch-Sänger belegt sind, während die Five Songs erst am geschichtsträchtigen 30. Januar 1933 zum letzten Mal im Aufnahmestudio standen. Vergleicht man die Aufnahmen aus dieser kurzen Parallelphase miteinander, wird deutlich, dass es sich um zwei verschieden besetzte Gruppen handelt. Der Zusammenhang scheint lediglich in Stephan Kardosch zu bestehen, wobei auch der zweite Tenor in der Anfangsphase der Kardosch-Sänger den Five Songs entstammen könnte – sein Name ist allerdings nicht belegt.
Mit der Electrola-Platte EG 2737 – „Es ist so schön am Abend bummeln zu geh’n“ und „La bella tangolita“ – endet die Karriere der Five Songs, der vormaligen Abels in Deutschland. Ihr künstlerisch verschnörkelter Stil kam beim Publikum durchaus an und erinnerte stilistisch sehr an die amerikanischen Revelers. Die häufige Verwendung von Tonsilben und der zumindest in der Anfangsphase starke Akzent der Sänger mögen für heutige Ohren gewöhnungsbedürftig, aber durchaus interessant klingen. Neben den rareren Solo-Platten begegnet die Gruppe dem Plattensammler heute wohl vor allem als Refrainensemble für namhafte Orchester wie Hans Schindler, Lewis Ruth und Marek Weber. Auch mit den Weintraubs hat dieses deutsch-ungarische Pionier-Ensemble gesungen! Bei Stücken, die auch von den Comedian Harmonists eingespielt wurden, wie etwa „Ich küsse Ihr Hand, Madame“, „Ich hab’ ein Zimmer, goldige Frau“, „Bimbambulla“, „Wenn der weiße Flieder wieder blüht“ oder „Baby, du hast dich verändert“, lohnt sich der Vergleich, den die Abels bzw. Five Songs nicht zu scheuen brauchen.
Die Abels - Ich hätte dich so gerne noch einmal allein geseh'n - 1373 1/2 BH IV - unveröffentlichte (?) Testpressung (Grammophon)
Die Bezeichnung "unveröffentlichte Testpressung" ist in diesem Fall eher eine Vermutung als eine Gewissheit: Auf der vorliegenden Platte sind zwei Takes desselben Liedes gekoppelt. Einer davon könnte auf Grammophon erschienen sein, allerdings ist mir weder von dem einen noch vom anderen Take bislang ein Exemplar untergekommen. Vielleicht kann ein hiesiger Kollege weiterhelfen?!
Dennoch: Die Popularität der heute allgegenwärtigen Comedian Harmonists erreichte das Ensemble zweifellos nicht. Selbst die Tochter des 1967 verstorbenen Imre Revesz meinte im Gespräch mit Karsten Lehl: „Nun ja – sie waren halt alle Opernsänger, und man hört das auch: Schöne Stimmen, aber vielleicht ein bisschen steif, nicht wahr?“ Das mag für manche Aufnahmen durchaus zutreffend sein, andere Einspielungen – etwa die furiose Tri-Ergon-Platte mit „Mein Herz ist ein Salon für schöne Frauen“ und „Mein Herr, ich hab’ Sie schon gekannt“ – zeugen eindrucksvoll vom Spaß der ausgebildeten Sänger am damals gleichermaßen modernen wie populären Vokalgruppengesang. Der Grenze zwischen U- und E-Musik hat das Ensemble dabei zweifellos keine große Beachtung geschenkt. Aber wie sagte Imre Revesz selbst: Es gibt keine schwere oder leichte Musik, es gibt nur gute Musik! Und zu dieser Kategorie dürfen sich die Abels auf jeden Fall zählen.
Diese Five-Songs-Platte findet man wahrscheinlich nicht an jeder Straßenecke - für Artiphon haben die Herren überhaupt nur sechs Titel aufgenommen, deren Kopplung auf Phonychord Flexible heute wohl noch am häufigsten zu finden ist.
Ohne die umfassende Hilfe zahlreicher Sammlerkollegen und Historiker wäre dieser Artikel nicht möglich gewesen. Daher möchte ich mich ganz herzlich bei Horst Bergmeier, Hans Buchholz, Michael Hortig, Prof. Dr. Klaus Krüger, Rainer Künzler, Karsten Lehl, Dr. Rainer Lotz, Theo Niemeyer, Prof. Dr. Ernst L. Offermanns, Klara Revesz, Hendrik Schreiner, Hans-Joachim Schröer Géza Gábor Simon und Uwe Steinle, der die wundervolle Farbkarikatur der Gruppe zur Verfügung gestellt hat, bedanken.
Die Five Songs auf dem Zenit ihres Schaffens und Könnens! Und wer an diesem Rosen-Titel keine Freude findet, der geht wohl auch sonst zum Lachen in den Keller?!
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