Wer war Gilbert Goose auf Artiphon...

Yannick Reinartz & Uli Biller

Einige Aufnahmen eines Orchesters "Gilbert Goose" vom Jahresanfang 1931 bereiteten dem geneigten Sammler von "Hot Dance", bzw. Tanzmusik jahrelang Kopfzerbrechen. Manche der Aufnahmen wurden auch als "G. Sellers" veröffentlicht. Zunächst ein kurzer Blick was Horst Lange damals dazu dachte:


Diese Ideen haben sich nicht bestätigt. Aktueller Stand (war): Ein (weitestgehend unbekanntes) Orchester Gilbert Goose nahm diese Platten, teils unter dem Pseudonym "G. Sellers", wahrscheinlich in Paris auf. Weiteres unbekannt.

Wir freuen uns nun dieses Rätsel lüften zu können - die Lösung findet sich mit "G. Sellers" auch schon auf manchen Etiketten. Es handelt sich um den, in Frankreich bekannteren Musiker, Komponisten, Arrangeur und Orchesterleiter Georges Sellers (1907 - 1987).



Nach Rücksprache mit französischen Sammlern wurde bestätigt: Es ist in Frankreich bekannt, dass Georges Sellers zu Beginn seiner Karriere das Pseudonym Gilbert Goose für "jazzige" Auftritte verwendete. Bekannt wurde er jedoch mit Operettenmelodien und Musette Jazz. Zunächst jedoch die erarbeitete Discographie seiner Aufnahmen bei Artiphon unter Goose / G. Sellers, bevor er Ende 1931 mit weiteren Aufnahmen bei der französischen HMV (La Voix De Son Maistre) nationale Bekanntheit erreichte. Alleine schon die Komponisten, Auswahl der Titel sowie Matrizennummern in Zusammenhang mit den Künstlern bestätigen bei näherer Betrachtung: Gilbert Goose = Georges Sellers.

(*1)

Der Titel "J'ai deux amours" geschrieben von Vincent Scotto (einem engen Freund von Georges Sellers und sein "musikalischer Partner" über viele Jahre), wurde eigens Joséphine Baker gewidmet. Sie nahm dann den Titel am 23. Oktober 1930 in Paris für die Schallplattenfirma Columbia (DF 229) auf. Das Stück avancierte nach kurzer Zeit zu einem kleinen Evergreen und viele weitere Einspielungen folgten.


(*3)

Le célebre Jazz francais G. SELLERS
(auf anderen Veröffentlichungen auch als "G. Sellers et son Jazz")

Artiphon, Paris - c. Februar 1931
(2 tp / 1 tb / 3 sax, cl / vln / Georges Sellers - p / gt, bj / sb, bb / dr / voc by band
Möglicherweise spielte ein Bruder von Sellers eines der Instrumente)

  • 13035 Non, tu n´as jamais su m´ aimer / Artiphon A 292
    ..............Komponist: Georges Sellers

  • 13036 J'ai deux amours / Artiphon A 292 & Artiphone 9867
    ..............Komponist: Vincent Scotto

  • 13037 (C'est le) Printemps / Artiphon A 293
    ............Komponist: GeorgesSellers

  • 13038 Mickey Xylophone / Artiphon A 293 & Artiphone 9867 & Hertie 884
    ...............Komponist: Georges Sellers.....................................................Xylophon Solo: Cariolato

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GILBERT GOOSE et son Orchestre
(als "Goose" auf den Etiketten, als "Goosse" im Katalog!)

  • 13046 Sweet Jennie Lee / Artiphon A 294 & als "Douce Femme" Parnasse 6046

  • 13047 You're driving me cracy / Artiphon A 294 & Swisscord 2541

  • 13048-3 As long as I'm with you / Artiphon A 295

  • 13049 The dance of the wooden shoes / Artiphon A 295

  • 13050 The Scamp of the Campus / Artiphon A296 & Tempo Elite B4277E (Nachkriegspressung)

  • 13051 Reaching for the moon / Artiphon A296

  • 13052 ?_____________

  • 13053 ?_____________

  • 13054 99 out of a hundred / Artiphon A 291

  • 13055 Dikinette (Polka) / Artiphon A 291 / Xylophone solo par M. Cariolato
    .................... Komponist: Georges Sellers

    • (13056 William Cantrelle (violin)& Jean Charpentier (piano)

    • (13057 William Cantrelle (violin)& Jean Charpentier (piano)

    Keine Beteiligung von Georges Sellers

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    • 13066 My Jennie / Artiphon A 290 & Excelsior 70 / Cariolato & Klavier

    • 13067 Pourquoi / Artiphon A 290 & Excelsior 70 /Cariolato & Klavier

    Im Artiphon-Katalog mit: accompagné au piano par M. G. Sellers (Klavierbegleitung M. G. Sellers).


(*2)









Sammlung Willi Tartler Schellackplatten.de


"Erschwerend" kommt hinzu: Es gab auch tatsächlich einen Musiker Gilbert Goosse sowie ein Orchester unter diesem Namen. Gilbert Goosse (*1898, Augrée, Belgien - †1948, Paris) spielte Klarinette und Saxophon. Es wurde auch schon vermutet: Hier ist sein Orchester zu hören, da er sowohl in Belgien, als auch in Frankreich auftrat. Die frühesten Belege (in Zeitungen) für sein Orchester finden sich in Frankreich aber erst ab Sommer 1937. Bis zu seinem Tod trat er dann mit seinem Orchester regelmäßig in Frankreich auf. Im Hörvergleich sind sich aber die Orchester "G. Sellers" und "Gilbert Goose" auf Artiphon identisch. Als reine Vermutung: Der Saxophonist Gilbert Goosse spielte um 1931 im Orchester des (zu diesem Zeitpunkt) deutlich bekannteren Kollegen Georges Sellers und diente als "Namensgeber" für das Pseudonym.




Artiphon in Frankreich



In Deutschland bereits in größeren finanziellen Schwierigkeiten, versuchte die Artiphon auf dem französischen Markt Fuß zu fassen. In einem Artikel vom 1. Mai 1931 wird berichtet, dass die (deutsche) Artiphon nun auch in Paris eine Zweigstelle eröffnet. Der Artikel begrüßt das positiv, weil der Blick auf „unsere Sänger, unsere Virtuosen, unsere Komponisten“ sicher geweitet werde. Insgesamt lässt der Artikel nur wenig Zweifel: Aufnahmen entstehen auch in Paris. Erste Muster von Aufnahmen der Firma in [!] Frankreich liegen der Redaktion bereits vor. Ebenfalls im Mai 1931 erscheint dann der erste (und wohl auch letzte) Katalog der Artiphon für Frankreich. Der komplette Artikel ist unter Link - Hier klicken einzusehen.


Aufnahmen (in Paris) müssen also schon deutlich vor April/Mai 1931 stattgefunden haben. Das Aufnahmestudio soll sich im 10. Pariser Arrondissement (Stadtbezirk) Entrepôt befunden haben. Glaubt man manchen Etiketten, wurden die Platten selber jedoch in Deutschland gepresst. Rechnet man die Transportwege hinzu, können die Einspielungen also schon vor Februar 1931 stattgefunden haben. Eben hier kommt wieder unser Georges Sellers ins Spiel...

Das Repertoire für den französischen Markt musste von der Artiphon wohl in aller Eile zusammengestellt werden. Geld für große Namen hatte man nicht. Es fehlte noch ein "Jazzorchester" - und man wurde in einem Pariser Cabaret fündig.

Georges Sellers wurde 1907 in Martigues geboren. Schon als Kind erlernte er das Klavierspiel. Mit gerade 16 Jahren gewinnt er 1923 den Grand Prix für Klavier am Consevatoire de Marseille. Das Studium verlässt er als Multiinstrumentalist. Neben dem Klavier und Akkordeon widmete er sich zeitlebens vor allem dem Komponieren und Arrangieren. Enger Partner wird der Komponist Vincent Scotto, dessen Kompositionen er häufig vertont.

1929 wird Georges Sellers Orchesterleiter in dem bekannten, 1904 eröffnetem Pariser Cabaret "Bal Tabarin". Hier leitet er bis 1931 auch das Jazzorchester - eben jenes welches auf den Artiphon-Platten zu hören ist.



Im Spätsommer 1930 nimmt Sellers seine erste Platte auf - ein Akkordeon-Solo für die französische HMV. Er achtet bereits darauf auch Kompositionen von sich selber auf Platte "zu bekommen" - dies gelang ihm auch bei der Artiphon.




Bekannter war er, zu diesem Zeitpunkt jedoch noch als Pianist und eben Leiter des Orchesters im Bal Tabarin.


Paris, Juni 1930


Es scheint fast, kurzfristig war er bei der "jungen" Artiphon in Paris zuständig für die Abteilung Tanzmusik. Unter seinem echten Namen Le célebre Jazz francais G. SELLERS wurden französische Stücke veröffentlicht. Von den vier Kompositionen stammen drei aus seiner Feder, die vierte von seinem musikalischen Partner Scotto. Die "Hot-Nummern" wurden unter dem englisch klingenden Pseudonym "Gilbert Goose" veröffentlicht. Bei einer der Kopplungen (Artiphon A 291 - Dikinette) schaffte er es eine weitere Komposition von sich auf Platte zu bekommen.

Nicht nur der Katalog gibt darüber Auskunft, Sellers Klavierspiel hinter den beiden Soli-Aufnahmen von Cariolato am Xylophon ist deutlich zu erkennen. Möglicherweise entstanden unter den noch unbekannten Matriznummer 13039 - 13045 und 13058 - 13065 sowie 13052 & 13053 weitere Einspielungen unter seiner Beteiligung. Alternative Takes sind, bis dato, nicht bekannt.


(*4)


Für den französischen Markt erschienen die Aufnahmen auf Artiphon lila mit den Bestellnummern A 290 bis A 296. Ausgaben für die Schweiz (rot) und die noch selteneren Deutschen in teils anderer Kopplung. Mindestens eine Nummer (Mickey Xylophone) anonym als "Jazz Sinfonie Orchester" in Deutschland auf Hertie. Aus noch unbekannten Gründen wurde ein Stück (13050 - The Scamp of the Campus) nach dem Krieg auf Tempo Elite B4277E wiederveröffentlicht Hier klicken


Das Abenteuer der Artiphon in Paris dauerte nicht lange. Es ist noch nicht geklärt bis wann die Firma in Paris Aufnahmen machte. Möglicherweise nur bis in die zweite Jahreshälfte 1931. Weitere Aufnahmen von Georges Sellers für Artiphon sind, bis jetzt, nicht bekannt.

Das Jahr 1931 lief für Georges Sellers recht erfolgreich. Ende 1931 erhielt er von der französischen HMV einen Plattenvertrag. Im Dezember 1931 war er für die Firma dann im Plattenstudio. Mit seinem "Jazz Orchester vom Bal Tabarin" entstanden einige recht flotte Einspielungen. Neben dem schon bei der Artiphon gehörten Gesangsduett fällt auch immer wieder der recht gute Trompeter und Posaunist auf.

Eines der Stücke, J'ai deux amours, nahm er sowohl für Artiphon, wie auch für HMV auf. Zwischen beiden Aufnahmen liegen etwa 10 Monate. Hier ein "Hörvergleich" des sehr gelungenen Trompetenparts. Zuerst die Einspielung auf Artiphon, dann auf HMV.

1. "Goose" Feb. 1931 - 2. Sellers Dez. 1931


Georges Sellers widmete sich nun verstärkt dem Komponieren und Arrangieren der Melodien und Operetten von Vincent Scotto. Als Musiker wechselte er nun zum Akkordeon. Im Jahr 1932 ist Georges Sellers auch auf einigen Einspielungen des Lud Gluskin Orchesters als Akkordeonist zu hören. Danach leitete einige Jahre ein "Musette Jazz Orchester". 1933 nahm er mit diesem erneut ein Stück auf, welches bereits auf Artiphon erschien.

(*1)




L'Intransigeant, Paris, 10. März 1933

Sinngemäß: Der bekannte Komponist und Akkordeonspieler Georges Sellers hat mit seinem Orchester (vom "l´opérette marseillaise") für die Grammophon (französische HMV) sein Stück "Mickey Xylophone" aufgenommen.

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Der Jazzgehalt seiner Platten nahm zwar im Laufe der Zeit ab, sein beruflicher Erfolg jedoch stetig zu. Ab Ende der dreißiger Jahre widmete sich Sellers fast ausschließlich dem Komponieren und Arrangieren. Als Komponist nutzte er auch häufiger das Pseudonym Germain Blanc. Daneben stellte er, bis in die fünfziger Jahre, aber immer wieder auch Orchester zusammen.

Georges Sellers, der große, unbekannte "Gilbert Goose" starb 1987 in Cannes. Im französischen Gedächtnis blieb er als Akkordeonist und für seine Operetten-Melodien.


(*3)



(*1) Sammlung Yannick Reinartz (SchellackFreak)
(*2) Sammlung Snookerbee
(*3) Vielen Dank an den Betreiber der Georges Sellers Seite auf Facebook Link - Hier klicken
sowie Herrn Rainer Lotz (*4) für den Austausch und seine Informationen zu Gilbert Goose. Herzlichen Dank an Willi Tartler (Schellackplatte) Link - Hier klicken für die Katalog-Auszüge und das Orchesterbild. Ebenso an Josef Westner/Humoresk für seine Unterstützung.

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